Serie "The Knick" auf ZDFneo:Da ist überall Blut

The Knick; The Knick Serie Steven Soderbergh Clive Owen

Dr. Thackery (Clive Owen) versucht, assistiert von Lucy (Eve Hewson, r.), eine erste Bluttransfusion.

(Foto: ZDF und Mary Cybulski)

New York ist schmutzig. Die Medizin ist primitiv. Die Ärzte sind Junkies. Und was ist Steven Soderberghs Historien-Krankenhaus-Serie? Brillant.

Von Kathleen Hildebrand

Freunde des Genres Kostümfilm müssen sich irgendwann entscheiden: Wollen sie Nostalgie oder Realismus, Schwelgerei oder Schmutz, Jane Austen oder Gangs of New York, Downton Abbey oder Vikings. Denn zum Versinkenwollen in der Geschichte kann einen sowohl die Liebe zu Schlössern und Landschaftsaufnahmen motivieren als auch die Angstlust am mittelalterlichen Sündenpfuhl.

Ausgerechnet Steven Soderbergh hat nun eine historische Fernsehserie gemacht, die ganz klar am schmuddeligen Ende dieser Skala steht. Ausgerechnet er, denn es war ja Soderbergh, der George Clooney, Brad Pitt und Julia Roberts in der Ocean's-Trilogie noch schöner und cooler aussehen ließ als sonst und der in Magic Mike und Behind The Candelabra den schönen Schein in sehr schönen Bildern dekonstruiert hat.

In seiner ersten Fernsehserie, dem Krankenhaus-Drama "The Knick" ist wenig schön. Das fängt schon damit an, dass der erste Patient, den man als Zuschauer zu sehen bekommt, die Hauptfigur selbst ist. John Thackery, hochbegabter Chirurg und ehrgeiziger Forscher, wacht in einer Opiumhöhle auf und spritzt sich in der Kutsche zu seinem Arbeitsplatz erstmal eine Ampulle Kokain zwischen die Zehen. Clive Owen spielt ihn ohne jede Eitelkeit mit verschwitztem Gesicht und "angry hair", wie die Fernsehkritikerin des New Yorker schrieb. Dazu wummert elektronische, sehr heutige Musik so nervös vor sich hin wie das Herz eines Bluthochdruckpatienten.

Die Operation als Show

Wenn John Thackery kurz darauf erfrischt vom morgendlichen Kokscocktail im OP-Saal steht, sieht er aus wie ein Torero in der Arena. Herausfordernd guckt er ins Rund der Studenten, denn eine Operation ist im Knick meistens auch das: eine Show. Das Krankenhaus will das beste sein, ein Ort von Lehre und Forschung und das geht nicht ohne Publikum. Dass die junge, hochschwangere Frau auf dem OP-Tisch ängstlich flüstert, man möge ihr Kind retten, ist den kühlen Chirurgen da eigentlich egal.

Der Kaiserschnitt, der dann folgt, macht gleich klar, woran man mit The Knick ist: Nämlich näher am Splatterfilm als an noch einer romantisch verklärten Arztserie. Und ganz klar: nicht am Vorabend. Dass das ZDF die Serie um 22.30 Uhr zeigt, ist durchaus gerechtfertigt. Dass es sie im Spartenprogramm versteckt hingegen überhaupt nicht.

Zartbesaitete sollten sich in der Kaiserschnitt-Szene nach dem Stichwort "Schambein" lieber die Augen zuhalten. Auch deshalb, weil auf das quellende dunkle Blut und die blassen Innereien keine tröstlichen Erfolgs-Geigen folgen. Am Ende der Szene sind Mutter und Kind tot. Keine Musik, kein Pathos. So ist es, wenn die Medizin noch primitiv, das Wissen über den menschlichen Körper erschreckend unvollständig ist.

Narziss mit Mission

Soderbergh zeigt mit den Ärzten des Knick keine Helden. Mediziner wie Thackery und sein Mentor Christiansen mögen zu ihrer Zeit die besten ihrer Zunft gewesen sein. Mit heutigen Augen betrachtet sind sie bessere Metzger - und leiden daran. Nach dem missglückten Kaiserschnitt, nicht dem ersten mit diesem Ausgang, breitet der Sigmund-Freud-Lookalike Dr. Christiansen ein weißes Laken auf seinem Sofa aus, streicht es glatt und schießt sich in den Kopf.

So selbstherrlich wie sein Zögling dann als neuer Chefarzt mit seinen Untergebenen umgeht, scheint er der klassische Antiheld des zeitgenössischen Über-Fernsehens zu sein: Don Draper, Walter White, John Thackery. Man wartet auf den großen Moment, der ihn dann doch noch sympathisch macht. Aber The Knick ist gerade deshalb so brillant, weil dieser Moment nicht kommt. Thackery bleibt ein arrogantes Arschloch, ein Narziss mit Mission.

Auch New York bleibt so hässlich, kalt und fahl. Soderberghs New York City von 1900 ist schmuddelig und kalt. Eine Stadt, die gerade erst wird, was sie in der Kulturgeschichte bald sein wird: die Metropole schlechthin. Pferdekutschen rollen über zu breite, staubige Straßen, darin sitzen Menschen mit fahler Haut. Die Frauen tragen alle Schwarz und die schönen Krankenschwestern im Knick, inspiriert vom historischen Knickerbocker Hospital in Harlem, gucken traurig. Lucy, die Schönste und Traurigste, wird später eine Affäre mit Thackery beginnen. Gespielt wird sie von Eve Hewson, der Tochter von U2-Sänger Bono.

Überhaupt ist The Knick ein Sittengemälde von der düsteren Sorte: Es zeigt Korruption, mafiöse Gangsterbanden, Kinderarbeit, schlecht hygienische Verhältnisse und Epidemien. In der privilegierten Welt der Ärzte und reichen Krankenhaus-Finanziers herrschen Sexismus und Rassismus. Die Tochter des Knick-Doyens ist Vorstandschefin und versteinert im Gegenwind, dem sie sich täglich stellen muss. Und Thackery lehnt den höchstqualifizierten Harvard-Absolventen, den schwarzen Dr. Edwards ab - weil sich die Patienten des Knick nicht von ihm behandeln lassen würden.

"Sobald ein Mediziner seine Aufmerksamkeit vom chirurgischen Feld ab- und dem Patienten zuwendet, ist es nur noch eine Frage der Zeit" sagt Thackery zur Witwe seines Mentors. The Knick beobachtet ihn mit voyeuristisch verwackelter Kamera dabei, wie er das versucht: Mit den Kokainspritzen, für die er kaum noch Venen zwischen seinen gelben Zehen findet. Mit Nachtschichten im Kohlenkeller, wo er neue chirurgische Instrumente bastelt oder für seine Forschungen Schweine seziert. Wer keinen Helden zum Liebhaben braucht, der folge John Thackery in seine Opiumhöhle. Oder eben nicht. Ihm wird es egal sein.

"The Knick" läuft dienstags um 22.30 Uhr auf ZDFneo.

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