"Tatort"-Nachlese:Geld verdirbt den Charakter - gähn!

Tatort "Kleine Prinzen"

Tritt im Film nur als betörende Erinnerung im Video und als Leiche auf: Ava Fleury (Ella Rumpf Capron).

(Foto: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler)

Endlich mal kein "Tatort" zum Dauerthema Flüchtlinge: Die Schweizer Kommissare ermitteln im Umfeld eines Elite-Internats. Da ist viel Raum für Klischees.

Kolumne von Johanna Bruckner

Darum geht es:

Um "Kleine Prinzen", wie schon der Name der Schweizer Episode sagt. Die Prinzen sind in diesem Anti-Märchen Söhne von politischen Machthabern oder Wirtschaftsbossen. Deren moralischer Kompass ist von Geld und Privilegien verzerrt. Den Anfang nimmt die Geschichte mit dem Tod der schönen Prinzessin: Die Leiche von Ava Fleury, 18 Jahre, Tochter eines wohlhabenden Laborbesitzers, wird auf einer Landstraße gefunden. Schnell ist klar, dass die Schülerin nicht versehentlich überfahren, sondern erschlagen wurde. Wer ist der Täter: Avas Drogen dealender Ex-Freund, den sie verpfiff? Ihr aktueller Freund Fad Al-Numi, Sohn eines Emirs, der sich nach Avas Tod im Hotelzimmer seines Bruders verschanzt, der diplomatische Immunität genießt? Oder doch der Kunstlehrer, den Ava mit seiner Beziehung zu einer Schülerin erpresste?

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Kritikerin Katharina Riehl:

Bezeichnender Dialog:

Die Ermittler besuchen das Elite-Internat, in dem Ava Fleury gelebt hat.

Internatsleiterin Ammann: Diskretion muss einfach sein. Keine Presse, kein Rummel. Ist das möglich Herr Flückiger?

(Flückiger liest in der Schulakte des Mordopfers Ava Fleury und schweigt.)

Internatsleiterin Ammann: Frau ...?

(Ritschard schweigt ebenfalls.)

Internatsleiterin Ammann: Unsere Schule lebt vom guten Ruf. Vielleicht haben Sie es ja gelesen? Wir haben gerade hohen Besuch. Dank der Familie Al-Numi können wir eine neue Turnhalle bauen. Der Vorfall kann uns ruinieren.

Ritschard: Der Vorfall ist ein Mord.

Internatsleiterin Ammann: Schrecklich! (Schweigt.) Ich hatte nie ein gutes Gefühl bei Ava.

Ritschard: Wieso nicht?

Internatsleiterin Ammann: Hübsches Mädchen, hat allen den Kopf verdreht.

Ritschard: War Ihnen nicht recht?

Internatsleiterin Ammann: Sagen wir mal so: Sie hat die falschen Waffen eingesetzt, um ans Ziel zu kommen.

Die besten Zuschauerkommentare:

Beste Szene:

Endlich mal kein Krimi zum aktuellen Tatort-Dauerthema Flüchtlinge! Möchte man ausrufen, und schämt sich im gleichen Moment ein bisschen für diesen eskapistischen Stoßseufzer. Ganz auf Aktualität verzichtet diese Folge aber nicht: Passend zur Jahreszeit kommen bei den Ermittlern Frühlingsgefühle auf.

Kommissar Flückiger, selbst heiß verliebt, klingelt an der Wohnungstür von Kriminaltechnikerin Corinna Haas. Haas öffnet im Bademantel und mit verschmiertem Make-up die Tür, im Hintergrund läuft die Dusche. "Das könnte jetzt peinlich werden", sagt Haas. Und während sie mit dem Kollegen Flückiger noch darüber streitet, ob sie ohne offizielle Erlaubnis einen DNA-Abgleich machen soll, stürmt ein splitterfasernackter Mann in den Flur: "Hast du mal 'n Hand...?" Es ist Polizeipraktikant Silvan. Flückiger grinst - und der Zuschauer gleich mit. Bei all der Schwere der vergangenen Episoden tut ein bisschen pubertäres Kichern gut.

Flop:

Warum begegnen sich auf Polizeirevierfluren eigentlich immer Verdächtige und Opferangehörige? In diesem Fall: Lastwagenfahrer Loosli und Vater Fleury. So viel logistischer Zufall ist unglaubwürdig - und nervig. In die gleiche Kategorie fallen die holzschnittartigen verwöhnten Blagen, die die Tatort-Macher auftreten lassen. Mit Sätzen wie: "Mein Vater steht auf der Liste der hundert reichsten Schweizer - wozu brauch' ich Abitur?"

Natürlich braucht so viel Rotzlöffeligkeit einen heroischen Gegenpart. "Respekt ist mein zweiter Vorname", versichert Kommissar Flückiger, und meint das natürlich nicht ernst. Dafür diesen vor Selbstgefälligkeit strotzenden Satz leider schon: "Von mir aus kann er auch ein indischer Lord sein oder ein französischer Clochard - wenn er Dreck am Stecken hat, gibt's Haue."

Top:

Auch Internatsleiterin Ammann ist reichlich stereotyp geraten ("Stimmt die Leistung nicht, hilft auch kein Portemonnaie"). Die Inszenierung der gestrengen, auf Prestige fixierten Schuldirektorin wird aber wunderbar gebrochen durch das Gemälde, das in ihrem Büro hängt. Darauf zu sehen: ein Schädel und Gebeine. Wenn schon Klischee - dann wenigstens mit einem bösem Kommentar auf das menschenverachtende Leistungsdiktat versehen. Dazu passend werden im Elite-Internat nicht nur Drogen zur Realitätsflucht vertickt, sondern auch sauberer Urin - für die regelmäßig stattfindenden Tests.

Bester Auftritt:

Fabienne Hadorn als Corinna Haas. Optisch irgendwo zwischen Vivienne Westwood und Latte-macchiato-Mutti in Gummistiefeln. Gemütsmäßig mal Null-Bock-Teenagerin, mal desillusionierte Zynikerin. Wer wäre also besser geeignet als moralische Instanz? Als es ins Elite-Internat geht, kommentiert Haas: "Dann mal auf zu den schönen, reichen, künftigen Diktatoren."

Die Erkenntnis:

Geld regiert die Welt und verdirbt den Charakter. Gähn.

Die Schlusspointe:

Der Mord an Ava, erfährt der Zuschauer in einer Rückblende, wurde mit einer Magnumflasche Champagner begangen. Geld tötet also auch - das ist, je nach Betrachtungsweise, ein weiteres Klischee. Oder eine ziemlich gute Pointe.

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