"Tatort"-Kolumne:Gelee loyal

Erster Einsatz für Paul Brix und Anna Janneke in Frankfurt - die sich zum Glück nicht erst umständlich finden müssen. Sie teilen gleich die Pizza miteinander.

Von Holger Gertz

Die ersten Szenen eines neuen Kommissarpaares sind wie die ersten Sätze einer Geschichte. Sie geben den Ton vor, sie skizzieren, ohne zu verraten. In Frankfurt ist der alkoholkranke Misanthrop Frank Steier nicht mehr im Dienst, sein Nachfolger ist ganz anders. Steier heißt jetzt Brix. Dieser Paul Brix wohnt in einer Art Gewächshausdschungel zur Untermiete. Als seine neue Kollegin Anna Janneke ihn dort abholt, sieht er sie nicht an und sagt nichts zu ihr, und schließlich formuliert Frau Janneke, was jeder sowieso begriffen hat: "Sie sind ja ein Morgenmuffel, wie er im Buche steht." Mit ersten Szenen ist es wie mit ersten Sätzen: Es lastet so viel Erwartung auf ihnen, da geraten sie manchmal zu plakativ.

Die Geschichte entwickelt sich dann aber anders. Zum Glück nicht noch mal zwei Kommissare, die sich umständlich finden müssen: Brixens Morgenmuffeligkeit ist kein Hinweis auf ein Trauma, der Kommissar schläft halt gern länger. Das von Wolfram Koch und Margarita Broich gespielte Gespann ist sofort sehr loyal bei sich und bereit, die Pizza miteinander zu teilen. Der Fall bindet alle Konzentration, der Fall ist ja heftig. In einem Haus sind Vater, Mutter, Sohn ermordet worden. Die Tochter fehlt, auch die Nachhilfelehrerin. Wo sind sie? Herrlich ist bei der Fahndung zum Beispiel der Paketbote, der alles nachkauft, was er austrägt - weil er glaubt, dass er auf diese Weise auch so glücklich werden kann wie die Menschen, denen er die Post bringt. Aus deren Wohnungen duftet es immer so gut, wenn die Tür sich für ihn kurz öffnet.

Regisseur Florian Schwarz und Autor Michael Proehl haben die herausragenden Episoden "Weil sie böse sind" und zuletzt "Im Schmerz geboren" mit Tukur gemacht, und dass der HR als wahre Heimat des Formats gilt, ist auch ihr Verdienst. Diesmal franst die Geschichte allerdings aus, sie ächzt und zieht sich in der Mitte. Zu viele Ideen schaden einer Story so sehr wie zu wenige. Und das ist schade, denn Musik, Ästhetik und Bildsprache sind angenehm weit entfernt vom Gewohnheitstatort. Splitscreen, Flashs und Reflexionen: Man kriegt nichts erzählt, man erlebt mit, wenn der Kommissar plötzlich in der Vergangenheit an Tischen sitzt, an denen er nie saß, und den Obstkuchen isst, den er nie aß. Man kann ihn essen, aber er könnte besser sein.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr

"Tatort"-Kolumne: undefined
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: