Reiner Calmund redet mal wieder viel zu lange. Eigentlich soll er nur den Preis "Lebenskünstler des Jahres" entgegennehmen, den ihm Sonnenklar.TV an diesem Abend verleiht. Aber der frühere Fußballmanager erzählt, wie er als Junge unbedingt Schiffskoch werden wollte. Als er endlich fertig ist, rennt ein älterer Herr zur Bühne. Der Mann reißt die Arme nach oben. Und schreit: "Wir alle hier im Saal wünschen dem Herrn Calmund auch weiterhin einen guten Appetit." Herzlich willkommen bei Sonnenklar.TV.
Der Reise-Shoppingsender hat 1500 seiner besten Kunden für ein Wochenende an den Niederrhein eingeladen. Wobei: Einladen ist hier das falsche Wort. Die Kunden haben jeweils 199 Euro bezahlt, für zwei Übernachtungen im Doppelzimmer. Dazu gibt es ein Rahmenprogramm. Das Highlight ist die Verleihung der "Goldenen Sonne". So heißt die Veranstaltung, bei der Sonnenklar.TV jedes Jahr Reiseangebote prämiert. Den Sender selbst gibt es seit 16 Jahren. Er bezeichnet sich als Europas erfolgreichsten Reise-Shoppingkanal. Jeden Tag schalten 500 000 Zuschauer ein, etwa weil sie eine Karibikkreuzfahrt buchen wollen. Oder einen anderen All-inclusive-Urlaub. Der Sender aus München gehört zum Reisekonzern FTI, vertreibt aber auch Angebote anderer Veranstalter - und verdient an der Provision. Im vergangenen Jahr setzte er 232 Millionen um. Offizielle Gewinnzahlen gibt es keine. Aber das Konzept ist klar: Man tut so, als würde es sich beim Verkauf von Reisen übers TV gar nicht um ein lukratives Geschäft handeln. Sondern um einen Tipp unter Freunden.
Die Urlaubs-Checker sagen Sätze wie: "Wir haben gerade 36 Grad, der Lorenz knallt vom Himmel."
Ein Gesprächsthema ist der Sender immer dann, wenn es neue Moderatoren gibt. So wie Anfang Mai, als der Wetterexperte Jörg Kachelmann seine erste Sendung moderiert. Er mache das honorarfrei, sagt er, einmal im Monat. Er darf dafür aber für seinen eigenen Wetterdienst werben. Kachelmann sagt, er freue sich, Teil der Sonnenklar-Familie zu sein. Ein gutes Stichwort: Wenn Sonnenklar.TV auf Sendung geht ist immer von "einer Familie" die Rede. Man kennt sich oder tut so, man wünscht sich guten Appetit.
Wenn Sonnenklar.TV seine Liveschalten in Urlaubsregionen bringt, ein Markenzeichen des Senders, dann ist da der "Mark" oder der "Kai" zu sehen - sie gehören zu den Außenreportern. Bei Sonnenklar.TV heißen sie "Urlaubs-Checker" und berichten live von der Hotelanlage. Die Urlaubs-Checker sagen Sätze wie: "Wir haben gerade 36 Grad, der Lorenz knallt vom Himmel." Oder: "Viele Grüße von mir aus dem schönen Montenegro." Eines der Lieblingswörter der Urlaubs-Checker ist "lecker". "Lecker" sind die Cocktails, die direkt an den Pool gebracht werden. Oder die Spezialitäten im "À-la-carte-Restaurant". Die Qualität der Beiträge ist mitunter sehr dürftig, dafür haben die Zuschauer das Gefühl, mit dabei zu sein. Und nur darauf kommt es aus Sicht von Andreas Lambeck an, dem Geschäftsführer von Sonnenklar.TV. "Nähe ist unsere Marke", sagt er.
Sehen konnte man das sehr gut bei der Verleihung der "Goldenen Sonne" mit dem bereits erwähnten Reiner Calmund. Bei Sonnenklar.TV nennen sie die Veranstaltung "Oscars der Reisebranche". Andreas Lambeck sagt, es gehe vor allem darum, "eine coole Party mit den Kunden zu feiern". Ganz vorne in der Messehalle sitzen die Sonnenklar-Promis an runden Tischen. Einige sind so unbekannt, dass sie nicht mal von den eigenen Mitarbeitern erkannt werden. Zur Verstärkung hat man neben Calmund noch die üblichen Verdächtigen aus dem Showbetrieb eingeladen. Der Schlagersänger Heino wird eine Laudatio halten. Und das Wichtigste ist sowieso: Die Kunden sitzen nur ein paar Meter hinter den Prominenten. Wer will, der kann jederzeit rübergehen und Selfies machen. Der Sonnenklar-Chef Lambeck zündet die Kerzen an den Tischen selbst an. Er spricht mit Gästen, macht Fotos für seine Facebook-Seite. Mehr Strecke als Andreas Lambeck legt an diesem Abend nur die amtierende Miss Germany zurück. Und die hat ganz offensichtlich den Auftrag erhalten, zwischen den Gästen auf und ab zu laufen.
Die Zuschauer scheint es nicht zu stören, dass viele der Moderatoren ihre beste Zeit hinter sich haben
Viele der Sonnenklar.TV-Moderatoren haben ihre besten Jahre hinter sich, wie Harry Wijnvoord, der früher mal die Sendung Der Preis ist heiß auf RTL moderierte, später im Dschungel-Camp war und noch später zum Aushängeschild von Sonnenklar.TV wurde. Leute, die bei dem Sender eine Reise buchen, können Wijnvoord im Urlaub treffen. Demnächst gibt es wieder eine "exklusive Event-Flusskreuzfahrt" mit ihm. Den Zuschauern scheint es nichts auszumachen, dass ihnen einige bekannte Gesichter vorgesetzt werden, die anderswo nicht mehr zum Zug kommen.
Bei der Verleihung der "Goldenen Sonne" im Wunderland Kalkar sagt der Laudator Werner Schulze-Erdel (einst Familien-Duell bei RTL): "Das ist heute wirklich ein Klassentreffen der geilen Senioren." Er muss dafür seine Lesebrille aufsetzen, wie zwei andere Redner vor ihm.
Im Sender kennen sie ihre Zielgruppe. Es ist sind Menschen über 45, meistens Frauen, die noch dazu viel Zeit haben. Das kann man daran sehen, dass eine sehr lukrative Sendezeit bei Sonnenklar.TV die Zeit zwischen neun und zwölf Uhr ist. Nach Senderangaben schalten dann 250 000 Zuschauer ein. Auf diese Kunden hat man das Programm ausgerichtet. Es geht um Komfort, nicht mehr darum, möglichst billig zu sein. Rufen bei einem Angebot zu wenig Leute an, wird sofort nachgebessert.
Die Zeit, in der Sonnenklar.TV eine Reise an die Mecklenburgische Seenplatte für einen Euro im Angebot hatte, ist definitiv vorbei. Man kann jetzt auch eine Weltreise für 14 599 Euro buchen. Gut ist es da, wenn sich die Zuschauer auf die Einschätzung bekannter Gesichter verlassen können. Der Sonnenklar.TV-Geschäftsführer ist so jemand. Viele kennen ihn. Es kommt vor, dass Andreas Lambeck im Trachtenjanker für einen Wellnessurlaub im Bayerischen Wald wirbt. Das passt insofern ganz gut, weil er mal Geschäftsführer der Bodenmais Tourismus & Marketing GmbH war.
Auch Jörg Kachelmann bekommt bei der "Goldenen Sonne" einen Ehrenpreis verliehen. Für Pionierleistungen im Deutschen Fernsehen. Bei der Übergabe sagt Kachelmann, der gerade auch bei Spiegel Daily angeheuert hat, er bewundere die Sonnenklar-Moderatoren. Schließlich sei es eine große Kunst, sechs Stunden über einen Pool zu sprechen. Ohne vom Teleprompter abzulesen. Und er will sich bei "Gevatter Lambeck" für den Preis bedanken. Also schaut Kachelmann von der Bühne auf die erste Reihe runter. Aber er kann Lambeck nicht finden. Der Chef sitzt hinten bei den Kunden. Wieder mal. Ganz in der Nähe des älteren Herren, der sich Sorgen um den Appetit von Reiner Calmund macht.
