Sportjournalist von Verfassungsschutz beobachtet:Unter Verdacht

Als freier Journalist schreibe ich über Gewalt, Diskriminierung und Rechtsextremismus im Sport. Dass ich dabei vom Verfassungsschutz beobachtet werden könnte, daran hätte ich nie gedacht. Ein Erlebnisbericht.

Von Ronny Blaschke

Ich war in Borisov in Weißrussland und führte ein Interview mit einer ehemaligen NS-Zwangsarbeiterin, als der Verfassungsschutz mich anrief. Maren Brandenburger war dran, die neue Verfassungsschutzpräsidentin in Niedersachsen, vor etwas über einer Woche war das. Es sollen unter der alten schwarzgelben Landesregierung unerlaubt Erkenntnisse über mich gespeichert worden sein, sagte sie. Dann nannte sie den ganzen Vorgang noch "absurd".

Ich habe zuvor nie einen Anruf eines Verfassungsschutzpräsidenten erhalten - warum auch? Wie reagiert man in so einer Situation, die genau das ist: absurd? Ich berichte als freier Journalist über Gewalt, Diskriminierung, Rechtsextremismus im Sport. In Sachbüchern, Radiofeatures und Artikeln, auch für die SZ. Ich habe mehr als 200 Vorträge gehalten, Workshops organisiert, Podien moderiert, in Fanprojekten, Schulen, Universitäten, in Kommunal- und Landesparlamenten. Mit Unterstützung von Vereinen, Stiftungen, Gewerkschaften, auf Initiative von Kirchen und allen demokratischen Parteien. Themen waren der Männlichkeitskult im Fußball, die Ausgrenzung von Sportlern mit Roma-Wurzeln, die nationalsozialistische Vergangenheit von Funktionären oder die Inklusion von Athleten mit Behinderung.

Gastvortrag bei der Partei Die Linke

Warum interessiert sich der Verfassungsschutz für mich? Maren Brandenburger sagte am Telefon, ein lange zurückliegender Gastvortrag bei der Partei Die Linke in Hannover könne zur Beobachtung meiner Arbeit geführt haben, Details nannte sie nicht. Kennt sie die selber nicht?

Anders als die ebenfalls betroffene freie Journalistin Andrea Röpke habe ich eine solche Überwachung nicht für möglich gehalten. Ich dachte, Sport sei nicht wichtig genug. Ich dachte, mein Feld sei weniger von Interesse als rechtsextreme Kundgebungen, Konzerte oder Zeltlager. Freunde und Kollegen bezeichneten mich als naiv: Ich kann ihnen nicht mehr widersprechen.

In einem fünfzeiligen Schreiben bestätigte mir die Verfassungsschutzpräsidentin, dass die Informationen über mich nach sofortiger Prüfung gelöscht worden seien. Um was es geht, weiß ich bis heute nicht.

Wenn die Informationen über Journalisten nicht gesperrt, sondern sofort gelöscht worden sind: Wie lässt sich dann das Ausmaß einordnen? Wie soll ich Forderungen formulieren, wenn ich den Kern nicht kenne? Maren Brandenburger sagte, es kam in meinem Fall nicht zur Bespitzelung und Telefonüberwachung. Aber wie sollen Daten sonst gespeichert werden? Auch die Dauer der Erfassung sei unklar. Andrea Röpke hatte schon einmal beim Verfassungsschutz in Niedersachsen schriftlich nachgefragt, ob Kenntnisse über sie vorlägen. Die Behörde verneinte - und musste dies nun als Lüge eingestehen.

Fehler des "linken Schmierfinken Blaschke"

Wir werden nun auch bei anderen Landesämtern unseren Auskunftsanspruch wahrnehmen, doch es können Wochen vergehen, bis wir eine Antwort erhalten. Ohne Details und Fakten bleiben skandalträchtige Schlagzeilen stehen, die Spekulationen entfachen können: Am Montag hat mich der Reporter einer Illustrierten in einem Telefoninterview gefragt, ob ich Mitglied einer extremistischen Organisation gewesen bin. Ich habe sehr schlucken müssen. Auf der Internetseite des NDR kommentiert ein Leser: "Vielleicht sollte man den Verfassungsschutz fragen, was mit Herrn Blaschke sonst noch so los ist. Die Gründe sind halt nicht öffentlich. Und wenn es Bezüge zum Extremismus gibt, wird Herr Blaschke das nicht sagen." Plötzlich muss ich mich rechtfertigen. Die Speicherungen sind gelöscht, der Verdacht aber bleibt.

Neonazis, über deren Menschenfeindlichkeit wir aufklären, warten auf eine solche Angriffsfläche: Sie suchen nach Fehlern des "linken Schmierfinken Blaschke", wie sie mich nennen, prägen Diskussionen im Internet. Mit indirekter Hilfe des Verfassungsschutzes können sie nun ihren Opfermythos kultivieren.

Hin und wieder erhalte ich E-Mails von Menschen, die im Sport ausgegrenzt werden. Von schwulen Bowlingspielern, die von Gegnern bedroht werden. Von Eltern, deren Kinder im Fußballklub von einem NPD-Funktionär trainiert werden. Es ist zu erwarten, dass Informanten sich nach der Sache mit dem Verfassungsschutz auf diesem heiklen Feld zurückziehen. Oder zumindest verhaltener argumentieren.

Zweifel der Polizei

Es gibt andere staatliche Stellen, die Journalisten, die über Rechtsextremismus berichten, als Gegner betrachten. Im Februar dieses Jahres habe ich einen Vortrag im östlichen Sachsen gehalten. Wenige Tage zuvor verschickte ein hochrangiger Polizeibeamter eine Rundmail, unter anderem mit folgender Passage über meine Arbeit: "Seine Beiträge zielen eindeutig auf die Diffamierung der Fußballvereine, vorwiegend auf die Fanszene in den neuen Bundesländern." Und: "Dies hat u. a. dazu geführt, dass ein hervorragendes Fanprojekt in Leipzig entgegen dem Votum der örtlichen Sicherheitsbehörden abgewickelt werden musste." Was er nicht erwähnte: In der staatlich gestützten Jugendeinrichtung gingen Neonazis ein und aus, sogar die NPD hielt dort eine Versammlung ab. Wird man eher verdächtig, wenn sogar die Polizei an einem zweifelt?

Gegenüber Informanten habe ich ein Privileg: die Öffentlichkeit. Initiativen, Aktivisten, Lokalpolitiker haben das nicht. Sie klären in hochgefährlichen Milieus über Rechtsextremismus auf. Fans aus Braunschweig und Aachen, die Veranstaltungen mit mir organisiert haben, wurden als linke Provokateure dämonisiert. Sie wurden von rechten Hooligans überfallen, es gab keinen medialen Aufschrei, es hat kaum einen interessiert.

Vor einem Vortrag in Thüringen baten mich Jugendliche, die "Extremismusklausel" zu unterschreiben, dass ich also die demokratischen Grundsätze achte, sonst könne das Land seine Förderung zurückziehen. Junge Menschen, die nach ihrer Schule ehrenamtlich für Demokratie in ihrer Gemeinde werben, müssen sich wie verdächtige Stalinisten zu ihr bekennen. Nie wurden meine Veranstaltungen von Partnern organisiert, die wie Rechtsextreme andere Menschen wegen angeborener Merkmale ablehnen, wegen Hautfarbe oder Sexualität. Ich halte das für gesellschaftliche Mindeststandards, nicht für Linksextremismus. Der Verfassungsschutz hat das offenbar anders gesehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: