TV-Doku: "Das tote Mädchen vom Bodensee":Lange Suche nach dem Mörder

Lesezeit: 2 min

Vor 30 Jahren stirbt ein junges Mädchen unter mysteriösen Umständen. Seitdem kämpft ihr Vater um Gerechtigkeit - nun kommt es endlich zum Prozess. Eine ARD-Doku über scheiternde Rechtsmedizin und Selbstjustiz.

Nicolas Richter

Ein Mädchen im roten Badeanzug, lange blonde Haare. Sie ist vielleicht 14 Jahre alt, sehr jung, aber ihre Figur ist bereits weiblich. Sie stakst über die Steine am Ufer des Bodensees, anscheinend ist sie allein.

Mit nur 14 Jahren stirbt die Französin Kalinka Bamberski am Bodensee. Kommende Woche und damit erst 30 Jahre später, muss sich der mutmaßliche Täter, Kalinkas Stiefvater Dieter Krombach, vor Gericht verantworten. (Foto: WDR)

Diese Geschichte wird nicht gut enden, das ahnt man schon während der ersten Bilder. Aber die Geschichte endet nicht mit dem Tod der jungen Französin Kalinka Bamberski. Sie beginnt damit erst.

Vor fast 30 Jahren ist dieses Mädchen unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen, seitdem kämpft ihr Vater dafür, dass der mutmaßliche Täter vor Gericht steht. Es hat gedauert bis in die heutige Zeit. In der kommenden Woche wird sich der mutmaßliche Täter, der deutsche Arzt Dieter Krombach, vor der Justiz in Paris verantworten müssen.

Der Film Das tote Mädchen vom Bodensee, den ARD und WDR in dieser Woche zeigen, zeichnet nach, was sich in den Jahrzehnten dazwischen abgespielt hat. Es gibt kaum einen Justizfall in Europa, der sich über so eine lange Zeitspanne gezogen hat und so voller Wendungen war. Denn die Justiz, weder die deutsche noch die französische, haben es bisher vermocht, Rechtsfrieden zu schaffen.

Sorgfältig und anschaulich, mit etlichen Interviews Beteiligter, aber wenigen nachgestellten Szenen, zeichnet die Autorin Hilka Sinning nach, wie Rechtsmedizin und Staatsanwaltschaft von Beginn an gegen ihre Aufklärungspflicht verstoßen: Eine 14-Jährige stirbt, bei bester Gesundheit, im Haus ihres Stiefvaters, des Arztes Dieter Krombach - die Möglichkeit eines Sexualverbrechens wird nie auch nur im Ansatz untersucht.

Dabei offenbart sich im Laufe der Zeit, dass Krombach seine Stellung als Arzt offenbar öfters dazu nutzt, bevorzugt junge Mädchen zu belästigen oder zu missbrauchen. Ein Fall wird ihm nachgewiesen, weitere Vorwürfe stehen im Raum. Der Film lässt einige frühere Patientinnen Krombachs zu Wort kommen, die ihn als einen oft sexuell erregten Doktor Seltsam beschreiben.

Besonders gespenstisch aber ist eine Archivszene, in der Krombach selbst Sex mit einer minderjährigen Patientin zugibt, aber darauf beharrt, dass sie es irgendwie stillschweigend gewollt habe. Dabei lächelt er selbstzufrieden und anzüglich vor sich hin. Die Szene sagt viel über Krombach. Aber ist er deswegen ein Mörder?

Neu an dieser schon oft erzählten Geschichte ist, dass Kalinkas Vater Andre Bamberski, verzweifelt über das ewige europäische Justizversagen, Krombach vor anderthalb Jahren entführen ließ. Auftragsschläger packten den Arzt in Deutschland in ein Auto und schafften ihn nach Frankreich, damit ihm dort endlich der Prozess gemacht werde.

Diese finale Pointe wirft die neuen, interessanten Fragen im Fall Kalinka auf: Darf ein zermürbter Vater, der seinem Kind am Grab Gerechtigkeit versprochen hat, als letztes Mittel Selbstjustiz üben? Ist Selbstjustiz erlaubt, weil das Verbrechen so furchtbar und die Indizien gegen Krombach so dicht sind? Legitimiert Frankreichs Justiz diese Entführung, indem sie Krombach festhält und ihn vor ein Tribunal stellt?

Der Film geht darauf allenfalls am Rande ein. Die Autorin ist so damit beschäftigt, Krombach den Prozess zu machen, ihr Urteil lautet so eindeutig "schuldig", dass sie die spannendste Frage darüber nahezu vergisst.

Das tote Mädchen vom Bodensee, ARD, Donnerstagabend 0.00 Uhr.

Wiederholung am Montagabend, den 28.März, um 22 Uhr, WDR.

© SZ vom 23.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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