Stefan Raabs "Absolute Mehrheit":Die Anti-Talkshow

Eines hat Stefan Raab schon mal erreicht: Der Rummel um seinen neuen Polittalk "Absolute Mehrheit" ist gewaltig. Trotz aller Kritik im Vorfeld - für seinen Mut muss man Raab bewundern. Grandios scheitern könnte ProSiebens Chef-Entertainer aber trotzdem.

Von Thierry Backes

Stefan Raab "Absolute Mehrheit"

Stefan Raab unter dem Bundesadler: Der Moderator fordert mit seiner neuen Polit-Talksendung "Absolute Mehrheit" die Öffentlich-Rechtlichen heraus.

(Foto: dapd)

Es gehört schon eine Portion Mut dazu, sich dieser Tage als FDPler in die "heute Show" zu setzen. Seit Monaten macht sich Moderator Oliver Welke über nichts lieber lustig als über die freien Demokraten und ihren Parteichef Philipp Rösler. "Wenn es nach dieser Sendung geht", lästerte er am Freitag, "muss Rösler für immer im Amt bleiben."

Als er das sagte, schmunzelte neben ihm: richtig, ein FDPler. Wolfgang Kubicki, der Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Kieler Landtag, traute sich in die ZDF-Satiresendung und sorgte für Stimmung. Als ihn ein glänzend aufgelegter Welke fragte, ob er Rösler wieder zum Parteivorsitzenden wählen würde, antwortete Kubicki: "Wenn er kandidiert - und ansonsten niemand kandidiert..." Das kam an beim Studiopublikum. Und es zeigt: Mut wird belohnt.

Heute Abend wird Kubicki auf einem halbkreisförmigen Sofa im Studio direkt nebenan erwartet, doch hier ist es nicht er, der Mut beweist, sondern sein Gastgeber, Stefan Raab. Mit dem Format "Absolute Mehrheit - Meinung muss sich wieder lohnen" (Beginn 22.45 Uhr) will der ProSieben-Chefentertainer doch allen Ernstes eine politische Talkshow für ein junges Publikum am späten Sonntagabend etablieren.

Abgrenzung vom Talkshow-Einheitsbrei

Ausgerechnet Raab, möchte man einwenden, der Moderator, der sich so schlecht wie kaum ein anderer im deutschen Fernsehen auf seine Gäste bei "TV total" vorbereitet. Um nicht zu sagen: gar nicht. Man kann ihn sich denn auch nicht vorstellen, wie er eine politische Diskussion leiten, wie er seine Gäste mit gezielten Fragen triezen und sie auch mal in bester Frank-Plasberg-Manier zurechtweisen würde, wenn sie mit falschen Fakten hantieren. Das ist nicht Raabs Metier, und es steht nicht zu erwarten, dass sich dies heute Abend ändern wird.

Was nicht heißt, dass das neue Format scheitern muss. Im Gegenteil: Stefan Raab grenzt sich mit seinem Konzept ja ganz bewusst ab von den Öffentlich-Rechtlichen und ihrem Talkshow-Einheitsbrei. Er hat erkannt, was längst auch in den ARD-Gremien angekommen ist: Die Formate im Ersten (und im Zweiten) sind zu starr, zu "einförmig", wie Raab in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagte. Es treten die immer gleichen Gäste auf, sie reden über die immer gleichen Themen, noch dazu mit den immer gleichen Floskeln und am Ende mit minimalem Erkenntnisgewinn. Wie frisch muss da ein Format wirken, das einfach mal etwas wagt?

"Absolute Mehrheit" funktioniert im Prinzip so, wie Stefan Raabs samstagabendfüllende Shows auch funktionieren: als Wettbewerb. Vier Politiker und ein "Normalo" diskutieren in einer samt Werbeunterbrechungen eineinhalb Stunden langen Show über drei aktuelle politische Themen, und nach jeder Runde dürfen die Zuschauer abstimmen, wer sie überzeugt hat. Erreicht einer der Kontrahenten im Finale die titelgebende absolute Mehrheit, nimmt er 100.000 Euro mit nach Hause. Oder er spendet sie, was zumindest bei Berliner Berufspolitikern wahrscheinlicher sein dürfte.

