Serie: Wozu noch Journalismus? (12):Hyperlokale Helden

Zeitungen werden zum Luxusprodukt, aber sie können eine Renaissance erleben. Gerade im Lokaljournalismus wird es dafür einige Änderungen brauchen.

Thomas Krüger

Wozu noch Journalismus? Die Ethik der Medienmacher ist in Gefahr: Journalisten werden zu Handlangern der Politiker, bloggen im Netz und werden durch Laien ersetzt. Wie ist der Journalismus zu retten - und wieso sollten wir das überhaupt tun? In dieser Serie - herausgegeben von Stephan Weichert und Leif Kramp - setzen sich angesehene Publizisten auf sueddeutsche.de mit dieser Frage auseinander. In dieser Folge beschäftigt sich Thomas Krüger mit dem Luxusprodukt Zeitung.

Trotz schlechter Nachrichten in den vergangenen Monaten kommt offenkundig wieder Bewegung in den Zeitungsmarkt. Vor einigen Wochen hat die New York Times über eine Studie des Pew Research Center in Washington DC berichtet, die einmal mehr die Bedeutung der amerikanischen Zeitungen als Leitmedium bestätigt: Obwohl es in den USA bereits viele unabhängige lokale News-Websites gibt, geben Zeitungen nach wie vor den Ton an. 95 Prozent, also fast alle Artikel, die seriöse Nachrichten enthalten, stammen - so ein Ergebnis der Studie - aus den klassischen Printmedien, davon die meisten aus Tageszeitungen.

Dennoch, die gedruckten Zeitungen haben momentan - und wohl auch bis auf weiteres - erhebliche Probleme. Die Einnahmen aus klassischer Anzeigenwerbung und Kleinanzeigen versiegen. Die Konkurrenz durch Internet-Versandriesen und -Auktionshäuser, durch Immobilien- und Kfz-Portale, durch Stellen- und Reisebörsen und natürlich durch Google, den Platzhirschen im Internet, ist einfach zu groß. Viele Zeitungsverlage haben vor einigen Jahren schon den Anschluss verpasst, als es darum hätte gehen müssen, neue Geschäftsmodelle auszuprobieren, um mit den Online-Newcomern mithalten zu können. Experimentiergeist wurde bei vielen Verlagen bis vor einigen Jahren eher milde belächelt als belohnt.

Kopfschmerzen bereitet den meisten Zeitungsverlagen auch die Umsonst-Kultur im Internet, die Springer-Chef Mathias Döpfner kürzlich als "Web-Kommunismus" beschimpft hat. Es ist nachvollziehbar, dass Verlagsgrößen wie die Axel Springer AG oder die WAZ-Gruppe es für absurd halten, ihre Inhalte einfach an die Nutzerinnen und Nutzer herzuschenken - schließlich ist guter, aufwändig recherchierter Journalismus mit hohen Kosten und Investitionen verbunden.

Kampfansage der Verleger

Einer aktuellen Studie der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge wären allerdings nur zehn Prozent der Deutschen bereit, für Nachrichten im Netz überhaupt zu zahlen. Die Kampfansage der Verleger, den Gratiswahn über Bezahlmodelle stoppen zu wollen, ist also sehr ambitioniert. Einen Versuch ist es aber allemal wert.

"Papier ist geduldig" hieß es früher immer, wenn schriftliche Vereinbarungen nicht eingehalten wurden. Heute ist es genau umgekehrt - womit wir beim dritten Problem der Zeitungen wären. Wir müssen akzeptieren, dass es ja gerade die sich im Medium Internet zeigende Ungeduld des Nachrichtenstroms und die Unverbindlichkeit sozialer Kontakte sind, die das Vertriebsmodell von gedruckten Zeitungen auf lange Sicht scheinbar obsolet und das Internet für Alt und Jung heute so reizvoll machen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Bedeutung das Internet für Kinder bekommen hat.

Fortschritt unserer Arbeitskultur

Der spielerische und selbstbestimmte Umgang mit Informationen, die jederzeit brandaktuell und von fast jedem Ort der Erde abgerufen werden können, ist eine der größten und faszinierendsten Errungenschaften unserer Zeit. Für die meisten Menschen wird es in dieser Beziehung kein Zurück mehr geben. Symptomatisch für die Tiefe der Zäsur, wie wir sie in den vergangenen Jahren erlebt haben, ist die wahre Anekdote eines Jungen, der seinen Vater fragt: "Papa, wie seid ihr eigentlich früher ins Internet gekommen als es noch keine Computer gab?"

