"American Crime Story":Gianni Versace, der sterbliche Gott

"American Crime Story": Ein Gott in zartpinker Robe: Gianni Versace (Édgar Ramírez).

Ein Gott in zartpinker Robe: Gianni Versace (Édgar Ramírez).

(Foto: AP)

"American Crime Story" erzählt in seiner zweiten Staffel vom Mord an dem berühmten Modedesigner. Hinter den Traumkulissen von Miami lauert die große Geschichte einer verhärmten Gesellschaft.

Von Julian Dörr

Was für ein Einstieg! Aufblende. Ganz sacht vibrieren die Streicher. Die Kamera sinkt vom Himmel herab, sie fällt aus dem Paradies zur Erde, in die Welt der Sterblichen. Sie dreht sich, sie zirkelt, hinab auf das Gesicht von Gianni Versace. Und dann gleitet die Kamera weiter, sie folgt diesem Mann durch die holzvertäfelte Pracht seines Hauses, schlüpft mit ihm in die Pantoffeln mit dem Medusa-Kopf, dem Logo der Modefirma Versace. Schlüpft mit ihm hinein in den zartpinken Bademantel, dann steht Gianni Versace auf dem Balkon seines Hauses, die Kamera blickt nun von unten zu ihm auf, nein, sie betet ihn von unten an. Wie er dort oben thront. Eine Majestät. Ein Gott in zartpinker Robe.

Schon die ersten zehn Minuten zählen zum Besten, was das TV in letzter Zeit hervorgebracht hat

Gegenschuss. Perspektivwechsel. Ein Mann am Strand. Gebeugt, verkniffen, ängstlich. Nicht dieser stolze Gott auf dem Balkon. Es ist, das wird dem Zuschauer hier schon klar, der Mann, der Gianni Versace töten wird. Es ist dieser Mord, auf den die Inszenierung nun zulaufen wird, unaufhaltsam, wie in einer griechischen Tragödie. Die Kamera folgt den beiden Männern durch diesen zartpinken Sommermorgen, süßliche Streicher hängen wie ein schweres Schicksal über diesen Szenen. Es wird kaum ein Wort gesprochen. Die Bilder sprechen für sich. Versace in seinem kleinen, selbst erschaffenen Paradies am Frühstückstisch unter Tropenpflanzen. Der Mörder, gehetzt, gepeinigt, den Schweiß auf der Stirn, übergibt sich in eine öffentliche Toilette. "Filthy Faggots" steht auf der Klotür. Dreckige Schwuchteln.

Dann, nach fast zehn Minuten, der Moment, auf den alles hinausläuft. Zwei Leben kreuzen sich, zwei Schüsse fallen. 15. Juli 1997, Miami Beach, Florida. Die Ermordung des Gianni Versace durch den Serienkiller Andrew Cunanan.

Diese Ouvertüre, die zu den besten zählt, die das TV in jüngster Zeit hervorgebracht hat, macht zwei Dinge ganz klar: Das, was nun folgt, ist die wahre Geschichte eines Mordes, klassisches True-Crime-Genrefernsehen. Zum einen. Zum anderen wird aber auch in den ersten Minuten von The Assassination of Gianni Versace: American Crime Story (deutsch: Der Mord an Gianni Versace) deutlich: Das, was hier kommt, ist bigger than life. Das ist mehr als die reale Geschichte eines Mordes. Und genau dieses Spannungsfeld zwischen Realität und ihrer Überhöhung macht die zweite Staffel der Anthologie-Serie American Crime Story so großartig.

Sie erzählt die Geschichte von Gianni Versace (Édgar Ramírez), dem Gründer und Chefdesigner des Modeimperiums Versace. Aus dem Nichts hat Versace einen Weltkonzern erschaffen, er ist der Sonnenkönig, um den sich das homosexuelle Leben von Miami Beach dreht. Und so wie Versace seine Mode inszeniert, das Strahlende, das Viel-zu-Viel, so inszeniert ihn diese Serie. Im Leben. Wie im Tod. Als Andrew Cunanan Versace vor dem Eisentor seines Strandpalazzos erschießt, flattern weiße Tauben auf. Vieles an The Assassination of Gianni Versace ist hochgradig artifiziell. All diese wunderschönen Menschen mit ihren wunderschönen Körpern in ihren wunderschönen Wohnungen. La Dolce Vita in Miami. Aber das ist nur die Oberfläche. Darunter, hinter all diesen Traumkulissen und Traumkörpern, liegen die Verletzungen, die Brüche, die zermürbten Seelen. Die düstere Realität. Womit man wieder beim Genre True Crime wäre.

