"Transparent" bei Amazon Prime:Berührend statt spannend

"Tranparent"

Jeffrey Tambor als transsexueller Familienvater Mort (oder Maura).

(Foto: Beth Dubber/Amazon)

Auch Amazon hat eine tolle Serie: Nur vordergründig handelt "Transparent" von einem Mann, der heimlich als Frau lebt. Es geht um seine Kinder, die viel desorientierter sind als er selbst.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Das Schreckliche am Leben ist, dass der Mensch von der Natur nur eines bekommt. Er wird geboren, sozialisiert, trifft später eigene Entscheidungen; und liegt irgendwann nachts im Bett und fragt sich, ob er tatsächlich zufrieden ist oder doch nur abgestumpft. Er denkt darüber nach, warum er nicht der ist, der er gerne sein möchte - oder nicht der, der er in Wirklichkeit ist. Das ist das Leben, und es endet mit jeder Sekunde, die vergeht. Darum geht es in Transparent, einer der faszinierendsten Serien dieser Spielzeit, deren erste Staffel derzeit auf Amazon Prime zu sehen ist.

Nur vordergründig dreht sich die Handlung um den Patriarchen Mort (wunderbar traurig dargestellt von Jeffrey Tambor), der seinen erwachsenen Kindern gerne eröffnen würde, dass er schon seit einiger Zeit als Frau lebt. Er lädt sie ein zum gemeinsamen Abendessen, doch kommt er nicht dazu, seine Botschaft zu übermitteln, weil seine Kinder derartige Egomanen sind, dass sie nicht zuhören - sie warten noch nicht einmal, bis sie wieder dran sind mit dem Reden. Sie spekulieren über die Neuigkeiten ihres Vaters (Krebs, Verlobung) und streiten prophylaktisch schon einmal darüber, wer das schicke Haus im Westen von Los Angeles bekommen wird.

Es geht deshalb weniger um Mort (oder sein weibliches Alter Ego Maura), der wenigstens weiß, wer er gerne sein möchte, es nur nicht kommunizieren kann. Es geht vielmehr um seinen Nachwuchs, der genau das noch nicht herausgefunden hat in dieser herrlich eklektischen Stadt Los Angeles, die einen permanent dazu auffordert, sich selbst zu finden - einen letztlich jedoch stets dazu zwingt, eine Rolle zu spielen und vorzugeben, dass man sich längst gefunden hat. Die Wahrheit bleibt hier stets ein Geheimnis.

Die älteste Tochter fragt sich, warum sie nach dem College das biedere Familienleben der Homosexualität vorgezogen hat. Sohn Josh wechselt zwar regelmäßig die Sexualpartner, wünscht sich jedoch statt vieler Häschen endlich einen erwachsenen Hasen im Bett. Und die jüngere Tochter Ali ist die gescheiterte Arbeitslose, unzufrieden mit dem, was sie bisher erreicht hat. Sie alle haben nur dieses eine Leben - und sie fragen sich, ob sie daran noch etwas ändern können, bevor es zu spät ist.

Wie ein Buch, das der Leser nicht weglegen kann

Serien über dysfunktionale Familien sind nun wahrlich nicht neu. Es ist der sensible und dennoch unsentimentale Umgang mit Gendergrenzen und Sexualität, der Transparent zu einer besonderen Serie macht - und natürlich die Melancholie, die Erfinderin Jill Soloway ihrer Geschichte verleiht. Wenn etwa Mort zu seiner jüngsten Tochter sagt: "Es ist so schwierig, wenn jemand das erkennt, was du ihn eigentlich nicht sehen lassen willst." Und dann feststellt, dass sie überhaupt nichts erkennt.

Transparent ist wie ein Buch, das der Leser nicht weglegen kann. Nicht weil es spannend oder fesselnd ist, sondern weil einen die Geschichte und vor allem die Figuren berühren. Sie ist perfekt für ein Streamingportal, das alle Folgen einer Staffel zugleich bereitstellen kann und keine Rücksicht auf die Gepflogenheiten des traditionellen Fernsehens nehmen muss. Tatsächlich deutet die Begeisterung in den USA darauf hin, dass Transparent für den Online-Buchhändler Amazon das sein könnte, was House of Cards für Netflix war: der Durchbruch im Geschäft mit eigenen, selbst produzierten Inhalten.

Zehn Episoden gibt es bislang, die sich zu einem Fünf-Stunden-Film fügen mit der Botschaft, dass das Wunderbare am Leben ist, dass jeder Mensch von der Natur sein eigenes bekommt und damit anstellen darf, was immer er möchte. Falls er möchte.

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