Die Frage dieses Kindes zeigt vor allem eines: Dass sich schon in wenigen Jahren die Mehrheit der Bevölkerung gar nicht mehr vorstellen kann, wie es war, ohne das Internet zu leben oder zu arbeiten. Der Fortschritt unserer Arbeitskultur - das gilt gerade für eine Wissensgesellschaft wie die deutsche - wird unter anderem daran gemessen, wie wir im Netz aufgestellt sind. Und so ist es nur konsequent, dass unser Nachwuchs von Kindesbeinen an mit den positiven Gepflogenheiten dieses Mediums aber auch mit den Gefahren vertraut gemacht wird.

Schulfach Interneterziehung

Nicht von ungefähr forderte Deutschlands bekanntester Blogger Sascha Lobo kürzlich in einem Essay das Schulfach Interneterziehung. Es müsse, argumentiert Lobo, in den Schulen künftig darum gehen, unseren Kindern eine neue Medienkompetenz zu vermitteln, die sie bereits in frühen Jahren für den intelligenten Umgang mit Suchmaschinen wappnet oder für die Konsequenzen der Preisgabe von persönlichen Daten im Netz sensibilisiert.

Der Beitrag von Sascha Lobo war eine Gegenrede zu einem Beitrag des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher mit dem Titel Mein Kopf macht nicht mehr mit im Spiegel vom 16. November 2009. Schirrmacher hatte die kulturpessimistische These aufgestellt, dass das Denken der Menschen vom "Multitasking" und durch die gewaltige Informationskonkurrenz im Internet regelrecht "aufgefressen" werde.

Schirrmacher warnt davor, dass wir offenkundig unsere soziale Freiheit zugunsten der Abhängigkeit von Computern einbüßen und plädiert für eine Rückkehr zu geschützten kommunikativen Räumen und medialen Ruhephasen, um die Kontrolle über unser Denken, aber auch unsere Kreativität zurückzugewinnen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, worin die Chancen einer gedruckten Zeitung bestehen.

Renaissance der Zeitung

Dies ist ein gegenläufiger, mithin wichtiger Trend, den auch die in St. Gallen lehrende Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel unlängst in dem Buch Das Glück der Unerreichbarkeit beschrieben hat. Darin setzt sich die Autorin kritisch mit den Kollateralschäden auseinander, für die die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien wie Handy, E-Mail und das Internet verantwortlich sind. Meckel öffnet die Augen dafür, dass die uneingeschränkte Erreichbarkeit zu jeder Zeit an jedem Ort auch zur Last werden kann, sogar mit gesundheitlichen Folgen. Nur die Verknappung der eigenen Aufmerksamkeit und der gezielte Zugriff auf Informationen könnten, so Meckel, wieder dazu führen, dass wir vor allem die Qualität unserer Kommunikation steigern.

Es ist zu erwarten, dass die gedruckte Zeitung über kurz oder lang eine Renaissance erleben wird. Die Kultur des bedruckten Papiers hat gerade im digitalen Zeitalter sicher einige Wettbewerbsnachteile. Sie wirkt behäbig, eindimensional und analog. Aber sie ist andererseits präzise, reflektiert, nachhaltig und glaubwürdig. All das sind Werte eines Journalismus, nach denen man sich schon heute oft genug zurücksehnt. Und diese Sehnsucht der Menschen nach Beständigkeit, Glaubwürdigkeit und Konzentration auf das Wesentliche wird sich in den kommenden Jahren noch steigern.

Slow-Media-Bewegung

Ähnlich wie die Slow-Food-Bewegung als Gegenkonzept zur Fast-Food-Ideologie gibt es seit einiger Zeit etliche Journalisten und Mediennutzer in Amerika und Europa, die sich einer Slow-Media-Bewegung angeschlossen haben. Slow Media setzt sich dafür ein, dass die Nutzer weniger, dafür bessere Medien konsumieren können, und dass sich die Journalisten wieder mehr Zeit für Recherche, Fact-Checking und Akkuratesse im Produktionsprozess nehmen. Diese Idee ist weniger abwegig als sie vielleicht zunächst klingt und im Kern nichts anderes als ein Appell an einen Qualitätsjournalismus, den Zeitungen und Zeitschriften ja schon seit vielen Jahrzehnten pflegen.

Einer der Hauptverfechter der Slow-Media-Bewegung ist der britische Medienvisionär Tyler Brûlé, der unter anderem Zeitschriften wie Monocle und das Wallpaper Magazine erfunden hat. Brûlé glaubt, dass in den Medien schon bald ein kulturelles und wirtschaftliches Umdenken stattfinden wird, ähnlich wie derzeit in der Auto- oder schon vor längerem in der Ernährungsindustrie. Er ist überzeugt, dass immer mehr Menschen gesteigerten Wert auf Qualität legen, auch im Mediensektor, und Verlage wie Unternehmen auf diesen Wunsch nach einer verlangsamten, verträglichen Lebensweise reagieren.