Die wahren Geschichten hinter Mordfällen zu erzählen ist nun schon seit ein paar Jahren eine mediale Erfolgsgeschichte. Es gibt True-Crime-Magazine, True-Crime-Podcasts oder eben True-Crime-Serien. Aber was ist so faszinierend an der Aufarbeitung alter Verbrechen? Im Gegensatz zum fiktionalen Krimi steht meist keine klassische Mördersuche im Zentrum. Wer die Tat begangen hat, ist oft klar. Der Reiz von True-Crime-Geschichten liegt in ihrer psychologischen Ebene, ein tiefes Eintauchen ins Menschenhirn. Der Schauder des Fremden, des Kranken, des Abnormalen. Aber auch: die Banalität des Bösen. Gute True-Crime-Geschichten stellen die Frage nach dem Warum, nach dem Wie. Großartige True-Crime-Geschichten beantworten diese Fragen, indem sie etwas über die Gesellschaft erzählen, in der sie spielen. So wie American Crime Story.

Jahre vor dem letzten, tödlichen Treffen lernen Versace und sein Mörder sich in einem Club kennen

Der große Anspruch steckt ja schon im Titel. Es geht nicht um irgendein Verbrechen. Es geht um ein amerikanisches Verbrechen. Ein Verbrechen, spezifisch für die amerikanische Gesellschaft. So war es bei The People v. O. J. Simpson, der sehr erfolgreichen und sehr guten ersten Staffel von American Crime Story. Die erzählte die Geschichte vom Prozess gegen den schwarzen Footballspieler O. J. Simpson, der beschuldigt wurde, seine Frau und ihren Liebhaber ermordet zu haben. Die Geschichte eines Jahrhundertprozesses. Aber vor allem auch eine Geschichte über Rassismus, über Privilegien und Vorbildfiguren.

Auch die zweite Staffel erzählt eine große Geschichte. Über eine verschlossene und verhärmte Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die in ihren Vorurteilen verknöchert ist. Eine Gesellschaft, in der nicht ausgesprochen werden kann, was so dringend ausgesprochen gehört. Man spürt das bei den Polizisten, die Versaces Lebenspartner (erhaben leidend: Ricky Martin) befragen. Und die nicht begreifen können, wie diese beiden homosexuellen Männer miteinander leben können. Die sich nervös räuspern, ungläubig nachfragen, herumdrucksen. Man spürt es noch deutlicher in der Lebensgeschichte des Serienmörders Andrew Cunanan, die eingewoben ist in diese Erzählung und die eine Geschichte vom Schmerz des Identitätslosen ist.

Jahre bevor Cunanan und Versace zum letzten, tödlichen Mal aufeinandertreffen, lernen sie sich in einem Schwulenclub in San Francisco kennen. Auch hier setzt The Assassination of Gianni Versace wieder auf Musik, um die Geschehnisse der Realität zu entreißen. Der Bass wummert, die Kamera schiebt sich langsam über die Tanzfläche, "Last Night a DJ Saved My Life". Leben geben, Leben nehmen. Cunanan bezirzt Versace, er erzählt ihm von seinen italienischen Wurzeln, einer Party am Comer See. Hier wird klar: Die Lüge, sie ist das Lebensmodell dieses Mannes, ein Schlüpfen hinein und wieder heraus aus Charakteren, so wie die Kamera immer wieder durch die Räume gleitet, auf die Menschen zu, von ihnen weg. Menschen, die nicht sein wollen oder können, was sie sind. Weil ihnen die Gesellschaft keinen Raum lässt. Auf der Klotür steht: "Filthy Faggots".

"Du erzählst schwulen Typen, du seist schwul. Und heterosexuellen Leuten, du seist hetero", wirft ein Freund Cunanan in einer Rückblende vor. "Ich erzähle ihnen, was sie hören wollen", antwortet dieser. Wer sind diese Männer? Überlebende der Aids-Epidemie? Homosexuelle, die sich nach Familie sehnen, nach Akzeptanz? In The Assassination of Gianni Versace schauen die Menschen immer wieder in Spiegel, als müssten sie sich versichern, dass sie immer noch da sind. Der eine ist ein Gott, der andere ein Niemand. Gepeinigt sind beide. Der Niemand und der Gott. Die Medusa, das Firmenlogo von Versace, das immer wieder auftaucht, auf den Pantoffeln, als Mosaik auf dem Boden, auf dem T-Shirt, das über Versaces Brust im OP-Saal zerschnitten wird, es ist das Leitmotiv dieser Serie. Medusa, die Göttin, die sterblich ist.

The Assassination of Gianni Versace: American Crime Story, Sky Atlantic, montags, 20.15 Uhr.

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