Starrummel bei Berlinale:Möwen folgen Fischkutter

64. Berlinale - The Monuments Men - Photocall

Glück gehabt hat, wer reinkommt: Journalisten auf der 64. Berlinale, diesmal mit George Clooney.

(Foto: dpa)

Irgendwie spielen alle verrückt auf dieser 64. Berlinale: Ein Schauspieler haut von der Pressekonferenz ab, die meisten Journalisten kommen gar nicht mehr rein. Der Starrummel sorgt für Verzweiflung und kreative Auswüchse.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Irgendwie spielen alle verrückt auf dieser 64. Berlinale: Ein Schauspieler haut von der Pressekonferenz ab, die meisten Journalisten kommen gar nicht mehr rein. Der Starrummel sorgt für Verzweiflung und kreative Auswüchse.

"Lassen Sie mich durch, ich bin Mitarbeiter!" Die meisten brav in Zweierreihen anstehenden Journalisten machen ehrfürchtig Platz vor dem großen und sehr aufgeregten Mann, schließlich hat die Pressekonferenz sowieso schon längst angefangen, und es könnte ja sein, dass er ein aktuelleres Anliegen hat als sie selbst, die schon lange anstehen, um über den Termin zu berichten. Von dem sie vor der Tür indes kaum etwas mitbekommen. Schließlich nähert sich mit diesem Spruch normalerweise nur der Arzt einem Notfall. Bis einer auf die Idee kommt, zu fragen: "Mitarbeiter - wovon?" Da wird der große Mann sehr wütend. Und ziemlich ausfallend - denn er ist aufgeflogen.

Als Journalist verkleidet

Trickser wie diesen gibt es viele auf dieser 64. Berlinale, in den unterschiedlichsten Varianten: Mal gibt ein älterer Franzose Herzprobleme vor, weshalb er unbedingt noch zur Pressekonferenz mit George Clooney müsse, doch die Ordner bleiben hart. Komischerweise ist er auf den folgenden Terminen auch immer wieder da und wirkt putzmunter. Ein anderer versucht sich durch möglichst seriöses Aussehen dort reinzuschummeln, wo so viele andere bereits abgewiesen wurden - er trägt eine hoch angesehene Zeitung unterm Arm, Schal überm Hemd, und er blickt durchdringend intellektuell durch eine Hornbrille. Wie man sich eben den Journalisten von Welt vorstellt, wenn man sich nicht so richtig damit auskennt. Die Ordner wollen gerade eine Ausnahme für ihn machen, als er sagt, für wen er angeblich arbeitet - und neben ihm eine Kollegin steht, die wirklich für diese Zeitung schreibt und seit einer dreiviertel Stunde auf Einlass wartet.

Die üblichen Schubser und Drängler werden spätestens vor der Tür aussortiert, oft genug aber auch diejenigen, die wirklich dringend auf diese eine Pressekonferenz oder in diese eine Uraufführung gehen müssen, weil sie sofort anschließend darüber berichten oder gar die Pressekonferenz leiten müssen.

Tumulte vorm Kino

So geschehen am Sonntagabend bei der Pressekonferenz zu Pierce Brosnans neuem Film: Die Selbstmord-Komödie "A Long Way Down" läuft gar nicht im Wettbewerb, doch sie ist eben der neue Film des ehemaligen Bond-Darstellers. Das reicht in Berlin aus dafür, dass die Pressevorführung lange vor Filmbeginn komplett voll ist und viele Journalisten umsonst angestanden haben. Die Ordner machen dicht. Da kann nicht mal die eilig dazu gerufene Pressechefin ihrem Moderator helfen, obwohl sie den Ordnern erklärt, dass er am nächsten Tag die Pressekonferenz moderieren muss. Und dafür zumindest einmal den Film gesehen haben müsste.

Ein US-Journalist erzählt aufgeregt, dass er seinen Job verlöre, wenn er die Rezension nicht rechtzeitig liefere. Eine italienische Journalistin fragt, warum die Pressevorführung nicht an anderer Stelle wiederholt werden könne, wenn so viele Journalisten aus aller Welt extra dafür anreisen. Viele haben recht. Und doch: Es ist und bleibt einfach so gut wie alles überfüllt an diesem ersten Filmfest-Wochenende, dem Wochenende, an dem die großen Stars zu Gast sind mit ihren neuen Filmen und ihrer Anziehungskraft.

Das ist ein grundlegendes Problem der Berlinale in diesem Jahr: Die Marketingstrategie wurde überreizt.

Verzweiflung auf dem Roten Teppich

Es ist schön und "wichtig für Deutschland", wie Festivalleiter Dieter Kosslick leicht ironisch anmerkte, etwa einen Superstar wie George Clooney in Berlin zu haben. Das Gekreische auf den Straßen zur Filmpremiere, die übervollen Pressekonferenzen, die ganzen Interviews, zu denen Pressevertreter erst ein- und dann wieder ausgeladen werden, weil sich immer irgendwo noch jemand dazwischen drängelt oder "wichtiger" erscheint - all das braucht die Berlinale. Es sichert ihr Aufmerksamkeit. Und beschert dem Kino volle Kassen. Es geht schließlich ums Geschäft.

Allerdings ist Berlin sowieso kein leichtes Pflaster für Journalisten. Nirgendwo sonst gibt es mehr arbeitslose Medienmacher. Hinzu kommt, dass in der Branche seit langer Zeit die Festanstellungen schwinden gegenüber freien Aufträgen. Viele freie Mitarbeiter leben davon, ihre Geschichten auf dem freien Markt immer wieder neu und immer wieder groß anbieten zu müssen. Diese Verzweiflung merkt man vielen an, gerade auf dem Roten Teppich. Boulevard ist ein besonders hartes Geschäft, vor allem unter den Fotografen. Die dann auch noch mit schwerem Gepäck unterwegs sein müssen - immer wieder kommt es zu Handgreiflichkeiten, Aggressionen und Gebrüll, die Anspannung ist immer dort am größten, wo die bekanntesten Stars auflaufen.

Unüberschaubare Szene

Und dann kommt auch noch das Internet dazu. Ob Print, Fernsehen oder Radio - alle sehen sich mit den noch aktuelleren Kollegen konfrontiert, die das jüngere Medium schnellstmöglich bedienen wollen und müssen. Und dann gibt es ja auch noch die unzähligen Blogger. Der Ton, auch untereinander, wird schärfer. Berlin ist ohnehin eine Stadt, in der Journalisten sich unter anderem wegen der unüberschaubar großen Konkurrenz oft genug Akkreditierungsregeln unterwerfen müssen, die eigentlich gegen ihre Berufsehre verstoßen. Künstler- und Veranstaltungsagenturen können es sich einerseits leisten, strikt auszuwählen, wer berichten darf und wer nicht. Andererseits können sie selbst kaum den Überblick darüber behalten, wer denn nun echtes Interesse an Berichterstattung hat und wer einfach nur überall dabei sein oder eine warme Mahlzeit erhalten oder nur mal kurz gucken will. Die Szene ist einfach zu groß.

Und auf all diese Probleme trifft nun die 64. Berlinale, mit George Clooney. Und dann läuft auch noch ein Sexfilm an diesem ersten Wochenende, dessen Vermarktungsstrategie an verschiedensten Stellen ebenfalls so geschickt ausgereizt wurde, dass der Rummel sogar fast noch größer ist als der um Clooney: "Nymphomaniac". Schließlich hat Regisseur Lars von Trier ("Ich bin ein Nazi") schon in Cannes einst für einen Eklat gesorgt, lässt sich in Berlin nur zum Photocall blicken, trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Persona non grata" - und sein Hauptdarsteller Shia LaBeouf erscheint demonstrativ schlecht gelaunt im Gammel-Look und schien nur auf die erste Frage zu warten, die an ihn gerichtet wurde. Um sie mit den Worten "Die Möwen folgen dem Fischkutter, weil sie meinen, es würden Sardinen ins Meer geworfen" nicht zu beantworten. Und die Pressekonferenz dann zu verlassen. Der französische Ex-Fußballstar Eric Cantona hatte diese Worte 1995 ebenfalls auf einer Pressekonferenz gebracht, als er nach seinem Kung-Fu-Tritt gegen einen gegnerischen Fan gefragt wurde.

Berichten? Fehlanzeige

Doch während die Stars davon leben, im Gespräch zu bleiben und auch durch Aktionen wie diese von sich reden zu machen, oder den übersteigerten Rummel um die eigene Person kritisch zu hinterfragen, sind Journalisten darauf angewiesen, überhaupt angemessen berichten zu können. Auf dieser Berlinale können sie das oft nicht. Weil es aufgrund der Überfüllung schlicht ein Ding der Unmöglichkeit ist, erst einen neuen Film zu sehen und im Anschluss daran die Pressekonferenz mit den Regisseuren und Darstellern zu besuchen, um Fragen zu stellen. Weil diese Pressekonferenzen dann schon voll sind, oft genug noch bevor der Film zuende ist. Drin sitzen dann Pressevertreter, die den Film nicht gesehen haben. Über deren oberflächliche Fragen ("George Clooney, wie schaffen Sie es, nach dem langen Abend gestern schon wieder so frisch auszusehen?" oder "Adrien Brody, Sie haben mit dem Schnurrbart im Film so sexy ausgesehen, sie bringen alle mexikanischen Frauen zum Träumen") sollte sich dann aber auch niemand mehr wundern.

Ausruhen und das Mütchen kühlen geht für die meisten auch nirgendwo - denn am Postdamer Platz ist in diesen Tagen kein ruhiges Plätzchen zu finden. Und selbst wer sich in letzter Verzweiflung für die von Audi gesponserte Lounge neben dem Roten Teppich akkreditiert hat, bekommt bei drei von vier Besuchen zu hören, dass jetzt leider gerade eine geschlossene Gesellschaft dort tagt - und die Türen bleiben wieder verschlossen.

Wenn die Pressekonferenz zu "Nymphomaniac" am Sonntag ebenfalls schon während der Filmvorführung gefüllt wird, so dass diejenigen, die sich erst brav den Film angesehen haben, um dann die Fragen stellen zu können, noch nicht einmal die Übertragung auf der Leinwand im Pressezentrum, sondern draußen in der Kälte auf dem Postdamer Platz anschauen sollen, dann ist eine Grenze erreicht, die die ernstgemeinte Arbeit von Journalisten unmöglich macht. Ihre Fragen können sie dann nur noch den Fans stellen. Von denen praktischerweise einige gleich auf dem Potsdamer Platz übernachten sollen. Und die Berichte über Shia LaBeouf, die werden dann am nächsten Tag vom Hollywoodreporter aus dem Netz abgeschrieben. Der hatte es offenbar in die Pressekonferenz geschafft. Oder auch nicht.

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