"Tatort" aus Kiel:Verlieren und Verlorensein

Tatort: Borowski und die Kinder von Gaarden; Tatort Borowski und die Kinder von Gaarden Kiel

Die Wohnungen sehen aus, als ob es da schlecht röche: Borowski (Axel Milberg) und Leon (Amar Saaifan) in "Borowski und die Kinder von Gaarden".

(Foto: NDR/Christine Schroeder)

Keine neukaledonischen Organhändler, dafür einfach mal Kaffee und Kekse vor Billigfernsehen: Borowskis neuer Fall erinnert an die frühen Schimanski-Folgen. Und liefert die dämlichste Anmache aller Zeiten.

Von Holger Gertz

Gelegentlich will das Publikum auch mal wieder verschont werden von Tatort-Abenteuern, in denen neukaledonische Organhändler eine Rolle spielen oder Machenschaften des transnistrischen Geheimdienstes. So gesehen führt die Episode "Borowski und die Kinder von Gaarden" das Format an seine Wurzeln zurück. Kein Thriller, kein Experiment, eher ein Sozialdrama, wie man es aus frühen Geschichten zum Beispiel mit Schimanski kennt.

Kommissar Borowski (Axel Milberg) ermittelt im Milieu verwahrloster Kinder, sie leben im Kieler Brennpunktbezirk Gaarden. Die Wohnungen sehen aus, als ob es da schlecht röche, nicht nur in der Rumpelkammer des pädophilen Rentners Onno Steinhaus. Herauszufinden ist, wer ihn erschlagen hat.

Rauchende Hausfrauen rennen nachmittags im Morgenmantel rum, in der Kaschemme scheppert eine Gebrauchsversion von "La Paloma". Die Jungs wollen Matrose werden, aber es gibt keine Jobs, außerdem heißen Matrosen ja jetzt Schiffsmechaniker. Das Billigfernsehen - Heimsuchung aller Heimsuchungen - ist immer auf Sendung, und die Menschen teilen sich Kaffee und Kekse schon mal mit ihrem bei Tisch bettelnden Mops.

Was im Netz herumschwirrt

Ein klassischer Whodunit (Regie: Florian Gärtner; Buch: Eva und Volker Zahn), der Zuschauer arbeitet gemeinsam mit den Ermittlern die Verdächtigen ab. Diese Versuchsanordnung ist übersichtlich, aber die Abgründe der Charaktere werden nicht so gründlich ausgeleuchtet wie in den Borowski-Fällen, die von Sascha Arango geschrieben sind. Dort kennt der Zuschauer den Täter ziemlich schnell, dort steht immer die größere Erwägung im Raum: Was macht die Tat mit dem Täter?

Über dem aktuellen Fall schwebt dagegen mal wieder die Frage: Wie bekommt es Borowskis Mitarbeiterin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) eigentlich immer hin, Versatzstücke aus dem Internet zu klauben, die sich so abenteuerlich passgenau in die Handlung fügen? "Ich habe eine Kollegin, die alles findet, was im Netz herumschwirrt", sagt Borowski, der mit dem Netz spürbar nichts anfangen kann. Okay, man kann Fische damit fangen.

Dämlichste Anmache aller Zeiten

Trotz ihres schwer konventionellen Ansatzes entwickelt diese gut recherchierte Episode einen gewissen Sog. Liegt auch am Personal, Kekilli und Tom Wlaschiha spielen beide auch in Game of Thrones. Wlaschiha ist in Kiel der abgehalfterte Provinz-Sheriff Thorsten Rausch, genannt Rauschi; alter Kumpel übrigens von Knacki. Rauschi liefert gleich mal die dämlichste Anmache aller Zeiten.

Rauschi: "Du kannst nicht abschalten, oder?"

Sarah Brandt: "Ich hab den Knopf noch nicht gefunden."

Rauschi: "Wenn du willst, helf' ich dir beim Suchen."

Die Geschichte beschleunigt sich zum Ende hin, sie gewinnt. Und es sind gerade die Kinder von Gaarden, die den Film über die Kinder von Gaarden sehenswert machen. Sie spielen das nicht einfach runter. Sie berühren. Einer ist dabei, der hat den Hund des Toten in Pflege. Und wie der Kleine die ganze Zeit mit dem großen Hund hierhin läuft und ihn dorthin zerrt, und wie beide dauernd und überall und von jedem verscheucht werden: Das erzählt, ganz beiläufig, viel übers Verlieren und Verlorensein.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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