Tatort Wien: "Abgründe":Wo Autos zu "Schlampenschleudern" werden

Tatort: Abgründe; "Tatort"

Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) im Wiener Tatort.

(Foto: rbb/ORF/Petro Domenigg)

Das Herausragende am Wiener Tatort sind die Ermittler. Ihr Miteinander wird intensiv und vollkommen kitschfrei vorgeführt. Da macht es nichts, dass die Geschichte dabei nicht so besonders ist.

Von Holger Gertz

Es ist nicht in erster Linie die Geschichte, die diesen Tatort besonders macht: Kinderfänger, die von Mitgliedern der besseren Gesellschaft gedeckt werden, kommen in der Reihe öfter vor. Das Herausragende an den Folgen aus Wien sind längst die Ermittler, Oberstleutnant Moritz Eisner und Major Bibi Fellner. Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser haben sich inzwischen derart aufeinander eingespielt, dass man den einen gleich vermisst, wenn die andere allein im verschneiten Panorama rumsteht. Zwei durchaus runtergelebte Menschen, die eher zaghaft gegen ihre Süchte kämpfen und auch sonst ziemlich alles gesehen haben. Bibi Fellner sagt es so: "Ich war schon auf beiden Seiten von der Tür."

Für "Angezählt" aus dem vergangenen Jahr sind die Wiener Grimme-nominiert, "Abgründe" ist ihr achter gemeinsamer Fall. Die Handlung lehnt sich an die Causa Kampusch. Ein Mädchen, Melanie, ist fünf Jahre im Verlies missbraucht worden, bevor es fliehen konnte; jetzt wird die Leiterin der damaligen Sonderkommission tot gefunden.

Es liegt viel in Trümmern, "wie's halt oft so spinnt, bei uns im schönen Österreich", sagt die Pathologin, die den Leberkäs an Ort und Stelle über der Metallschüssel verspeist. Regisseur Harald Sicheritz und Autor Uli Brée gelingt es, eine furchtbare Geschichte über Verdrängung und Vertuschung nicht im hohen Ton der Erregung zu erzählen, sondern eher leise und damit viel bedrohlicher.

Integrität gegen Schrecken

Eisner und Fellner halten dem Schrecken ihre Integrität entgegen, sie sind das Gegenmodell zu der Welt da draußen, sie kämpfen allein gegen alle, sie kämpfen füreinander. Dieses Zusammen-Sein wird selten so intensiv und gleichzeitig vollkommen kitschfrei vorgeführt wie von diesen Ermittlern hier, Brées Buch lässt Platz für Lakonie.

Eisner: "Bibi, wer stiehlt denn was bei der Polizei?"

Fellner: "Na, die Polizei."

Mutmachen funktioniert auch auf eine sehr prosaische Art, man muss in diesem Tatort keine Angst vor Klebrigkeiten haben.

Fellner: "Das war nicht unser bestes Verhör."

Eisner: "Wir ham schon schlechtere g'habt."

Man hört schöne Wörter: dass in Österreich eine Frau ihren Schwarm zum Beispiel nicht anmacht, sondern "anbrät". Dass man dort Schlampenschleuder zu einem Auto sagen darf, das nicht mehr fahren mag. Man erfährt, wie subtil sich Wärme mitteilt, und das Gegenteil von Wärme. Irgendwann sieht man Melanie, das Mädchen, das so lange eingekerkert war. Nur ganz kurz, durch einen Türspalt daheim. Seine Mutter, eine erloschene Frau, sagt: "Außer koid is' der Melanie gar nix mehr."

Es ist schon auch die Geschichte - also die Art, wie sie erzählt ist - die diesen Tatort besonders macht.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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