Streit um "Arte"-Doku:"Wurstigkeit, Feigheit, oder 'antizionistisches' Ressentiment"

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"Arte" wollte nach eigenen Angaben eine Doku über den Antisemitismus in verschiedenen mittel- und nordeuropäischen Ländern zeigen, doch den Film, den der Sender bekommen hat, hält er ungeeignet für die Ausstrahlung. (Symbolbild) (Foto: picture alliance / AP)

Ein Film über Antisemitismus, den "Arte" bestellt hatte und nun nicht ausstrahlen will, wird zum Politikum. Der Vorwurf der Zensur steht im Raum.

Von Claudia Tieschky

Von der Existenz dieses Films erfuhr die Öffentlichkeit gleich zusammen mit einem klaren Urteil. "Die Sache stinkt zum Himmel", so begann der Historiker Götz Aly Anfang Mai seinen Text in der Berliner Zeitung, in dem er bekannt machte, dass der deutsch-französische Sender Arte einen Dokumentarfilm über Antisemitismus in Europa nicht zeigen will - den er selbst beauftragt und der WDR redaktionell betreut hatte.

Die Argumente, den Film abzulehnen, vor allem das der mangelnden Ausgewogenheit, bezeichnete Aly als "bizarr".

Alys Stimme hat Gewicht - und er ist überdies einer der wenigen, die diesen Film wirklich gesehen haben, um den inzwischen ein Streit entbrannt ist, der je nach Sichtweise entweder sehr kompliziert ist oder sehr einfach.

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Die Münchner Filmemacher Sophie Hafner und Joachim Schroeder hatten Aly und andere Experten in der Endphase um Gutachten gebeten. In seiner Stellungnahme äußert sich Aly beeindruckt: "Eine besondere Leistung des vorliegenden Dokumentarfilms sehe ich darin, dass sowohl die harten als auch die weichen Formen des Antizionismus / Antisemitismus thematisiert werden."

Für ihn ist klar: Die Nichtausstrahlung des Films, das schrieb er in der Berliner Zeitung, bedeute Zensur - "sei es aus Wurstigkeit, Feigheit, oder 'antizionistischem' Ressentiment".

Zentralrat der Juden fragte bei "Arte" nach

Seither liegt die Anschuldigung in der Luft, Arte wolle das Ausmaß eines als antizionistisch camouflierten Antisemitismus - darauf liegt den Filmemachern zufolge der Schwerpunkt ihrer Dokumentation - verschleiern und halte darum den Film unter Verschluss.

Das ist ein gewichtiger Vorwurf in einer Zeit, in der viele jüdische Bürger Grund haben zu zweifeln, ob sie sich - und ob sich ihre Kinder - in Westeuropa weiter sicher fühlen können. Der nur wenigen Menschen gezeigte Film ist zum Politikum geworden.

Darum fragte auch Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, an diesem Dienstag beim Arte-Präsidenten Peter Boudgoust nach: Ihn verwundere, dass Arte den Film trotz Expertenlobs (das auch von Historiker Michael Wolffsohn kam) nicht zeige.

Vor dem Hintergrund neuer unabhängiger Umfragen zum Antisemitismus sei die Berichterstattung zum Thema höchst relevant. Schuster bat, die Entscheidung zu überdenken.

Der Film zeigt eine Recherche, in der die beiden Autoren belegen wollen, in welchen Milieus, mit welchem Geld und welcher politischen Motivation Israelkritik in Wirklichkeit vorgebracht werde. Dass die Juden auch am Untergang der Titanic schuld seien, behauptet die Off-Stimme am Anfang programmatisch als bitteren Witz. Das gibt den Ton des Films vor.

Nun ist Arte ein Sender, dem man bisher kaum vorwerfen konnte, er ignoriere jüdische Identität und Belange oder das Thema Israel. Ein Beispiel: 2014 zeigte der Sender - gemeinsam mit dem BR - einen ganzen Tag lang das Projekt 24 Stunden Jerusalem, bei dem 70 Kamerateams das Leben von israelischen und palästinensischen Protagonisten in der Stadt filmten.

Unfassbares Strukturgewirr

In seiner Antwort an Josef Schuster schreibt Arte-Programmchef Alain Le Diberder, er könne dessen Verwunderung gut nachvollziehen. Er sei selbst "sehr betroffen" über die Vorwürfe, und könne nur versichern, dass "ehrenwerte und gute Gründe zu der Entscheidung geführt haben".

Beim Versuch, die Argumente beider Seiten nachzuvollziehen, gerät man dann allerdings schnell in ein unfassbares Strukturgewirr.

Sicher ist, dass der Film 2016 von der zuständigen WDR-Redakteurin Sabine Rollberg abgenommen wurde. Später lehnte ihn die Arte-Programmkonferenz dagegen ab: Er entspreche in wesentlichen Punkten nicht dem von ihr genehmigten Projekt. Arte habe einen Film bestellt über das aktuelle Erstarken des Antisemitismus "unter anderem in Norwegen, Schweden, Großbritannien, Ungarn und Griechenland".

Produzenten versichern, dass alle Schritte abgesprochen waren

Dagegen konzentriere sich das gelieferte Produkt hauptsächlich auf den Nahen Osten. Aus dem Off wird im Film erklärt: "Wir glauben, dass wir manches nur verstehen, wenn wir nach Israel fliegen."

Arte sei über fundamentale Änderungen "bis unmittelbar vor Lieferung des Films bewusst im Unklaren gelassen worden", schreibt Le Diberder an Josef Schuster. Die Gründe für die Ablehnung seien kein Formalismus, sondern "Verfahrensentscheidungen, die die editoriale Qualität und Verantwortung sicherstellen."

Das Problem ist nur: Die Produzenten versichern, dass alle Schritte "selbstverständlich" mit WDR-Frau Rollberg abgesprochen waren, die den Film ja abgenommen hatte. Wie konnte es dann zum Eklat kommen? Der WDR stellte am Donnerstag in einem Statement nun erstmals die Qualität des Films in Frage: "Wir bedauern, dass die redaktionelle Abnahme im WDR offenbar nicht den üblichen in unserem Haus geltenden Standards genügte."

Nach der Ablehnung durch Arte habe man den Film noch einmal begutachtet. Es bestünden nun "handwerkliche Bedenken". Es sei unklar, ob der Film journalistischen Standards des WDR genüge. Es gehe insbesondere um "Ungenauigkeiten und Tatsachenbehauptungen, bei denen wir die Belege zunächst nachvollziehen müssen". Wie es dazu kam? "Wir arbeiten das derzeit intern auf."

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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