Serienautoren in den USA:Das hat Folgen

Lesezeit: 5 min

Streik in Serie: In Staffel vier der Sitcom 30 Rock legten die ebenfalls fürs Fernsehen schreibenden Figuren die Arbeit nieder. (Foto: Ali Goldstein/NBC/Getty)

Noch nie in der Geschichte wurden so viele neue Fernsehserien gedreht wie 2017. Trotz der goldenen Zeiten droht in Hollywood ein Streik der Autoren. Wie kann das sein?

Von Jürgen Schmieder

Es ist ordentlich was los in diesem Café, von dem es heißt, es habe magische Kräfte. Hier, im Intelligentsia auf dem Abbot Kinney Boulevard in Venice Beach, sprudeln die kreativen Gedanken: Scott Neustadter hat hier innerhalb von drei Tagen das Drehbuch der Teenager-Tragödie The Fault in Our Stars geschrieben, Dan O'Shannon einige Folgen der Sitcom Modern Family und Elizabeth Berger Episoden der Science-Fiction-Serie The Neighbors. An diesem Nachmittag hämmern die Gäste Dialoge in ihre Laptops oder unterhalten sich im Garten auf Holzkisten über mögliche Projekte.

Natürlich ist in Los Angeles das Kindermädchen der Nachbarn eine ambitionierte Schauspielerin, der Uber-Fahrer ein missverstandener Musiker und der Typ im Café ein verkanntes Genie. Das Intelligentsia ist jedoch keiner dieser Umsonst-nachschenken-Billigläden für Möchtegern-Autoren, hier kostet eine Tasse Kaffee fünf, ein kleines Croissant vier Dollar. Hier sitzen all jene, die bereits erfolgreich sind - und es fällt einem schwer, diese Mischung aus hektischer Betriebsamkeit und Konzentration auf sich selbst nicht herrlich zu finden.

Die große kreative Freiheit, die es heuzutage gibt, hat noch eine andere Folge: weniger Sicherheit

"Das ist die Geschäftigkeit vor der drohenden Katastrophe", sagt die Produzentin Stephanie Allain. Ihre grandiose Satire Dear White People wird am 28. April beim Streamingdienst Netflix erscheinen, gerade noch rechtzeitig. Wenn sich die Gewerkschaft der Autoren WGA, die Writers Guild of America, und die Vereinigung der Produzenten nicht auf einen neuen Tarifvertrag einigen, dann dürfte vom 1. Mai an gestreikt werden. Vereinfacht ausgedrückt wäre es dann verboten, auch nur ein Wort in einem Drehbuch zu ändern oder einen Gag für eine Late-Night-Show zu schreiben. Allain sagt deshalb: "Die Gewinner werden die sein, deren Werke noch fertig werden."

Plötzlich wirkt das Café, in dem Stephanie Allain diese Sätze sagt, nicht mehr wie ein Ort kreativer Magie. Der Ort wirkt wie ein Hamsterkäfig, in dem alle verzweifelt in ihren Rädern strampeln.

Wie kann es sein, dass ausgerechnet in diesen Zeiten ein Streik der Autoren droht? Im vergangenen Jahr sind mehr als 450 neue Serien genehmigt worden, so viele wie noch nie zuvor. Die Unterhaltungsindustrie hat, das behauptet die WGA in einem Brief an ihre Mitglieder, im Jahr 2016 mehr als 51 Milliarden Dollar Gewinn erzielt, auch das ist ein Rekord. Netflix will in diesem Jahr sechs Milliarden Dollar für eigene Serien und Filme ausgeben, Amazon immerhin 4,5 Milliarden. Das Pay-TV-Unternehmen HBO will mehr als 2,5 Milliarden Dollar investieren, traditionelle TV-Sender wie ESPN, NBC und CBS jeweils zwischen vier und sieben Milliarden Dollar. Das klingt nach Schlaraffenland, die Autoren müssen offensichtlich nur noch wählen, aus welchem Füllhorn das Gold auf sie regnen soll.

Ein Treffen mit J. Michael Straczynski, der seit fast 40 Jahren sehr erfolgreich im Geschäft ist und die goldenen Zeiten aus seiner Sicht folgendermaßen beschreibt: "Es gibt keine Regeln mehr, keine Restriktionen", sagt der Autor, der gerade gemeinsam mit Lana und Lilly Wachowski ( The Matrix) in der Fantasyserie Sense 8 (die zweite Staffel ist vom 5. Mai an bei Netflix zu sehen) die Grenzen des Geschichtenproduzierens testet: "Rhythmus und Dauer einer Folge, die Anzahl der Folgen einer Staffel, die möglichen Drehorte und die Ausrichtung auf mögliche Zuschauer - all das wird allein durch die Handlung bestimmt." Bei Sense 8 etwa gab es im Dezember eine Zwei-Stunden-Folge zu sehen, ehe der Start der zweiten Staffel verkündet wurde. Einfach so. Früher wäre so etwas undenkbar gewesen.

Die Digitalisierung hat für eine Revolution gesorgt und letztlich auch für eben dieses viel beschworene goldene Zeitalter des Geschichtenerzählens. Die nun gefeierten Erzähler, die Autoren, fürchten jedoch, dass nur der Kuchen größer wird, aber nicht die Stücke, die sie davon bekommen. Sie fordern mehr Grundgehalt und Garantien, bessere Beteiligungen an erfolgreichen Projekten und höhere Absicherung bei Krankheit oder Misserfolg. Notfalls wollen sie streiken - und davor haben derzeit in Hollywood alle Angst. Produzenten, Autoren, Schauspieler, Studiobosse, Chefs von Streamingportalen. Ein Streik könnte der goldenen Ära des Serienfernsehens von einem Tag auf den anderen eine große (und sehr teure) Pause verordnen.

