Sparmaßnahmen bei Fernsehfilmen:"Das ist mörderisch"

Geradeaus in die Selbstausbeutung: Damit "Tatorte" und Fernsehfilme überhaupt noch fertig werden, muten sich TV-Leute mittlerweile endlose Drehtage zu. Denn überall wird gespart. Regisseure und Schauspieler beschwören die Gefahr eines Qualitätsverlustes. Doch weniger Filme drehen, das will natürlich auch keiner.

Jörg Seewald

Normaler Ausnahmezustand im Sommerfernsehen 2012: Wiederholungen oder mittelmäßige Fernsehspiele versenden sich gegen die Olympischen Spiele an der Schönwetterfront. Danach, so wollen es die Sendermanager verstanden wissen, gibt es wieder hochprozentige Fiktion. Tatsächlich sind Herbst- und Frühjahrsmonate die Hoch-Zeiten des TV-Films.

So soll es aus Sicht der Fernsehveranstalter auch bleiben. Doch die bewährte Kalkulation könnte schon bald nicht mehr aufgehen. Das deutsche Filmgewerbe hat Probleme. Weil die Budgets nicht größer, sondern kleiner werden, weil die populären Schauspieler weiter ihre hohen Gagen fordern und deshalb die Gagen der meisten anderen sinken, weil auch die Anzahl der Drehtage sinkt, während die Anzahl der täglich erledigten Motive steigt, beuten sich Regisseure, technisches Personal, Produzenten und Darsteller zunehmend selbst aus. Nur so können Tatorte und Fernsehfilme teilweise noch fertig gestellt werden. Über den Zustand sprechen möchten trotzdem nur wenige. Eine schweigende Mehrheit fürchtet um ihre Aufträge.

Früher, erinnert sich Regisseur Marco Serafini (Traumhotel, Ute Danella), er denkt an die 60er und 70er Jahre, "da haben wir mit Fassbinder, Schlöndorff, Dietl großes Fernsehen gemacht. Man schämte sich nicht. Das ist heute durch die Industrialisierung des Fernsehens anders." Uschi Glas (Zur Sache, Schätzchen) erzählt, dass es, als sie anfing, "Drehtage in dem Sinn gar nicht" gegeben habe: "Wenn der Film 40 Tage gedauert hat, war's auch wurscht. Wenn das Wetter nicht passte, hat man erst mal einen Wein getrunken. So was ist ja total vorbei." Inzwischen hat auch Uschi Glas erlebt, dass "jemand überhaupt nicht aufhörte zu drehen. Da wusstest du, der Produzent kommt auf dem Zahnfleisch daher, alles wird zu teuer . . ."

Endlose Tage sind normal geworden. Kostüm-, Maskenbildner und Aufnahmeleiter kommen als Erste und gehen als Letzte - oft nach mehr als 16 Stunden, was dem Inhalt der Arbeitsverträge nach eigentlich verboten ist. Doch daran hält sich schon lange keiner mehr. Regisseur Kai Wessel (Die Flucht) sagt, dass er oft 16 Stunden brauche, um seine Qualitätsstandards einzuhalten.

Drehtage kosten Geld, heute zu viel Geld

Eine Agentin, die nicht genannt werden möchte, berichtet, dass Regisseure die den Ruf haben, einen Fernsehfilm nicht in 23 Drehtagen abliefern zu können, nicht mehr vermittelbar sind. Das würden die Verantwortlichen in den Sendern und bei den Produktionsunternehmen wohl sofort bestreiten. Doch Drehtage kosten Geld, heute zu viel Geld. Ein Herstellungsleiter aus München von der Produktionsfirma TV 60 macht dazu eine Rechnung auf: "Für die Motive brauchst du bis zu 35.000 Euro täglich. Dazu kommen Kamera, Wohnmobile, et cetera, und irgendwann bist du bei 70.000 Euro am Tag."

Die TV 60 steht für Tradition. Sie hat viele ZDF-Weihnachtsserien fabriziert, auch Tatorte oder, für Sat 1, die Trilogie der Wanderhure. Man weiß dort, dass aus einem opulenten Drehbuch schnell ein Kammerspiel werden kann, wenn zum Beispiel auf Stunts und Nachtdrehs verzichtet wird. Das entspräche aber nicht "unserem Qualitätsempfinden", sagt der Herstellungsleiter.

Die Etats für Einteiler (90 Minuten) liegen (jedenfalls bei ARD und ZDF) heute zwischen 1,1 und 1,4 Millionen Euro: "Wenn man gut drehen will, schafft man am Tag nicht mehr als fünf, im Höchstfall sieben Minuten Film", sagt Sabine Postel. Bei weniger Drehtagen als die bisher üblichen 26 werde das umgelegt, "und die Drehtage werden zwangsläufig länger". Postel, Tatort-Kommissarin (Bremen), kennt noch die Zeit, in der es 28 Drehtage gab: "Dann ging es auf 27 und 26 runter, eine ganze Weile waren es bei 24, 25. Nun sind wir beim Tatort bei 22 Tagen."

Ihr Kollege Dominic Raacke, Tatort-Kommissar in Berlin, hat gerade in 21 Tagen einen "gelungenen" Tatort beendet, wie er meint. Doch "auf die Dauer geht das nicht gut. Irgendwann kommt der Overkill, werden die Einsparungen sichtbar und das Programm schlechter."

