Wozu noch Journalismus?:Papier ist geduldig, der Leser ungeduldig

Hoffen auf den Start des iPad in Deutschland: Mit Multitouch-Geräten könnte eine neue Architektur des Journalismus entstehen. Der PC hingegen ist ein Auslaufmodell.

Peter Littger und Lukas Kircher

Wozu noch Journalismus? Die Ethik der Medienmacher ist in Gefahr: Journalisten werden zu Handlangern der Politiker, bloggen im Netz und werden durch Laien ersetzt. Wie ist der Journalismus zu retten - und wieso sollten wir das überhaupt tun? In dieser Serie - herausgegeben von Stephan Weichert und Leif Kramp - setzen sich angesehene Publizisten auf sueddeutsche.de mit dieser Frage auseinander. Diesmal schreiben Lukas Kircher und Peter Littger über die digitale Revolution im Journalismus und Geräte wie das iPad.

Wozu noch Journalismus?: Journalismus muss der Gesellschaft den Spiegel vorhalten: Peter Littger (links) und Lukas Kircher.

Journalismus muss der Gesellschaft den Spiegel vorhalten: Peter Littger (links) und Lukas Kircher.

(Foto: oh)

Natürlich ist es falsch, Journalismus pauschal als Auslaufmodell zu diskreditieren. Journalismus teilt schließlich nicht das Schicksal von Waschbrettern, Wählscheiben oder Warenhäusern. Journalismus ist nicht wie VHS-, Beta-Digital- oder DAD-Kassetten. Journalismus ist so elementar wie Luft - und auch sie ist nie ganz rein, nie ganz unverfälscht. Mal übelriechend, mal wohltuend und heilsam. Niemand würde fragen: Wozu noch Luft? Bloß, weil es irgendwo stinkt oder weil einem mal die Luft ausgeht.

Grundsätzlich ist Journalismus dazu da, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Auch in Zukunft wird er diese Aufgabe haben, daran haben wir keinen Zweifel. Doch ein Spiegel, der nicht reflektiert, ist wertlos. Ein Spiegel weist auch in die Tiefe des Raums. Journalismus, der wie ein Spiegel sein soll, darf also nicht matt sein und muss viele Tiefen sichtbar machen. Der Journalismus von heute wirkt dagegen oft matt und wenig tief. Das führt zu Gleichförmigkeit, Angepasstheit, und letztendlich Langeweile.

Nun wollen wir hier nicht ins Horn sozialpessimistischer Medienkritiker stoßen und die Arbeit der Redaktionen und Verlage pauschal verurteilen. An ihrem Recherchefleiß und ihren vielen guten Geschichten gibt es gar nicht so viel auszusetzen. Wir kritisieren die Wahl der Instrumente. Journalismus könnte nämlich vielfältiger, reizvoller und herausfordernder sein, wenn er nicht so zweidimensional wäre.

Eine wichtige Ursache für das Problem liegt im Papier. Journalismus, der auch in Zukunft als Spiegel funktionieren will, sollte sich deshalb schnell und konsequent vom Papier lösen. Durch die neuen Tablet-Computer wie das iPad besteht die Chance, dass dieser Ablösungsprozess rasch und zur großen Freude aller Beteiligten gelingen könnte.

Viel Text auf großen Papierseiten

Papier sei geduldig, lautet ein alter Spruch. Gleichzeitig werden die Leser immer ungeduldiger. Sie haben oft einfach keine Lust mehr viele Seiten Journalismus auf Papier zu lesen. Und sie haben noch weniger Lust, Journalismus auf Bergen von Papier zu kaufen, diese dann nicht zu lesen und sie danach auch noch wegwerfen zu müssen (und dabei ein schlechtes Gewissen zu haben, weder gelesen noch der Umwelt etwas Gutes getan zu haben). Und wer noch über genügend Lust verfügt, hat seine Zeitungsseiten manchmal so oft zwischen U-Bahn und Büro, Büro und U-Bahn, U-Bahn und Zuhause geknickt und eingesteckt und dann wieder herausgeholt, dass sie gar nicht mehr lesbar sind. Wozu noch Journalismus? Nicht, um einfach kaputtgefaltet zu werden.