Es hat vor zehn Jahren schon einmal einen Streik der Autoren gegeben, der 100 Tage gedauert, der kalifornischen Volkswirtschaft einen Schaden von mehr als zwei Milliarden Dollar zugefügt und 38 000 Menschen arbeitslos gemacht hat. Serien-Hits wie Lost und Heroes oder zum Beispiel die Sitcom 30 Rock mussten gekürzt werden - die Serie, die ihrerseits von TV-Autoren handelt, ließ in Staffel vier dann auch ihre Figuren streiken. Und in die Kinos kamen später Filme mit Drehbuch-Fragmenten wie etwa James Bond: Ein Quantum Trost.

Es ging damals um Beteiligung an den Erlösen aus den in jener Zeit boomenden DVD-Verkäufen und dem noch nicht besonders lukrativen Online-Vertrieb. "Es ist das älteste Problem der Welt, wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie ungerecht behandelt werden", sagt Graham Yost, der erfolgreiche Serien wie Justified und The Americans produziert hat und gerade für das Drama Sneaky Pete gefeiert wird: "Die Autoren haben bei diesem Deal damals gesagt: 'Okay, gucken wir mal, wohin das mit diesem Streaming führen wird.' Als das alles explodiert ist, wurden die Modalitäten nicht angepasst."

Um 23 Prozent sollen die Einnahmen der Drehbuchutoren zuletzt gesunken sein

Die große kreative Freiheit, die der Serienboom mit sich bringt, führt zu weniger Planungssicherheit: Eine Spielzeit besteht nicht unbedingt aus 24 Folgen, wie sie es bei einem klassischen Fernsehsender immer getan hat, sondern auch mal nur aus sechs. Autoren arbeiten dann intensiv und länger als früher an einer komplexen und aufwendigen Miniserie, werden jedoch nur für diese sechs Episoden bezahlt - aufgrund von Zusatzklauseln im Tarifvertrag dürfen sie während dieser Zeit nicht an anderen Serien beteiligt sein.

Andere Beispiele, an denen man sieht, wie wenig die alten Verträge in die neue Zeit passen: Eine Beteiligung an der Weiterverwertung lohnt nicht, wenn keine Wiederholungen mehr verkauft werden - ein Streamingdienst wiederholt nicht, er hält die Programme langfristig vor. Eine mögliche Prämie für hohe Einschaltquoten würde nur Sinn ergeben, wenn Netflix auch Zuschauerzahlen veröffentlichen würde, das tut aber keiner der großen Streamingdienste.

Dazu kommt natürlich, dass der Konkurrenzkampf unter Autoren trotz des Booms riesig ist - noch so ein wahres Los-Angeles-Klischee besagt bekanntlich, dass jeder Bewohner mindestens ein Drehbuch geschrieben hat. Die Sender und Portale können aufgrund des erst vor zehn Jahren aufgesetzten und doch so altertümlich wirkenden Tarifvertrags die Preise für einzelne Autoren drücken.

"All diese Faktoren haben dazu geführt, dass Autoren in einer Zeit noch nie da gewesener Nachfrage und Rekordinvestitionen gegen jede Logik weniger verdienen als vorher", heißt es in einem Brief der WGA an die Mitglieder. Die Gewerkschaft schätzt, dass die durchschnittlichen Einnahmen ihrer Mitglieder in den vergangenen zwei Jahren um 23 Prozent gesunken sind: "Die Unterhaltungsindustrie boomt wegen der Inhalte, die von Autoren produziert werden - sie müssen an diesem beispiellosen Wohlstand beteiligt werden." Das klingt logisch, ist aber freilich komplizierter, weil es auch um Details wie Arbeitszeiten, Krankenversicherungen und Nebeneinkünfte geht. J. Michael Straczynski etwa ist auch Produzent von Sense 8, die Wachowski-Geschwister führen Regie. Die Produzentenvereinigung argumentiert, dass die WGA diese Einnahmen vernachlässige, Autoren so sehr wohl am Erfolg beteiligt würden und viele Forderungen deshalb ungerechtfertigt seien. Außerdem: Das Durchschnitts-Jahresgehalt von WGA-Autoren liegt bei knapp 200 000 Dollar - könne man da wirklich vom hungernden Künstler sprechen?

Die 13 000 WGA-Mitglieder müssen jetzt darüber abstimmen, ob sie streiken wollen, sollte bis zum 1. Mai keine Einigung erzielt werden. Nach derzeitigem Stand der Verhandlungen gilt ein Streik als wahrscheinlich. Die Gewerkschaft der Schauspieler, die in den kommenden Monaten selbst einen neuen Tarifvertrag aushandeln muss, unterstützt die Autoren und erhöht so den Druck. "Niemand will einen Streik, aber wir können uns auch nicht ausnutzen lassen", sagt Sneaky Pete-Produzent Graham Yost.

Die Verhandlungen sollen am 25. April fortgesetzt werden, auch die Betreiber des Intelligentsia in Venice Beach werden die Gespräche nervös verfolgen. Ein Streik würde nicht nur finanzielle Einbußen für Autoren und Produzenten bedeuten, sondern auch für viele Cafés in L. A., von denen es heißt, sie hätten magische Kräfte.

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: