TV-Doku: Ingrid Betancourt:Bericht aus der Wildnis

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Eine internationale Koproduktion skizziert zwei Jahre nach Ingrid Betancourts Befreiung aus der Geiselhaft, wie Zerwürfnisse aus dem Dschungel andauern - ohne dabei voyeuristisch zu werden.

Stefan Fischer

Von einem Kaiserschnitt spricht der Lagerkommandant der Farc, Martin Sombra. In dem Dschungellager der kolumbianischen Guerillakämpfer gibt es jedoch keinen Arzt, keine Krankenschwestern, kein Operationsbesteck. Sie haben Clara Rojas ein Narkotikum gegeben, einer der Guerilleros hat ihr dann unter freiem Himmel den Unterleib aufgeschnitten, ein anderer den kleinen Emanuel herausgezerrt, wobei er dem Jungen einen Arm gebrochen hat. Das versteht Sombra unter Kaiserschnitt. Erstaunlich ist: Mutter und Sohn haben die Tortur überlebt.

Zwei Jahre nach ihrer Befreiung spricht Ingrid Betancourt in einer intimen Dokumentation über die Gefangenschaft im Dschungel. (Foto: SWR/Christoph Jörg)

Clara Rojas war 2002 die Wahlkampfleiterin von Ingrid Betancourt, als die sich um die Präsidentschaft in Kolumbien bewarb. Als Betancourt in die Fänge der Farc geriet, wurden alle Begleiter der Politikerin umgehend freigelassen. Nur Rojas haben die Rebellen zusammen mit Ingrid Betancourt in den Urwald verschleppt. Es war der größte Coup der Untergrundarmee.

Während Rojas' Schwangerschaft, drei Jahre nach der Entführung, haben die beiden Frauen schon längst nicht mehr miteinander gesprochen. Von einer Mauer des Schweigens zwischen ihnen berichten beide in dem Film Gefangen im Dschungel von Angus Macqueen. Die Mauer existiert noch heute, da beide nach mehr als sechs Jahren Geiselhaft wieder in Freiheit sind.

Gemeinsam in Ketten

Ein missglückter Fluchtversuch war der Auslöser des Zerwürfnisses. Sie seien wütend aufeinander gewesen wegen der falschen Entscheidungen, die sie auf der Flucht getroffen hatten, sagt Betancourt, und sie hätten die Wut, die sie auf sich selbst hatten, jeweils auf die Mitgefangene projiziert. Dass die Frauen zur Strafe in dieser Zeit eng aneinander gekettet wurden, machte ihre Sache nicht besser.

Macqueens 100-minütige Dokumentation - eine internationale Koproduktion, an der die BBC, France Télévisions, SWR, WDR und die kolumbianische E-Nnovva beteiligt sind - arbeitet vor allem diesen Aspekt behutsam und dennoch sehr klar heraus: wie die Geiseln - bis zu zehn waren es in den Lagern, in denen Betancourt und Rojas festgehalten wurden - einander misstrauten, ja, einander hassten. Den Guerilleros, sagt Ingrid Betancourt, könne man viel einfacher verzeihen als den Mitgefangenen - weil die Erwartungen an die Kämpfer viel niedriger waren als an die Leidensgenossen.

Gefangen im Dschungel basiert auf langen, eindringlichen Interviews und auf Originalaufnahmen, die teils erhellend sind, teils verstörend. Angus Macqueen ist ein intimer Film gelungen, der die Grenze zum Voyeurismus in keiner Szene überschreitet.

Gefangen im Dschungel. Die Entführung der Ingrid Betancourt, ARD, 22.45 Uhr.

© SZ vom 17.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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