Tatort München "Aus der Tiefe der Zeit":Fühlbares Lebenstempo

Tatort; "Tatort" aus München

Der Münchner "Tatort" erzählt vom Untergang der reichen Familie Holzer.

(Foto: BR/Frederic Batier)

Wie gerecht ist Reichtum? Um diese Frage dreht sich der Münchner "Tatort". Das Tempo, in dem die Geschichte erzählt wird, ist irre, den Zuschauern wird viel abverlangt. Aber wer es schafft, sich zu konzentrieren, wird mit einer sehr mutigen Folge belohnt.

Von Holger Gertz

Zwei Sequenzen kennzeichnen diesen Tatort von Dominik Graf, die erste ist gleich der Vorspann nach der Tatort-Titelmusik. Blick in die Stadt München. Ein Riesenrad. Die Bahngleise. Bürotürme am Tag, Bürotürme nachts, sie funkeln wie Edelsteine. Treibende Musik. Da liegt ein ausgemergelter Mensch, und ein Mädchen mit rosa Mütze schaut ins Licht. Wolken fliegen vorbei, Brücken, Mauern. So ist die Welt, die einer aus dem Autofenster sieht, wenn sein Wagen sich überschlägt.

Regisseur Graf und Autor Bernd Schwamm erzählen eine Geschichte, die am Anfang so klingt wie eine Klage über Gentrifizierung und Luxussanierungen, ein Gruß an das gemütliche München, das sich so sehr verändert. Der Tatort zeigt nicht, wie sich das anfühlt, wenn das Lebenstempo Fahrt aufnimmt, - er macht es fühlbar: schnelle Schnitte, hektische Zooms, ein insgesamt irres Tempo. Die Geschichte entwickelt sich zu einer Erzählung über die reiche Familie Holzer, sie dokumentiert deren Untergang. Und sie stellt eine Frage, die über dem Familienthema genauso liegt wie über dem Überlebenskampf von armen Stadtvierteln: Wie gerecht ist Reichtum?

Momente, die man im Fernsehen selten findet

Graf verlangt seinem Publikum alles ab. Jeder Eintrag im Notizbuch kann wichtig sein, jeder Schwenk auf einen Wandkalender. Wer imstande ist, sich zu konzentrieren, wird beschenkt mit Momenten, die er im Fernsehen selten findet.

Die zweite kennzeichnende Sequenz ist, spät im Film, das Verhör eines alten Mannes. "Es war so kalt, so kalt", sagt der Alte. Man hört ihn reden und sieht dazu die Bilder vom Anfang, das Mädchen mit der Mütze, den ausgemergelten Menschen; Notizzettel, Fotos aus alter Zeit, Flüche und Fragen und Gesprächsfetzen, die sich überlagern. Die Musik klingt wie ein Klagechor. Wie sich hier Wort und Bild und Ton verdichten zu einer Stimmung - das vergisst man nicht.

Ein hervorragend inszenierter, extrem mutiger Tatort, der manchmal sogar heimelig wird. "Essen muss der Mensch", sagt Kommissar Batic. Aber nicht mal dieser Satz ist so dahingesagt.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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