Talkshow über Flüchtlinge:Söder entwischt der Dompteurin

Maybrit Illner lässt über "Zuwanderung ohne Grenzen" diskutieren. CSU-Scharfmacher Markus Söder gibt sich zahm, die abwesende Kanzlerin attackieren andere.

TV-Kritik von Hans Hoff

Irgendwo am Rande des Fernsehstudios muss ein Topf mit Kreide gestanden haben. Aus dem hat sich Markus Söder vor der Talkshow reichlich bedient, und seitdem sondert er mit beinahe samtener Stimme Staatstragendes ab. Irgendwer scheint ihm noch gesagt zu haben, dass er, der sonst so gerne den Scharfmacher vom Dienst gibt, besser beraten ist, wenn er allzu klare Antworten vermeidet.

Wenn also die Moderatorin Maybrit Illner wissen will, ob die CSU denn nun wirklich die Kanzlerin in Flüchtlingsangelegenheiten mit einer Verfassungsklage zur Raison bringen wolle, erzählt Söder lieber was vom Sicherheitsgefühl der Bürger, das es wahlweise wiederherzustellen oder zu stärken gelte. Mehr Polizei will er und nationale Lösungen. Aber er poltert ausnahmsweise mal nicht, er schnurrt. Die Moderatorin lässt ihm das durchgehen.

Illner zähmt ihre Gäste mit Blicken und Gesten

Das verwundert, denn Maybrit Illner wirkt an diesem Donnerstag ansonsten sehr konzentriert. Sie ist in ihrer Show die Herrin des Wortes, die Verbal-Dompteurin, die in der Mitte der Manege hockt und mit brillantem Timing bestimmt, wer wann durch welchen Reifen zu springen hat. Das Verwunderliche daran: Die angereisten Meinungstiger folgen ihr weitgehend brav.

Illner hat keine Peitsche dabei. Sie domestiziert die ihr Anvertrauten mit Blicken und Gesten. Einmal hat ein Gast etwas gesagt, und das Publikum applaudiert. Währenddessen sitzt Illner mit geschlossenen Augen am Tisch, die Hände gefaltet vor ihrem Gesicht. Sie konzentriert sich für eine Sekunde, und als der Beifall gerade so heruntergefahren ist, dass man wieder verstanden werden kann, löst sie sich aus der Bethaltung und streckt ihren Zeigefinger als klaren Imperativ in Richtung des nächsten von ihr gewünschten Redners. Die Antwort kommt brav, wenn auch selten mit der wünschenswerten Präzision.

Illner hat das sehr offensichtlich im Griff, dieses Gerede. Sie bestimmt zumindest, wo es hingeht. Sie hat an diesem Abend die Richtlinienkompetenz. Auch wenn das Thema gewohnt schwammig ausfällt. "Zuwanderung ohne Grenzen - bleibt Merkel nur die Wende?", lautet es, und natürlich geht es um das, was die Kanzlerin will und das, was die CSU zu verhindern sucht.

Als Merkel-Verteidiger ist an diesem Abend der CDU-Politiker Ruprecht Polenz geladen, der sich vor allem in Besonnenheit übt, dessen Aussagen sich im Wesentlichen in dem Bekenntnis zusammendrängen, dass es noch Zeit brauche, dass er die Dringlichkeit, von der rundherum gesprochen werde, durchaus sehe, dass man große Lösungen aber nicht durch Kleinlichkeiten gefährden dürfe, dass man auf keinen Fall den Balkan destabilisieren und wieder Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lassen wolle. Ein wenig wirkt das, als übernehme Polenz die Rolle, die Kanzleramtsminister Peter Altmaier am Sonntag zuvor bei Anne Will okkupiert hatte. Er betet die Dinge der Kanzlerin gut herunter. So gut es eben geht.

Das provoziert ein wenig die anderen Gäste, die dann kurioserweise Söder für eine Weile gar nicht so sehr ins Visier nehmen, sondern lieber die abwesende Kanzlerin. Die müsse sich spätestens bis zum März entscheiden, was sie nun wolle, sagt der Politikberater Michael Spreng, der von einem Schicksalsmonat März spricht und dann schließlich doch noch den Wolf im Schafspelz unter leichtes Feuer nimmt. "Die CSU hat politisch nichts erreicht. Das Einzige, was sie erreicht hat, ist eine Schwächung der Kanzlerin", sagt er in Söders Richtung, während Katja Kipping mantraartig eine Millionärssteuer zur Finanzierung der Flüchtlingsfragen fordert.

Irgendwie dabei ist auch der Verfassungsrechtler Ulrich Battis, der durch ein paar kurze verbale Erregungszustände auffällt, aber ansonsten nicht ausschaut wie einer, der eine klare Richtung vorzugeben hat.