Richtig viel Text auf großen Papierseiten lesen zu können, heißt Zeit - und Platz - zu haben. Sich konzentrieren zu können. Und imstande zu sein, über viele Absätze argumentativ einem Punkt zu folgen, den ein Autor machen möchte. Bevor das gelingt, fallen vielen Menschen eher die Augen zu. Es ist kein neuer Befund, dass es eine breite Aufmerksamkeitsmisere gibt. Zwar wissen wir nicht, wie viele journalistische Texte ungelesen bleiben, aber wir wissen wohl, dass Journalismus als sehr anstrengend empfunden wird - übrigens auch von vielen Journalisten selbst, die deshalb am liebsten nur sich selber lesen oder googeln.

Trend zu Informationsschnipseln

Ein weiteres Problem, das durch die Aufmerksamkeitsmisere gefördert wird, ist der Trend zu Informationsschnipseln. Abstracts und Executive Summaries sind deshalb sehr beliebt. Die sogenannten Informationseliten buchen Clipping-Dienste, die alles vor- und das Unerwünschte aussortieren. Und am Ende dominieren die Schnipsel und Fragmente von Information. Dafür gibt es viele abfällige Namen: Häppchenjournalismus, Newsbites- oder (gar nur noch) Soundbites-Journalismus und die für viele Zeitungsredakteure geradezu apokalyptisch anmutende Entwortung. Wir nennen es einfach nur die Clipping Culture.

Andererseits wünschen sich die Menschen, ihr spezifisches Wissen zu vertiefen - Soziologen sprechen vom Trend des Knowledge Enhancement. Gleichzeitig wird zu viel Wissen - vor allem von notorisch Halbgebildeten - als überflüssig empfunden. Der Zeiteinsatz für das Lesen wird gemessen daran, ob es sich lohnt. Allgemein informiert zu sein, eine Art allgemeinen Themenspeicher (mit sich) zu führen, also im guten bürgerlichen Sinne allgemeingebildet zu sein, mag sich nützlich im Smalltalk auszahlen, ist aber in Smartphone-Zeiten beinahe überflüssig. Alles kann auf dem iPhone sofort nachgeschlagen und eingeordnet werden.

Grenzen der Zweidimensionalität

Mit der Aufmerksamkeitsmisere, der Clipping Culture und dem gleichzeitigen Bedürfnis nach Wissensvertiefung müssen Redaktionen umzugehen, ja, geradezu spielerisch umzugehen lernen. Journalismus darf an diesen vermeintlich gegenläufigen Trends nicht verzweifeln, sondern er sollte selbstbewusst versuchen, die Menschen damit einzufangen. Journalisten sollten Schnipsel und Häppchen nicht verdammen, sondern sie vielmehr verdammt ansprechend machen. So kann ihre Arbeit eingängiger werden. Die Menschen wünschen sich einen besseren Zugang zu Themen und mehr Eindringlichkeit.

Zur Verteidigung des Papiers, das auch weiterhin gute journalistische Zwecke erfüllen kann, muss gesagt werden, dass die Grenzen seiner Zweidimensionalität erst durch die digitale Entwicklung der vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren deutlich geworden sind. Eine gedruckte Zeitung mit einer hervorragend gemachten Version derselben Zeitungsmarke auf dem Ipad zu vergleichen, ist noch viel krasser als ein Waschbrett an einem internetgesteuerten Waschvollautomaten zu messen.

Der PC ist ein Auslaufmodell

Eigentlich erleben wir nicht den Trend, dass sich der Journalismus vom Papier löst, sondern von einer über Jahrhunderte entwickelten, spezifischen Zweidimensionalität, in der ein Artikel immer neben einem anderen Artikel stand. Die zweidimensionale Architektur des Journalismus hat es auf Papier unmöglich gemacht, Texte beliebig miteinander zu verbinden.

Und auch der Journalismus auf dem PC (auf Browser-Seiten) weist dieses Problem noch auf. Dort sind Links möglich, parallele Einbettungen von komplexeren Inhalten aber oft nicht - nicht zuletzt, weil das auf dem Bildschirm nicht lesefreundlich wäre. Der Personal Computer, den wir nun alle so gut kennen, wird den Journalismus deshalb auch nicht wesentlich weiterbringen. Zugegeben, es klingt noch etwas arg horxisch, aber der PC, egal ob DOS oder Mac, egal ob als Laptop oder unterm Tisch, ist ein Auslaufmodell. All diese Gerätschaften, so schick sie auch ausschauen mögen, sind komplex und sperrig und warten auch auf ihre Ablösung. Das hat mit ihrer Prothesenartigkeit zu tun. Bildschirme, Computermäuse, Trackpads, Trackballs, Pfeil- und Funktionstasten - diese Armada umständlicher Bedienhilfen führt uns nicht direkt heran an die Inhalte, sondern hält uns in Wahrheit immer ein Stück auf Distanz.

Statisch und relativ unübersichtlich

Es ist deshalb eine falsche Annahme, dass ausgerechnet jener auslaufende Computer die werbefinanzierten Zeitungen (oder TV-Programme) ablösen wird. Wie viele Experten haben uns schon erklärt, dass der Computer mit Hilfe des Internet den klassischen Medien den Garaus macht, indem man die URL einer beliebigen Medienmarke in einem Browserfenster öffnet, um dort am Bildschirm den Journalismus ebendieser Medienmarke zu genießen?

Gleichzeitig äußern viele Menschen Skepsis, wenn sie gefragt werden, ob sie das mögen. Sie beschreiben dann ihre positiven Gefühle für gedruckte Medien: Ich mag Papier. Oder: Ich brauche sonntags Druckerschwärze an meinen Händen. Fehlt nur, dass sie sagen: Ich finde es toll, meinem Nachbarn in der Business Class versehentlich einen Kinnhaken zu verpassen, wenn ich die FAZ aufschlage. Uns verwundert es nicht, dass Journalismus auf dem gewöhnlichen Computer keinen großen Spaß bereitet. Internetseiten sind statisch und relativ unübersichtlich.

Was immer übersehen worden ist: Nicht der Journalismus ist das Auslaufmodell - sondern das Geschäftsmodell dahinter, also die Art, wie der Journalismus generiert und verbreitet wird und wie die gedruckten Medien und auch das Fernsehen damit ihr Geld verdienen. Vor lauter Panik - und durch die Bank - haben die Verlage den Fehler gemacht (von TV-Sendern ganz zu schweigen), dort zu sparen, wo sie am meisten Geld ausgeben: in den Redaktionen.

Als beliebig skalierbares Produkt missverstanden

Der Journalismus ist in den letzten Jahren massiv gequält, kastriert und geopfert worden, zugunsten von Suchmaschinenoptimierung, (irrwitzigen) Monetarisierungstheorien und der sogenannten Content-Wiederverwertung. Journalismus ist lange als beliebig skalierbares Produkt missverstanden und im Denglisch der Manager als Content missbraucht worden. In der Not ist das verständlich, jedoch am Ende ist es fatal. Wenn Zeitungen sterben und Werbespots ausbleiben, ist es richtig und angemessen, sich Sorgen um den Journalismus zu machen. Es ist aber nicht folgerichtig, ihn in Frage zu stellen.

Der Journalismus wird wieder notwendiger, je mehr sich die Medien wieder auf ihn konzentrieren können, weil sie die Probleme gelöst haben, die ihre Geschäftsmodelle gefährdet und wohl auch in Teilen auch zerstört haben: das teure Papier, der teure Druck, der teure und komplizierte Vertrieb, die zunehmend unattraktive und immer billiger werdende Anzeigenwerbung, und das nicht wirklich in die Gänge kommende Internet plus Personal Computer als die große Alternative zu alldem.

Darstellung von Themen auf unterschiedlichen Ebenen

Wir sind fest überzeugt, dass sich vieles mit der neuen Generation von Geräten mit intuitiven Steuerungsmöglichkeiten zum Guten verändern wird. In unserer eigenen Arbeit bei KircherBurkhardt sind wir daran beteiligt, die echte Kreuzung, einen wahren Hybrid aus der gedruckten Zeitung und dem internetbasierten Computer zu erfinden. Jeder Tag, den wir mit der Entwicklung von Anwendungen für das iPad verbringen, verstärkt den Eindruck, dass Journalismus wieder viel Spass machen wird. Manchmal kommt es uns so vor, dass die Entwicklungsprojekte für die Verlage in den vergangenen Jahren den einen Sinn hatten, uns auf das vorzubereiten, was wir heute schaffen: eine Mischung aus Fernsehen, Print und Computerspiel. So gewinnt der Journalismus ans Reflektionsstärke und an Tiefe.

Die neuen Technologien verlangen einen neuen Premium Journalismus. Es wird in Zukunft mehr denn je in der Darstellung auf Tiefe ankommen. Damit ist nicht (nur) journalistische Fundiertheit im allgemein anerkannten Sinne gemeint, sondern vielmehr eine breite, vielseitige Darstellung von Themen auf unterschiedlichen Ebenen: Text, zusätzliche Informationen, Graphiken und Animation, Fotos, Filme. Es ist eine Hoffnung zu spüren, dass gründlich recherchierte, faszinierend formulierte und reichlich eingängige Inhalte bald wieder eine Konjunktur erleben könnten.

Der iPad-Arm wäre eine Gefahr

Das iPad macht Schluss mit dem pseudo-effizienten Mausklicken durch die Untermenüs unserer Personal Computer. Es ermöglicht uns wieder das explorative Wühlen in Inhalten mit unseren Händen und Fingern - so wie wir es aus den Spielzeugkisten unserer Kindheit kannten und liebten. Wie oft haben unsere Kinder verzweifelt auf Computer- und Laptopbildschirmen herumgetippt und sich gewundert, dass dort nichts passiert. Das iPad verstehen sie sofort. Alleine das verschafft diesen neuen Computern einen sicheren Platz in der Kommunikationsgeschichte.

Die neuen Multitouch-Geräte könnten Journalismus also plötzlich - neben vielen anderen Reizen - zu einer großen Sache machen. Vielleicht zu einer größeren Sache als es der Journalismus jemals war. Wer schon einmal eine Ausgabe von Magazinen wie Time für das iPad erleben konnte, wird schlicht fasziniert sein. Zwar hat das Gerät noch ein gravierendes Problem, das man nicht ignorieren darf. Während das iPhone wie ein Stück Seife war, das einem gerne aus den Händen glitt, verschafft das iPad durch zu langes und festes Halten einen Handkrampf, der zu einer neuen Form des Tennisarms führen könnten: Der iPad-Arm wäre eine Gefahr für das Produkt.

Journalismus als einziges Differenzierungsmerkmal der Verlage

Doch inhaltlich bietet das Gerät gigantische neue Möglichkeiten für Fotografen, Graphiker, Journalisten, Werber - und am Ende auch für das Publikum. Es ist die intuitive Steuerung, mal per Fingerstreich, mal durch Tippen, mal durch Drehen, mal durch Schütteln, die eine neue Architektur des Journalismus hervorbringt. Sie macht die Inhalte auch sinnlicher, unmittelbarer. Verlage werden mit diesem Journalismus und mit vielen neuen Diensten (endlich) mehr Geld verlangen können. Und die Menschen werden bereit sein, Geld dafür zu zahlen.

Es ist leicht vorstellbar, dass Journalismus schon bald, in zehn bis fünfzehn Jahren, zum einzigen Differenzierungsmerkmal der Verlage wird. Dann geht es nicht mehr um Papier, um Druck, um Vertrieb. Dann geht es darum, wessen Inhalte am besten reflektieren und Tiefe aufweisen. Gnadenlos könnte der Wettbewerb werden zwischen jenen, die sich totgespart haben oder an der Langeweile in ihren Redaktion ersticken und denen, die einfallsreich, schnell und reichhaltig sind. Oder einfach gesagt: die uns mit ihrem Journalismus packen.

Lukas Kircher ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Medienagentur KircherBurkhardt in Berlin. Er selbst hat als Zeitungsdesigner das Erscheinungsbild der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung entwickelt. Derzeit konzentriert er sich mit seinem Team auf iPad-Entwicklungen für Verlage und Industriekonzerne. Peter Littger ist Editorial Director der Medienagentur KircherBurkhardt in Berlin. Er war zuvor Medienredakteur der Wochenzeitung Die Zeit sowie Gründungsredakteur der Magazine Cicero und Park Avenue. Im Verlag Gruner+Jahr war er auch Assistent von Vorstand und Eigentümerin Angelika Jahr. Bevor er zu KircherBurkhardt stieß, leitete er die Redaktion für Corporate Publishing bei den Gruner+Jahr Wirtschaftsmedien.

Im Herbst 2010 erscheint das Buch Wozu noch Journalismus? Wie das Internet einen Beruf verändert im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht.

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