"Tatort" aus Hamburg:Wenn die Verhörer zu Verhörten werden

Tatort: Alles was Sie sagen; Tatort Alles was Sie sagen

Wer sagt hier die Wahrheit und wer lügt? Das Ermittler-Team Julia Grosz (Franziska Weisz) und Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) im neuen "Tatort" aus Hamburg "Alles was Sie sagen".

(Foto: NDR/Christine Schroeder)

Ein Fall, zwei Kommissare und viele Versionen derselben Geschichte: Der neue "Tatort" aus Hamburg ist ein klug konstruiertes Kammerspiel, das sein Publikum gekonnt blendet.

Von Luise Checchin

Die Erkenntnis:

Dauergereizte, sich gegenseitig ankeifende Kommissare sind ein Topos, den es gemeinhin zu vermeiden gilt, wenn man einen einigermaßen interessanten Tatort produzieren möchte. Der neue Hamburger Tatort besteht nun zu einem großen Teil aus Szenen, in denen man den dauergereizten Kommissaren Thorsten Falke und Julia Grosz dabei zusieht, wie sie sich gegenseitig ankeifen. Trotzdem ist "Alles was Sie sagen" ein mehr als einigermaßen interessanter Tatort geworden. Denn hier hat die schlechte Laune der Ermittler ausnahmsweise mal eine Funktion.

Darum geht es:

Dieser Tatort ist als klassisches Kammerspiel angelegt. Es setzt ein, als der Fall der beiden Bundespolizisten Thorsten Falke und Julia Grosz bereits abgeschlossen und - augenscheinlich - vermasselt ist. Eine interne Ermittlung soll aufklären, wie es dazu kommen konnte. Und so kann man nun die Kommissare dabei beobachten, wie sie in schummrig beleuchten Verhörräumen sitzen und widerwillig aus der Rückschau von ihren Ermittlungen erzählen: Die beiden waren nach Lüneburg geschickt worden, um die Identität des syrischen Geflüchteten Abbas Khaled zu überprüfen, der im Verdacht stand, in seiner Heimat Mitglied einer verbrecherischen Miliz gewesen zu sein.

Doch irgendwo muss ihnen ein Fehler unterlaufen sein, schließlich beginnt "Alles was Sie sagen" mit einem nächtlichen Einsatz, bei dem verschiedene Polizeieinheiten unabgesprochen am selben Ort agieren und an dessen Ende die Schwester des gesuchten Khaleds erschossen am Boden liegt. Hat Falke geschossen? Was lief zwischen seiner Kollegin Grosz und dem Lüneburger Polizisten Olaf Spieß? Was hatte der Geflüchtete Khaled mit dem Lüneburger Drogenboss zu schaffen? Und gibt es tatsächlich einen Maulwurf bei der örtlichen Polizei, der mit eben diesem Drogenboss zusammenarbeitet? Der Chef der Lüneburger Polizei, Joachim Rehberg, befragt Falke und Grosz getrennt voneinander und erhält zunächst recht widersprüchliche Versionen der Ereignisse.

Bezeichnender Dialog:

Das Verhör dauert schon eine Weile, Kommissar Falke hat gerade erklärt, wie ihm der Geflüchtete Khaled bei dem nächtlichen Einsatz entkommen konnte. Doch Rehberg, der Chef der Lüneburger Polizei, glaubt ihm nicht.

Rehberg: Warum haben Sie die Kollegen nicht angefunkt? Wo ist Khaled entkommen? Warum hat das so lange gedauert, bis Sie uns informiert haben?

Falke: Soll ich das in der Reihenfolge beantworten oder gibt es eine Frage, die Ihnen besonders am Herzen liegt?

Rehberg: Ganz wie Sie wollen.

Falke: Weil ich befürchten musste, dass eine Meldung bei der falschen Person landet. Verstehen Sie?

Rehberg: Die undichte Stelle, die wir angeblich haben. Darf ich Ihnen ein Gegenszenario anbieten?

Falke: Bitte.

Rehberg: In diesem Szenario gibt es einen Bundespolizisten, der sein Temperament nicht im Griff hat. Der zudem zwei Tage und Nächte vergeblich einen Flüchtigen sucht, um dann völlig übermüdet auf einen nicht genehmigten Einsatz zu gehen. Der eine Partnerin hat, auf die er sich nicht verlassen kann. Eine Partnerin, die an einem Kriegstrauma leidet, die hauptsächlich an einer alten Jugendliebe interessiert ist, und die ihren Partner hintergeht und anlügt.

Falke: Gefällt mir nicht, Ihr Szenario.

Flop:

Es gibt eine Szene in diesem Tatort, da beschimpft Kommissar Falke einen Mann, weil der den Müll nicht richtig trennt. "Der schmeißt alles in eine Tonne, ich fasse es ja nicht!", ruft Falke. Der Mann kann das nicht hören, Falke sitzt neben Grosz im Polizeiauto und ist dabei, ihn zu überwachen. "Falke, ich seh's", entgegnet Grosz nur genervt. Als Zuschauerin kann man durchaus auch genervt sein von so viel schlechter Stimmung und Misskommunikation zwischen den Ermittlern. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Szenen, in denen man Grosz und Falke beim Streiten zuschauen kann, doch sehr gekünstelt daherkommen. Noch floskeliger wirken eigentlich nur die Momente, in denen Grosz mit Olaf Spieß, ihrem Bekannten bei der Lüneburger Polizei, anbandelt. Es lohnt sich freilich trotzdem, "Alles was Sie sagen" bis zum Ende anzuschauen.

Top:

Das Ganze wirkt nämlich nicht nur gekünstelt, es soll gekünstelt wirken. Dieser Tatort will sein Publikum blenden, und das gelingt ihm wirklich gut. Da ist auf der einen Seite der Lüneburger Polizeichef mit seinen nüchternen Fragen und der randlosen Brille, der einem mit seiner Genauigkeit zwar auf die Nerven geht, aber trotzdem Vertrauen einflößt. Und da sind auf der anderen Seite die Kommissare Grosz und Franke, die sich immer stärker in Widersprüche verstricken und deren gegenseitige Antipathie einem aus den vorhergegangenen Episoden schon vertraut ist. Irgendetwas muss bei diesem Fall schiefgelaufen sein, denkt man, die Frage ist eben nur, welcher der Ermittler lügt.

Der Witz ist nun allerdings, dass beide lügen. Alles, was sie Rehberg erzählen - von den internen Streitereien, von Grosz' Affäre - war abgesprochen, und hatte den alleinigen Zweck, diesen in die Irre zu führen. Denn der Maulwurf in der Lüneburger Polizei ist der Polizeichef selbst. Rehberg hat sich vom Drogenboss kaufen lassen und alle Ermittlungen gegen diesen torpediert. Während Grosz und Franke also ihre Märchen erzählen, planen die eingeweihten Lüneburger Kollegen die Überführung des Drogenbosses. Und als der durch die Mithilfe des Geflüchteten Abbas Khaled festgenommen ist, haben die Kommissare das Vergnügen, Rehberg selbst zu überführen. Und dann, ja dann dreht Grosz das Aufnahmegerät einfach um und sagt einigermaßen lässig zu Rehberg: "Alles, was Sie jetzt sagen, kann gegen Sie verwendet werden." Der Verhörer wird zum Verhörten. Ein ziemlich cooler Move am Ende eines ziemlich klug konstruierten Tatorts.

Die Pointe:

Der Geflüchtete Abbas Khaled darf ins Zeugenschutzprogramm und die Kommissare üben sich in liebevollen Kabbeleien. "Sag niemals Juli zu mir", droht Grosz ihrem Kollegen Falke, und bietet ihm dann - nach immerhin vier gemeinsamen Fällen - endlich an, sie Julia zu nennen. Es gibt doch kaum etwas, was zwei Menschen stärker zusammenschweißt, als das Vergnügen, sich gegen einen Dritten zu verschwören.

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