"Eine Art Ausbeutung"

Nach Ansicht von Robert Atzorn ist das bereits der Fall. Atzorn (Unser Lehrer Doktor Specht) hat in der Inszenierung der Jakob-von-Metzler-Tragödie mitgespielt, die das ZDF im Geheimen produzieren ließ und im Herbst ausstrahlen will. "Unter den heutigen Bedingungen", sagt Atzorn, "würde ich mir den Einstieg in den Beruf dreimal überlegen. Sat 1 soll ja einen 90-Minüter in 15 Tagen für eine Million Euro gedreht haben. Das ist mörderisch."

Bei Sat 1 weist man den Vorwurf zurück. Natürlich, erklärt eine Sprecherin, sei auch für eine Million Euro ein TV-Movie gedreht worden. Achtung Arzt (darum geht es) sei ein launiges Kammerspiel mit Annette Frier gewesen und beim Publikum gut angekommen. Sat 1 sei mit jährlich 20 bis 22 Produktionen unter den Privatsendern der größte Auftraggeber in Deutschland. Manche Filme bräuchten 40 Drehtage und kosteten 1,8 Millionen, andere, die an einem Tag auf einer Station im Krankenhaus spielten, weniger.

Regisseure wie Rainer Kaufmann, die sehr auf Qualität achten (Marias letzte Reise), klingen eher verzweifelt. "Statt auf 15 Tage stolz zu sein, sollte einer sagen: Ich biete 30 Tage", sagt Kaufmann. Er habe ja noch in den "sehr guten Zeiten" arbeiten dürfen, "als es 30 Drehtage gab. Das war schon gut. Mit weniger als 24 Drehtagen fängt es an schwierig zu werden, die Qualität von Film zu machen, die von den Sendern gewünscht wird."

Doch wie Kaufmann stellen sich auch viele um. "Ich fange weit vor Vertragsbeginn an, ohne dass ich Geld kriege und arbeite noch Monate im Nachhinein", sagt er. "Es gibt viele junge Regisseure und Anfänger, an denen eine Art Ausbeutung stattfindet, die von ihnen gar nicht bemerkt wird. Wenn ich jetzt anfinge, würde ich meinen ersten Film auch für15.000 Euro machen. Kein Thema."

Wie noch gespart wird, weiß Schauspieler Herbert Knaup: "Die Gagen werden massiv runtergefahren. Die nutzen die Wirtschaftskrise. Da hebeln auch Redakteure und sagen: Wenn du nicht willst, dann kommen halt andere."

"Produzieren bleibt schwierig"

Natürlich drückt die Höhe der Gagen auf das Budget", sagt Regina Ziegler, die erfahrene Produzentin aus Berlin. "Ein Spitzenschauspieler mit einem Tagessatz von 3000 bis 4000 Euro käme bei 20 Drehtagen auf 60- bis 80.000 Euro. Würde er die bekommen, dann bliebe nicht mehr viel für andere übrig. Also müssen wir, zu seinem Nachteil natürlich, ab dem fünften Drehtag über eine Pauschalisierung reden. Dafür bekommt der weniger bekannte Schauspieler, der von ein bis zwei Drehtagen seine Miete zahlen muss, relativ mehr." 2013 wird Ziegler 40 Jahre Filme machen. "Ich habe 1973 gesagt", sagt sie, "Produzieren bleibt schwierig. Der Satz ist so wahr und aktuell wie vor 39 Jahren."

Dass die Reduzierung der Drehtage ein Problem ist, hat der eine oder andere mittlerweile erkannt. WDR-Fernsehspielchef und ARD-Tatort-Koordinator Gebhard Henke verspricht keine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen: "Wir wissen, dass wir mit 21 Drehtagen am Ende der Fahnenstange angekommen sind. Weniger geht nicht. Aber auch uns stehen außer bei Eventproduktionen keine höheren Etats zur Verfügung. Wir wissen um die Probleme der Produktionen. Eine Lösung wäre, weniger Filme zu drehen. Aber das will keiner."

So ist es. Und man könnte auch meinen, dass sich in der Fernsehindustrie nur widerspiegelt, was in anderen Bereichen des Wirtschaftslebens stattfindet: Eine Neuausrichtung der Märkte unter dem Einfluss von Finanzkrisen und einer galoppierenden Digitalisierung. Regisseur Kaufmann lobt das deutsche Fernsehspiel als etwas "Einmaliges. Das gibt es in der ganzen Welt nicht in dieser Güte, das kann sich gegen BBC, Channel 4 und HBO sehen lasen."

"Ich möchte nicht mehr am Beginn meiner Karriere stehen"

Man kann auch anderer Meinung sein, und manchmal macht es schon den Eindruck, als werde im profitablen deutschen TV-Markt mit seinem richtig gut ausgestatteten öffentlich-rechtlichen System und der vielseitigen Kommerz-TV-Struktur besonders gerne geklagt.

Es gibt übrigens Menschen, die halten den Schauspieler Manfred Krug für den Verursacher des Drehtageabbaus. Krug habe, so wird gerne erzählt, als Hamburger Tatort-Kommissar Stoever stets gesagt: "So wie ich's beim ersten Mal spiele, ist es am besten." Die Regisseure folgten wohl, und nach 21 Drehtagen war so ein Stoever-Tatort fertig.

"Ich möchte nicht mehr am Beginn meiner Karriere stehen", sagt Schauspielerin Gaby Dohm (Die Schwarzwaldklinik). "Ich bin ja schon froh, dass wir früher noch Zeit hatten, etwas auszuprobieren. Heute kaufen doch viele Regisseure aus Zeitmangel gleich die erste Klappe und der Rest wird im Schneideraum getrickst. Da ist es gut, wenn du deine Mittel kennst." Oft reichen sie dann trotzdem nicht. Und man sieht es.

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