Raab ist Politikern nicht geheuer

Die Sache mit dem Geld hat im Vorfeld dennoch für heftige Kritik gesorgt. Zuerst war es ARD-Chefredakteur Thomas Baumann, der das Konzept "abwegig" nannte und die Gefahr sah, "dass Diskutanten einer vermuteten Mehrheitsmeinung hinterherhecheln". Raab konterte in der ihm eigenen Art. Er sagte, er habe sich über die Worte Baumanns "sehr gefreut": "Weil in der Regel heißt das, dass das ein absoluter Kracher wird, wenn die ARD was scheiße findet." Diese Woche dann meldete sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zu Wort. Er nannte Raabs Show-Idee dem Westfalen-Blatt zufolge "Unfug" und urteilte: "Wer Geld für Meinungen aussetzt, bestellt Meinungen für Geld."

Die Populismus-Frage kann man durchaus aufwerfen, doch sie führt ins Leere. Es ist der Job eines Berufspolitikers, möglichst viele Bürger anzusprechen. Das tut er Tag für Tag, auch außerhalb von Fernsehstudios. Er folgt seinen Überzeugungen, orientiert sich an Wählerwünschen oder an den Notwendigkeiten des Betriebs. Aber ob sich Raabs Gäste politisch angreifbar machen würden, nur um in einer Talkshow einmal groß abzusahnen? Eher nicht.

Letztlich ist Lammert wohl, wie andere Kritiker auch, prompt Raabs Kalkül der Provokation gefolgt und hat die gewünschte PR für die neue Show geliefert, untentgeltlich. Die satirische Komponente eines Polittalks, der ein Preisgeld für die Überzeugungskraft der Diskutanten aussetzt, ist den Mahnern und Warnern dabei offenbar entgangen.

Hinter der Reaktion Lammerts und der späten Absage von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) steckt aber vielleicht noch anderes: Geheuer sind dieser Raab und seine Show den Politikern nicht. Das unmittelbare Feedback, noch dazu das der Zuschauer eines Privatsenders - das sind sie nicht gewohnt. Dabei bietet Stefan Raab ihnen die Chance, neue Wählergruppen zu erschließen. Als Ziel hat er jedenfalls ausgegeben, "junge Menschen wieder für die politische Diskussion zu begeistern".

Kein Gast kennt sich richtig aus

Aber am Ende geht es natürlich um die Quote, und es ist durchaus möglich, dass der Moderator mit seinem Konzept grandios scheitert. Etwa an dem ambitionierten Versuch, drei umfangreiche Themen in 75 Minuten netto zu behandeln. An diesem Sonntag geht es um Steuergerechtigkeit, die Energiewende und soziale Netzwerke, und so schön es auch wäre, wenn die Gäste dazu ihre private Meinung äußerten, so ist doch denkbar, dass schon deswegen keine rege Diskussion entsteht, weil keiner von ihnen sich auf allen Gebieten richtig auskennt.

Wolfgang Kubicki und Thomas Oppermann, der erste parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, mögen ja noch Allrounder sein. Michael Fuchs aber, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU in Berlin und Altmaiers Ersatz, ist Wirtschaftsexperte, und Jan van Aken, der außenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Biologe. Komplettiert wird die Gästeliste der ersten Show von Verena Delius, der Chefin von "Goddbeans", einer Software-Schmiede für Kinder-Apps.

Es ist keine leichte Aufgabe, die Stefan Raab heute Abend erwartet. Vielleicht hilft ja das "lecker Kölsch", das bereit stehen soll. Aber vielleicht braucht er es auch gar nicht. Der Moderator ist ja immer dann am besten, wenn man ihn herausfordert.

Diesmal ist es freilich er, der die Öffentlich-Rechtlichen im Allgemeinen und Günther Jauch im Speziellen herausfordert. Wenn der 20.15-Uhr-Sonntags-"Blockbuster" bei ProSieben nicht zu lange dauert, sendet Raab einmal im Monat sogar direkt gegen den beliebtesten Fernsehmacher der Nation. Wie auch immer das mit der "Absoluten Mehrheit" für den Entertainer ausgeht, ob die Talkshow, die nach dem Medienrummel zumindest heute für eine ganz ordentliche Quote sorgen dürfte, ein Erfolg wird oder nicht: Für seinen Mut muss man Stefan Raab bewundern.

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