Es geht den Slow-Media-Anhängern im Kern aber nicht um eine generelle Entschleunigung im Medienbereich, sondern um die Rolle der Medien für unsere Demokratie! Es geht darum, eine tragfähige Strategie zu entwickeln, wie seriöse, solide Berichterstattung überleben kann, wie sich journalistische Traditionsmarken vor dem Ausverkauf schützen können und wie guter Journalismus seine Stärken doch noch monetarisieren kann. Die Tugenden des Journalismus - sie bedeuten keine politische Rechtfertigung an sich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Zeitungen zum Luxusprodukt werden.

Gute Chancen im Lokaljournalismus

Wenn immer weniger Menschen eine Zeitung kaufen, weil die ihnen nur die Nachrichten vom Vortag anbietet, ist es überfällig zu überlegen, wie sich Zeitungen sowohl online als auch offline abseits der "Vortagsaktualität" mit nachhaltigen, kreativen, mutigen und letztlich bürgernahen Qualitäten als Forum unentbehrlich machen können. Und dafür sollten sich Journalisten - vor allem Lokalzeitungsredakteure - auf Faktentreue, Fachwissen und Vermittlungskompetenz besinnen, statt über Existenzsorgen zu klagen.

Es ist nicht zu erwarten, dass sich Zeitungen zum reinen Statussymbol für Reiche und Gebildete wandeln, wie dies mitunter von Experten behauptet wird. Sie werden aber auch nicht das Massenmedium bleiben, das sie einst waren - jedenfalls nicht in gedruckter Form. Zeitungen werden in jedem Fall zum Luxusprodukt - aber in dem Sinne, dass sie für diejenigen attraktiv bleiben, die sich der Kostbarkeit ihrer Zeit bewusst sind, die das ästhetisch-haptische Vergnügen lieben und die bereit sind, für glaubwürdige und hochwertige Informationen zu bezahlen. Auch wenn es momentan kein Patentrezept gibt: Zeitungen haben eine gute Chance zu bestehen, speziell der Lokaljournalismus .

Leser stärker einbeziehen

Um diese Chance aber ergreifen zu können, müssen Lokal- und Regionalzeitungen ihre Leserinnen und Leser stärker einbeziehen. Der Dialog ist das A und O um herauszufinden, was das Publikum eigentlich möchte. Für den Leser ist es wichtig, dass er ernst genommen wird und in seiner Lokalzeitung einen Anwalt und Verbündeten weiß.

Der Erfolg einiger Neugründungen vor allem in den USA spricht dafür, dass sich Lokalzeitungen mehr Nischen suchen müssen, die unsere Lebenswirklichkeit unmittelbar abbilden. Lokaljournalismus muss sich stärker auf eine Berichterstattung konzentrieren, die früher "kommunal" und heute neudeutsch "hyperlokal" heißt, also Berichte über die Kriminalitätsrate in meiner direkten Nachbarschaft, Debatten um die katastrophale Müllentsorgung in meinem Viertel oder Kommentare zur Kita-Situation bei mir um die Ecke. Egal, welcher Fokus gewählt wird, es geht vor allem um den Nutzwert auf Stadtteil-Ebene.

Nicht die Demokratie beschädigen!

Die vorrangige Frage, die Zeitungsverleger heute beschäftigen sollte, lautet gar nicht "Wozu noch Zeitungen?", sondern tatsächlich - viel grundlegender - "Wozu noch Journalismus?". Wenn nun aber weiter an Inhalten und Personal gespart wird, wie es sich derzeit abzeichnet, berauben sich Zeitungen selbst ihrer wichtigsten Grundlage, wegen derer sie - noch - gekauft werden. Mit anderen Worten: Ohne professionellen, auch teuren Journalismus, also ohne Leitartikel und Lokalspitzen, Reportagen und Analysen, löst sich die Presse in Nichts auf - und das schadet längst nicht nur den Kassen der Verlage, sondern würde mit Sicherheit auch die Demokratie beschädigen.

Eine Demokratie ohne lokale Tageszeitungen wäre um einiges ärmer. Sie wäre vielleicht eine Demokratie, in der das lokale Geschehen nur noch von Bloggern und Bürgerjournalisten beobachtet und bewertet wird. Sie wäre vielleicht eine, in der sich Qualitätsmedien nur noch auf das große Ganze konzentrieren und den Blick für das große Kleine aus den Augen verlieren. Und sie wäre vielleicht eine Demokratie, in der sich Journalisten nicht mehr als Wachhunde der Demokratie, sondern als brave Schoßhunde begreifen, die den Mächtigen nicht mehr ans Bein pinkeln wollen.

Thomas Krüger, 50, ist Präsident der Bundeszentrale für politischen Bildung.

Im Herbst 2010 erscheint das Buch "Wozu noch Journalismus? Wie das Internet einen Beruf verändert" im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht.

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