Söder salbadert

Das lässt Söder Raum zum Salbadern. Die kleinen Leute müssten die Integration bezahlen, fabuliert er, und dann lehnt er sich verbal reichlich bräsig zurück und stellt grinsend sein Selbstbewusstsein zur Schau. "Wo lebt sich's besser, in Bayern oder in Berlin", fragt er, nachdem jemand die bayerische Verwaltung für ordentliche Arbeit gelobt hat.

Aber dann ist da wieder Illner. Sie will von Söder wissen, warum sein Parteikollege Dobrindt die Kanzlerin gerade so frontal kritisiert habe. "Es darf auch ein Bundesminister eine Meinung haben", sagt Söder und weicht damit natürlich einer wirklich klaren Antwort aus. In einem solchen Fall rollt Illner leicht mit den Augen, weil sie natürlich merkt, dass ihr Gegenüber sie gerade wieder auf einen Allgemeinplatz gelockt hat. Sie weiß das, sie ist offensichtlich gut im Diagnostizieren von Situationen. Das Problem ist allein, dass ihr der Rezeptblock abhandengekommen scheint. Sie deckt auf, kann aber nicht wirklich etwas verschreiben, das zur Heilung taugt.

Wie wäre es mal mit einer Verbalentgleisung?

Noch ein Versuch. "Möchten Sie Verfassungsklage einreichen", fragt sie, und Söder sagt: "Das ist nicht das Ziel." Daraufhin hakt sie dann doch mal härter nach. "Warum drohen Sie mit der Verfassungsklage, wenn Sie nicht vor Gericht ziehen wollen", lautet ihre Frage, doch als ihr Söder mit einer Larifariantwort erneut entgleitet, gibt sie auf.

Sie hat halt auch sonst zu tun. Illner muss die Bande im Griff behalten, sie muss zuhören, Stimmungen erkennen, und sie muss unangemeldete Einwürfe abbügeln. Wortgeplänkel von Kontrahenten lässt sie nur kurz zu, eine halbe Minute vielleicht. Dann macht sie wieder klar, dass sie hier die ist, die leitet. Hier wird nicht durcheinander geredet.

Sie fasst Zwischenstände zusammen, sie ergänzt flott, wenn ihr jemand zu langatmig antwortet. Nach einer Dreiviertelstunde holt sie einen Flüchtlingshelfer dazu. Der berichtet von Flüchtlingen, die kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland enttäuscht den Wunsch äußern, wieder zurückkehren zu dürfen. Das allerdings funktioniere oft nicht, weil niemand ihre Pässe finde. Die Rückkehrwilligen müssten dann Monate auf ihre Pässe warten, und eines Tages stehe schließlich die Polizei vor der Tür, um sie auf die rabiate Tour abzuschieben. Es sind bedrückende Schilderungen, die indes keinen Eingang finden in die Beiträge der anderen Gäste.

Als Polenz mal wieder redet, keimt für einen Moment der Gedanke, was eigentlich passierte, wenn es nun just in dieser Talkshow eine heftige Verbalentgleisung geben würde, eine, die taugte für eine Beschwerde an den ZDF-Fernsehrat, deren Vorsitzender Polenz ist. Ja, so etwas interessiert in Zeiten, da sich im Südwesten der Republik die Frage stellt, wie Parteien und Sender miteinander umgehen in Wahlzeiten.

Aber das ist nur eine kurze Idee, eine, die sofort wieder schwindet, wenn Illner erneut Präsenz zeigt. Sie ist wieder zu sehen mit erstarrtem Zeigefinger, den sie so lange in der Luft hält, dass man ihn dort festgewachsen wähnt. Dann liefert sie noch das sozialpädagogische Hab-ich-verstanden-Mmmh dazu und unterstreicht es mit einem "Absolut". Diese Frau weiß, was Sache ist, soll das heißen.

Wenn sie das so genau weiß, wird sie nach der Stunde auch wissen, dass sie zwar eine gute Dompteurin im Talkzirkus war, dass es ihr aber trotzdem nicht gelungen ist, nennenswerte Antworten herauszukitzeln. Man hat geredet, mehr nicht. In gemäßigter Art immerhin. Das ist ja schon was in Zeiten, da in den asozialen Netzwerken die Trolle den rüden Ton angeben. Man kann sich noch zivilisiert unterhalten, lautet die Botschaft, die dann in einem finalen "bleiben Sie heiter, irgendwie" der Moderatorin endet. Maybrit Illner geht ab. Sie hat ihren Job ordentlich erledigt. Nicht perfekt, aber immerhin besser als andere. Viel mehr darf man sich in diesen Zeiten wohl kaum wünschen.

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