Tagung des "Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit":Verdacht in Zeiten des Internets

Eine Tagung in Bamberg hat sich am vergangenen Wochenende mit der Frage befasst, wann Journalismus Skandale enthüllt und wann er Betroffene an den Pranger stellt. Die Fälle Kachelmann, Wulff und Guttenberg waren dafür die besten Beispiele.

Helmut Kerscher

Natürlich geht es beim Thema Verdachtsberichterstattung nicht ohne die höchst unterschiedlichen Aufreger-Fälle der jüngsten Vergangenheit: Ohne den wegen Vergewaltigung angeklagten und freigesprochenen Moderator Jörg Kachelmann, ohne Christian Wulff und seine Frau Bettina, ohne die Plagiatsvorwürfe gegen den Politiker Guttenberg und die Bildungsministerin Schavan sowie den inzwischen zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilten früheren BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky. Bei allen diesen Fällen standen am Anfang ein Verdacht und die Medien, die darüber berichteten. Und bei allen Fällen geht es um die Frage, wie journalistisch über Vorwürfe und belastende Recherchen berichtet werden kann, bevor Gerichte diese Vorwürfe geprüft haben.

Eine Bamberger Tagung des "Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit" hat sich am vergangenen Wochenende mit der Frage befasst, wie die Verdachtsberichterstattung dem öffentlichen Interesse, den Medien und den Betroffenen gerecht wird. Im Verlauf der Tagung ist ausgerechnet ein besonders kritischer Kenner der Verdachtsberichterstattung in Verdacht geraten: Rechtsanwalt Gernot Lehr (Bonn), der die Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff und Johannes Rau vertreten hat, schien die Verdachtsberichterstattung dramatisch zugunsten der Betroffenen und zulasten der Medien einschränken zu wollen - durch eine Verschärfung der Sorgfaltspflichten bis hin zur Forderung, das Journalisten die Sachlage nicht werten dürfen.

Nach herber Kritik von Wissenschaftlern und Praktikern sah sich der Anwalt zu einer Klarstellung in eigener Sache veranlasst: Er wolle nur die Position von Betroffenen stärken, ziehe aber die Notwendigkeit einer Verdachtsberichterstattung "nicht im Ansatz in Zweifel".

"Kern der Kommunikationsfreiheit"

Damit hatte die Tagung eine gemeinsame Basis gefunden: Die Berichterstattung der Medien über unbewiesene, gegen eine Person gerichtete Verdächtigungen ist unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, ja sogar gewünscht. Sie gehöre zum "Kern der Kommunikationsfreiheit", erklärte Rechtsanwalt Emanuel H. Burkhardt (Stuttgart) als Tagungsleiter. Sie sei Teil der öffentlichen Aufgabe der Medien, über Verfehlungen und Missstände zu berichten - nicht nur über mögliche Straftaten, sondern auch über anderes Fehlverhalten. Verdachtsberichterstattung gebe es täglich in allen Medien. Wegen der damit verbundenen Prangerwirkung für die Betroffenen müsse das rechtliche System für einen angemessenen Ausgleich der Interessen von Betroffenen und Medien sorgen.

Die für die Verdachtsberichterstattung von den Gerichten entwickelten Kriterien erläuterte Rechtsanwältin Karin Rinsche von der Rheinischen Post Mediengruppe Düsseldorf. Sie skizzierte die vier "sehr hohen Zulässigkeitsanforderungen" zum Schutz der Betroffenen: Die Presse müsse sich auf einen "Mindestbestand an Beweistatsachen" stützen; dem Betroffenen müsse regelmäßig eine "Gelegenheit zur Stellungnahme" eingeräumt werden; die Darstellung dürfe keine Vorverurteilungen enthalten; das Thema der Berichterstattung müsse ein "Gegenstand berechtigten öffentlichen Interesses" sein. Die Praxis kommt mit diesen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ganz gut zurecht. Aber es bleibt genügend Raum für unterschiedliche Interpretationen und damit für Prozesse. So bestätigte Rinsche eine "zunehmende Klagefreudigkeit der Verdächtigten" einerseits und eine gewisse "Selbstbeschränkung" der Presse andererseits.

Rolle der Staatsanwaltschaft und des Internets

Diese Entwicklung ist in vollem Gang, zumal einige Instanzgerichte die Hürden für eine rechtmäßige Verdachtsberichterstattung gerne höher legen. Sie werden manchmal vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundesgerichtshof korrigiert. Rinsche warnte davor, die Sorgfaltsanforderungen weiter zu verschärfen und die Meinungsfreiheit zu beschränken. So gebe es Streit über die Dokumentationspflicht von Journalisten, über die Namensnennung von Betroffenen oder über den Umfang der "Gelegenheit zur Stellungnahme" innerhalb einer Frist. Mit taktischen Finessen könne die Berichterstattung verzögert, behindert oder vereitelt werden.

Das sah ihr Anwaltskollege Lehr anders. Er sprach von einer "Konfrontationspflicht", die auch dann erfüllt werden müsse, wenn mit einem rechtlichen oder publizistischen Gegenschlag des nun gewarnten Betroffenen gerechnet werden müsse. Journalisten dürften auf eine Konfrontation nicht mit dem Argument verzichten, dass bei Skandalen im politischen Bereich regelmäßig keine Stellungnahme zu erwarten sei. Die erfahrene Presserechtsanwältin Renate Damm (Hamburg) störte sich schon am Wort "Konfrontation" und erst recht an der starren Pflicht dazu, die auch der Spiegel-Journalist Thomas Darnstädt ablehnte.

Bei manchen Anfragen würde man "am liebsten lügen"

Und was sagen Staatsanwälte, die nicht erst seit dem Fall Kachelmann wegen zu offenherziger Mitteilungen über Ermittlungsverfahren in der Kritik stehen? Oberstaatsanwältin Ina Holznagel (Dortmund) berichtete in Bamberg plastisch über ihre acht Jahre als Pressesprecherin. Bei manchen Anfragen von Journalisten würde man "am liebsten lügen" oder "Kein Kommentar!" sagen, gab sie zu. Das sei aber wegen des Auskunftsrechts der Presse nicht möglich. Holznagel rückte beiläufig Klischees über das Entstehen von Verdachtsberichterstattung gerade: Quelle sei häufig nicht die Staatsanwaltschaft, sagte die Oberstaatsanwältin, sondern ein Informant aus dem Umfeld eines Betroffenen, ein Geschädigter oder ein Zeuge.

Außer der Rolle der Staatsanwaltschaft wurde in vielen Beiträgen auch die Rolle des Internets thematisiert. Wie üblich zeigte sich eine gewisse Ratlosigkeit der Juristen gegenüber der Macht und den Gefahren des Web - in diesem Fall seiner Rolle bei der Entstehung und Verbreitung von Verdächtigungen. Unwidersprochen blieb Lehrs Feststellung, dass die stigmatisierende Wirkung eines in den Medien geäußerten Verdachts durch das Internet potenziert werde.

Er leitet aus der "Verstärkerwirkung des Internets" die Forderung nach schärferen Sorgfaltspflichten der Medien ab. Das wiederum wies der Medienrechtler Matthias Cornils (Mainz) entschieden zurück. Sinngemäß argumentierte er: Man könne den Journalismus nicht dafür verantwortlich machen, was das Internet daraus mache. Sicher ist jedenfalls: Das Thema "Der Verdacht in Zeiten des Internets" hat eine große Zukunft.

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