TV-Kritik: Anne Will:Ausgedient

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Bitte abtreten: Traumatisierte Soldaten interessieren bei Anne Will nur am Rande. Viel lieber spricht man über die Reisen von Dirk Niebel, die Taliban und die Pechsträhne von Verteidigungsminister Guttenberg.

Lilith Volkert

An der Heimatfront haben die deutschen Soldatinnen und Soldaten wohl schon verloren. "Im Krieg gedient, zu Hause ausgedient - lassen wir unsere Soldaten im Stich?" - das war der Titel, unter dem sich Anne Will und ihre Gäste mit traumatisierten Bundeswehrangehörigen beschäftigen wollten - eigentlich. Stattdessen ging es wieder einmal vor allem um die Rechtmäßigkeit des Afghanistankrieges, die neue Verhandlungsstrategie mit den Taliban, das Bombardement von Kundus und das Krisenmanagement von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).

"Im Krieg gedient, zu Hause ausgedient - lassen wir unsere Soldaten im Stich?", fragt Anne Will ihre Gäste, unter anderem Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel. (Foto: dpa)

Dabei versuchte Anne Will mit Hilfe des zuvor gesendeten Tatorts in das Thema einzusteigen: Es ging um vier junge Afghanistan-Heimkehrer, die unter Mordverdacht stehen. Einer der Soldaten im Sonntagabend-Krimi hat am Hindukusch einen Unterschenkel verloren, seine Kameraden sind körperlich unversehrt, doch keiner findet sich mehr im Alltag zurecht. Sie haben Albträume, daddeln stundenlang am Computer, saufen den inneren Druck weg.

Die Fragen, die der Tatort aufgeworfen hat - Warum kann man die seelischen Verletzungen nach Kriegserlebnissen nicht einfach irgendwann vergessen? Wieso betäubt sich jemand, der Kameraden hat sterben sehen, mit Ballerspielen? Ist es nicht unwahrscheinlich, dass einer der Männer seine schwangere Frau verlassen will, um nach Afghanistan zurückzukehren? - werden zu Beginn der Sendung nur kurz gestreift.

"Ganz typisch" nannte Heike Groos die verstörenden, fast übertrieben wirkenden Verhaltensweisen der jungen Männer im Film. Die Ärztin war von 2003 bis 2007 mit der Bundeswehr in Afghanistan. Als unrealistisch kritisierte sie alleine, dass es in der Film-Kaserne eine Psychologin gab, zu der alle traumatisierten Soldaten regelmäßig in Therapie gingen. "Natürlich gibt es Pfarrer und Psychologen", sagte die 50-Jährige. "Aber es gibt kein Konzept, das greift, wenn jemand hilfsbedürftig ist. Jeder muss sich selbst kümmern." In einem Umfeld, in dem man nicht gerne Schwäche zeigt, sei das aber äußerst schwierig.

Anne Will hatte die Ärztin gleich zu Beginn der Sendung auf die kleine weiße Couch am Rande ihres Studios gebeten, sodass sie fernab des üblichen Redegefechts ihre Geschichte erzählen konnte. Heike Groos versorgte 2003 nach einem Selbstmordanschlag auf einen deutschen Militärbus verletzte Kameraden und barg Tote. Der Schock darüber holte sie erst Jahre später in Deutschland ein - ohne dass sie zunächst wusste, warum in aller Welt sie auf einmal in Tränen aufgelöst dasaß und sich nicht mehr rühren konnte.

Sobald aber Moderatorin und Betroffene in den Stuhlkreis zu Politikern, Journalisten und Kriegsgegnern wechselten, war auch das Gesprächsthema ein anderes. Allerdings waren es nicht die aktuellen Bundeswehrskandale - die Vorgänge auf dem Segelschiff Gorch Fock nach dem Tod einer Kadettin, die geöffnete Feldpost und der Tod eines Soldaten in Afghanistan durch die Kugel eines Kameraden - die das geplante Thema verdrängten. Diese wurden erst ist den allerletzten Minuten knapp und angenehm spekulationslos abgehakt.

Jedem Gast sein Afghanistan-Kampf

Nein, aller hartnäckigen Moderationsversuche von Anne Will zum Trotz focht in den verbleibenden 50 Minuten jeder seinen eigenen Afghanistan-Kampf aus. Spiegel-Journalist Matthias Matussek kam noch über die Lippen, die Deutschen schuldeten ihren Soldaten mehr Anerkennung, bevor er sich mit Jürgen Todenhöfer stritt, ob das von Oberst Klein angeordnete Bombardement zweier Tanklaster in Kundus im September 2009 ein tragischer Unfall oder ein gezielter militärischer Angriff gewesen sei.

Der ehemalige CDU-Politiker Todenhöfer, der mehrere Bücher über seine Reisen nach Afghanistan geschrieben hat, warf deutschen Politikern Unehrlichkeit vor. Al-Qaida sei schon seit Jahren nicht mehr in Afghanistan tätig, der Grund für den Bundeswehreinsatz damit nicht mehr gegeben: "Unsere Soldaten werden hier verarscht." Todenhöfer unterstrich sein Plädoyer für einen raschen Abzug, indem er großformatige Fotos von Kriegswaisen in die Kamera hielt und FDP-Politiker Dirk Niebel mit Tremolo in der Stimme zu einer Familie nach Kundus einlud, damit dieser sich selbst ein Bild von der Lage im Land machen könne.

Dies wiederum reizte den Entwicklungsminister, der auf Reisen gerne in Tarnfarben und mit verspiegelter Sonnebrille auftritt und sich mangelnde Krisengebietserfahrung nun wirklich nicht vorwerfen lassen wollte. Warum die Strategie, mit gemäßigten Taliban zu verhandeln, anstatt sie zu bekämpfen, vor einigen Jahren noch falsch, jetzt aber richtig sei, konnte er Thomas Ostermeier aber nicht erklären. Der künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne ist erklärter Pazifist; er erzählte anschaulich vom Leben als Sohn eines Berufssoldaten.

Dann sagt Entwicklungsminister Niebel doch noch etwas zum Thema traumatisierte Soldaten: Seit kurzem gebe es in Berlin ein Zentrum zur Traumabehandlung, erzählte er, als Anne Will einmal mehr an das Thema der Sendung erinnerte. Das sei doch eine gute Sache. Und auch nötig. Denn schließlich würde die Bundeswehr viel "intensiver" eingesetzt, seit sie 1999 zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Kriegseinsatz geschickt wurde.

Das ist ja auch erst zwölf Jahre her.

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