"Tatort"-Nachlese:Schrei doch

Tatort: Fürchte dich; Tatort Fürchte Dich

Sie hat in diesem "Tatort" allerhand Grund, Angst zu haben: Luise Befort als Merle in "Fürchte dich"

(Foto: HR/Benjamin Dernbecher)

"Fürchte dich", der neue "Tatort" aus Frankfurt, will Angst einjagen. Doch leider zerfleddert er wie eine schlecht zusammengebaute Zombie-Puppe.

Von Luise Checchin

Die Erkenntnis:

Es ist bei Kunstwerken mitunter wie bei Menschen: Je bemühter sie daherkommen, desto weniger will man etwas mit ihnen zu tun haben. Das gilt auch für Horrorfilme, beziehungsweise Horror-Tatorte. "Fürchte dich" schreit einem dieser schon im Titel entgegen und genauso anbiedernd und plakativ geht es weiter. "Ja, schrei doch", will man erwidern, "ich schau dann lieber noch mal die letzte Twin-Peaks-Staffel".

Darum geht es:

Ein alter Mann dringt nachts in die Villa von Kommissar Paul Brix ein und übergießt sich mit Benzin. Kurz bevor er sich anzünden kann, reißen ihn zombiehafte Arme zu Boden. Was ist da los? Kommissar Brix zeigt sich wenig irritiert. Auch die Tatsache, dass sich ein Kinderskelett auf seinem Dach befindet, das dort anscheinend seit den Fünfzigerjahren liegt, als die Villa noch ein Kinderheim war, überrascht ihn nur mäßig. Zusammen mit Merle, der Enkelin des alten, verwirrten Otto Schliens, macht er sich daran, den rätselhaften Fall zu lösen. Seine eigentliche Partnerin, Kommissarin Anna Janneke, stellt Brix derweil dazu ab, seine Mitbewohnerin Fanny zu beaufsichtigen. Die ist von dem Spuk nämlich deutlich stärker mitgenommen und mutiert nach und nach zur Besessenen.

Bezeichnendster Dialog:

Kommissar Brix trifft zusammen mit der jungen Merle bei sich zu Hause ein, wo seine Kollegin Janneke schon auf ihn wartet. Die Villa hat sich mittlerweile - dank Brix' Mitbewohnerin Fanny - in ein Horrorkabinett verwandelt.

Janneke: Ich musste die festbinden, weil die mich angegriffen hat. Die ist vollkommen durchgedreht. Die redet die ganze Zeit davon, dass man ihr irgendwas weggenommen hat, und dass sie jetzt dieses Mädchen dafür haben will. Warum ist die denn überhaupt hier? Ich hab dir doch ausdrücklich gesagt, du sollst sie nicht mit hierher bringen.

Brix: Wieso? Du hast mir doch am Telefon gesagt, ich soll sie zum Haus bringen.

Janneke: Hab ich nicht, die ist hier in Gefahr.

Brix: In welcher Gefahr denn?

Janneke: Das weiß ich nicht genau. Ich glaube, dass der Geist von Eleonore in Fanny ist.

Brix: Anna, wir sind Polizisten, du bist Psychologin, was ist denn mit dir los? Hörst du dir überhaupt zu? Der Geist von Eleonore! Du weißt ganz genau, dass es keine Geister gibt.

Top:

In einigen wenigen Momente hat "Fürchte dich" etwas angenehm Abgründiges. Da ist zum Beispiel die allererste Szene: Eine nächtliche deutsche Durchschnittsstraße ist zu sehen, auf der plötzlich der alte Otto Schlien auftaucht. Im Nachthemd, einen Benzinkanister in der Hand, hinkt er einem entgegen. Oder die alte Dame, die Brix und Merle in einem spießigen Oma-Café verhören. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr, die harmlose Gemütlichkeit um sie herum trügt. Und siehe da, auf einmal verschluckt sie sich an ihrer Schwarzwälder Kirschtorte und stirbt. In solchen Szenen bekommt das Alltägliche plötzlich etwas Bedrohliches. Unter der Normalität schwelt etwas Unerklärliches und genau diese subtile Verunsicherung ist es ja, die einen Horrorfilm wirklich gruselig macht.

Flop:

Leider ist es mit der Subtilität ansonsten nicht weit her in "Fürchte dich". Es gibt Türen, die urplötzlich aufreißen, bedeutungsschwangere Musik in Dauerschleife, den Geist einer verstorbenen Urgroßmutter und etwa alle zwei Minuten muss die schöne, unschuldige Merle entsetzt ihre Rehaugen aufreißen. Oha, denkt man zu Beginn, hier versucht sich ein Tatort ganz selbstreflexiv und parodistisch versiert am Horror-Genre abzuarbeiten. Zumal genau das in der Eingangssequenz ja angedeutet wird. "Heute Nacht erzähle ich Ihnen von einem der unheimlichsten Kriminalfälle meiner bisherigen Laufbahn", kündigt Kommissarin Janneke in theatralischer Ergriffenheit aus dem Off an, während gelbe Dunstschwaden bedrohlich durchs Bild wabern. Die direkte Ansprache und der Gruselgeschichtenton scheinen die Zuschauer dazu ermuntern zu wollen, eine distanzierte Haltung zum Geschehen einzunehmen. Doch genau diese Haltung bleibt der Film in seinem weiteren Verlauf schuldig.

Die ganze Zeit wartet man bei "Fürchte dich" auf Ironiesignale, auf ein Zeichen, dass es sich bei dieser überdrehten Ansammlung von Horrorbaukastenelementen um ein Spiel mit Klischees handeln könnte. Doch man wartet vergeblich. So bierernst, wie sich der Plot entwickelt, so vorhersehbar ist er auch. Im Kern geht es um eine Missbrauchsgeschichte, die ziemlich dünn und schnell erzählt ist. Aber weil ein Tatort anderthalb Stunden dauert und außerdem bald Halloween ist, wird das Ganze eben angereichert durch allerlei platte Gruselkaspereien. Weder verstörend noch lustig, zerfleddert "Fürchte dich" nach und nach wie eine schlecht zusammengebaute Zombie-Puppe.

Die Pointe:

Die Geister sind vertrieben, alle Fieslinge tot und das Skelett der kleinen Helga beerdigt. Merle und die Kommissare legen Blumen am Grab ab, während Jannekes Stimme noch einmal aus dem Off ein bisschen Schauermärchenstimmung heraufbeschwört: "Nach diesem Tag, diesen 24 Stunden meines Lebens, wird nichts mehr genauso sein, wie zuvor". Schön zu wissen, dass diese Geschichte zumindest irgendwen nachhaltig beeindruckt hat.

Die besten Zuschauerkommentare:

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