Story im Ersten:Auf der Flucht vor der "German Angst"

Golden Gate Bridge im Nebel

Die umnebelte Golden Gate Bridge in San Francisco: Hier und im benachbarten Silicon Valley sitzen die Start-up-Gründer der Zukunft - und unter ihnen viele Deutsche.

(Foto: dpa)

50 000 Deutsche leben im Silicon Valley. Eine Dokumentation will zeigen, warum sie ausgewandert sind - verliert sich aber leider in den Start-Up-Phrasen der Protagonisten.

TV-Kritik von Vivien Timmler

Auf dem Highway hinunter ins Valley ist Stau. Alle wollen dorthin, hinunter in das Tal, in dem an der Zukunft der Welt gebastelt wird. Stefan Groschupf könnte sich fürchterlich über das Verkehrschaos aufregen. Immerhin hat er einen wichtigen Termin mit einem noch wichtigeren Investor, der seine neue Start-up-Idee finanzieren soll. Fünf Millionen wären realistisch, acht toll, zehn traumhaft. Zu spät zu kommen kann er sich nicht leisten. Aber Groschupf bleibt ruhig. Seine typisch deutsche Perfektion habe er längst abgelegt, sagt er. Seit mehr als zehn Jahren lebt Groschupf im Silicon Valley. Er ist geflüchtet vor der "German Angst", mit seinen Ideen zu scheitern.

50 000 Deutsche leben mittlerweile im "Tal der Zukunft", dem Silicon Valley. Für die Dokumentation Go West, ihr Genies haben Redakteurin Marion Schmickler und Produzent Oliver Richardt einige von ihnen besucht. Sie wollen herausfinden, warum so viele Deutsche ins Silicon Valley "flüchten", wie sie es nennen.

Das ist auch und vor allem deshalb eine relevante Frage, weil die Jahre der digitalen Lethargie in der deutschen Wirtschaft ja eigentlich vorbei zu sein scheinen. Immer mehr Konzerne erkennen die Chancen der Digitalisierung - ihnen gehen aber die kreativen Köpfe aus, wenn diese ihre Ideen im Ausland verwirklichen.

Ein homogenes Bild eines sehr kleinen Ausschnitts der Realität

Es ist aber auch eine sehr große Frage. Eine vielschichtige vor allem. Sie hat - nicht nur, aber auch - mit sehr privaten Motiven zu tun. Man müsste also die Menschen verstehen, die ins Valley drängen. Müsste sehen, erleben, spüren, was sie antreibt, was sie suchen.

Das bräuchte Zeit und leider fehlt es der Sendung genau an der: Acht Gründer in gut 40 Minuten vorzustellen, das macht fünf Minuten pro Person. Und die auch noch zerstückelt in jeweils einen Zwei- und einen Dreiminüter. Wirklich nah an die Gründer heran kommt der Zuschauer in so kurzer Zeit nicht. Und damit zerfasert die Sendung.

Denn auch die Leitfrage der Dokumentation, die nach dem "Warum", trägt nicht komplett - weil sie den Falschen gestellt wird. Oder genauer: Weil sie nur den Männern (Frauen waren offenbar keine zu finden) gestellt wird, die Erfolg haben, und damit durchweg die gleiche, minimal paraphrasierte Antwort geben. Etwa: "Es ist viel einfacher, hier zu gründen." Oder: "Ich kann Dinge machen, die ich in Deutschland nicht machen konnte." Oder: "In Deutschland wollte man uns und unsere Technologie nicht und es war super einfach, hier eine Firma zu gründen."

Was aber ist mit jenen, die wieder und wieder an der Finanzierung ihres Start-ups scheitern? Die im Silicon Valley für die großen Tech-Konzerne arbeiten? Oder die im Auftrag der großen deutschen Autokonzerne neue Technologien entwickeln? Sie alle spart die Dokumentation aus und setzt den Fokus damit extrem eng. Enger als nötig.

Donald Trump und das Silicon Valley - da war doch was

Schlussendlich ist es eine einzige Frau (die einzige, die in der gesamten Dokumentation vorkommt), die den Erzählstrang auf eine höhere Ebene hebt. Margit Wennmachers heißt die Frau, und sie vergibt für den Venture-Capitalist Andreessen Horowitz Schecks von bis zu 100 Millionen Dollar an Gründer. Um herauszufinden, in welche Idee es sich zu investieren lohnt, reicht ihr meist eine einzige Frage: "Wie hoch ist der Preis, zu dem sie verkaufen?" Wer einen Preis nenne, sei raus, sagt sie. "Der will nicht die Welt verändern."

Dass neun von zehn Projekten floppen, ist für sie selbstverständlich. Genau wie die Strategie, die Verluste daraus aufzufangen: "Der Trick im Venture-Capital-Business ist es, dass die Firma, die wirklich funktioniert, das nächste Google oder Facebook, für alle anderen Experimente bezahlt." Die Einblicke in ihren Alltag und ihre Arbeitsweise sind neu, sind aufschlussreich - im Gegensatz zu dem, was man über die Starbucks-Kaffee-trinkenden Gründer erfährt.

Die feiern lieber die vermeintliche Tatsache, dass das Silicon Valley nur deshalb existiert, weil Einwanderer ins Tal kommen und Firmen dort aufbauen. Abgesehen davon, dass das über weite Strecken selbstgerecht ist ("Dieses Tal wäre nichts ohne die Deutschen"), ist es auch zu kurz gedacht.

Denn was in der Dokumentation völlig fehlt, ist ein Ausblick auf die Zukunft des Valleys unter Donald Trump. Der designierte Präsident will die Einwanderung erschweren, nicht nur aus südlicher Richtung, sondern aus der ganzen Welt. Damit rückt nicht nur der American Dream für viele Auswanderer in die Ferne - auch für die Tech-Konzerne wird es schwieriger, Migranten anzustellen.

Das könnte ein Problem für sie werden. Nur wenige Monate vor der Wahl hatten unter anderem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, Yahoo-Chefin Marissa Mayer und Microsoft-Gründer Bill Gates eine Kampagne gestartet, die Immigration erleichtern sollte. Was daraus nach dem 20. Januar wird, wagt bislang kaum jemand zu antizipieren.

In einer Dokumentation, die erst Ende Dezember gedreht wurde, also zeitlich exakt zwischen Trumps Wahl und seiner Inauguration, muss das Risiko seiner Einwanderungspolitik für das Silicon Valley zumindest angesprochen werden. So jedoch wird sie von der Zeit komplett überholt und bleibt, was sie nie sein sollte: eine Ansammlung trivialer Statements austauschbarer Silicon-Valley-Einwanderer.

Go West, Ihr Genies!, ARD, 22.45 Uhr

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