Seligmann gründet neue jüdische Zeitung:Unorthodoxe Thesen

Der streitbare Rafael Seligmann hat mit "The Jewish Voice from Germany" eine neue jüdische Zeitung in Deutschland gegründet, die über das lebendige jüdische Leben hierzulande berichten und ein Forum für Juden und Nicht-Juden sein soll. Auch vor streitbaren Themen wird nicht zurück geschreckt. Gleich in der Erstausgabe fordert Seligmann, Israel solle Palästina anerkennen.

Thorsten Schmitz

Im Redaktionsbüro steht eine grüne Tischtennisplatte, und unter der Tischtennisplatte liegt ein Hund. Sein Name: Schomer. Schomer? So nennt man Wachleute in Israel. Dabei gibt es jetzt gerade nichts mehr, worauf Schomer in der Wilmersdorfer Altbauwohnung aufpassen müsste.

Eine neue Zeitung stellt das juedische Leben in Deutschland dar

Seligmann mit der Erstausgabe von The Jewish Voice from Germany in den Berliner Redaktionsräumen. Die Zeitung soll mit einer Auflage von 30.000 Exemplaren erscheinen.

(Foto: dapd)

Das Layout steht, die Texte sind geschrieben, die Fahnen belichtet: Seit diesem Montag ist eine neue Zeitung auf dem Markt, ein Vierteljahresblatt aus Deutschland für die ganze Welt, die englischsprachige Jewish Voice from Germany. Schomer, dem Hund, ist langweilig. Nachdem er den Besucher begrüßt hat, wühlt er mit seiner Schnauze in der Erde eines Gummibaums.

In den vergangenen Wochen hat die Tischtennisplatte hergehalten für Layoutbesprechungen und Redaktionssitzungen. Jetzt können Rafael Seligmann, der die Zeitung gegründet hat, und seine Frau Lily wieder Tischtennis spielen - bis zur nächsten Themenkonferenz in zwei Wochen. Rafael Seligmann verscheucht Schomer vom Gummibaum und bittet um einen Moment Geduld, bevor er sich dem Gespräch widmen kann. Er muss noch kurz eine Liste mit seiner Verlagsleiterin besprechen, auf der Namen und Adressen stehen von Lesern, die in diesen Tagen die Erstausgabe seiner Zeitung erhalten. Allein 14 000 Exemplare werden in die USA und nach Kanada geschickt.

Autor des ersten Aufmachers: Heribert Prantl

Viermal im Jahr soll das Blatt von zehn Mitarbeitern erstellt werden und mit einer Auflage von 30 000 Exemplaren erscheinen - um Pessach herum im Frühjahr, dann im Sommer, dann zum jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana und zum Jahreswechsel. Versendet wird es in die USA und in europäische Länder, nach Israel und nach Südafrika, an Hotels in Berlin, deutsche Juden in New York und in Los Angeles, alle Abgeordneten in den USA, Großbritannien und Deutschland, jüdische Senatoren in Washington, an deutschstämmige Juden in Kapstadt, an Rabbiner in Großbritannien. Sogar das Goethe-Institut in Istanbul hat um Exemplare der Jewish Voice from Germany gebeten.

Verglichen mit anderen jüdischen Zeitungen, die in Deutschland hergestellt werden, mit der Jüdischen Allgemeinendie der Zentralrat der Juden in Deutschland herausgibt, und der zentralratkritischen Jüdischen Zeitung, ist die Jewish Voice from Germany eher unorthodox. Der Aufmacher-Artikel ist von einem Nicht-Juden geschrieben worden (von Heribert Prantl, dem Leiter der Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung und Mitglied der Chefredaktion).

Im Spannungsfeld zwischen Deutschland und Israel

Prantl begründet, weshalb die NPD verboten werden müsse. Man könnte annehmen, dass der Gründer einer Zeitung den ersten Artikel in der ersten Ausgabe selbst schreibt - Rafael Seligmann aber hat darauf verzichtet. Er lächelt, als man ihn nach dem Grund fragt: "Mir ist wichtig, dass ein Artikel gut geschrieben ist, nicht, ob der Verfasser jüdisch ist." Wer für die Jewish Voice from Germany schreibe, müsse kein Jude sein. "Nur über das Judentum Bescheid wissen, das sollte er schon!" Seligmann betrachtet die Zeitung als "Forum für Juden wie Nicht-Juden".

Eine neue Zeitung stellt das juedische Leben in Deutschland dar

Seligamnn ist bekannt dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Lea Rosh etwa warf er in einem Spiegel-Artikel einmal vor, sie treibe ihr Projekt für das Holocaustdenkmal "dampfwalzenhaft" voran.

(Foto: dapd)

Seligmann ist selbst Journalist. Er schreibt für Zeitungen und Zeitschriften und war Gründungschefredakteur von The Atlantic Times, einem Monatsmagazin. Vor allem aber ist er Autor von inzwischen elf Büchern. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Der Musterjude und Rubinsteins Versteigerung. Bekannt ist er aber auch dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Lea Rosh etwa warf er in einem Spiegel-Artikel einmal vor, sie treibe ihr Projekt für das Holocaustdenkmal "dampfwalzenhaft" voran. Er wehre sich gegen "diese Schmetterlingssammlerliebe, die die Juden fast ausschließlich als Opfer begreifen will und sie so innig herzt, dass den lebenden Juden die Luft zum Atmen wegbleibt". Jetzt hat Seligmann ein Blatt gegründet, das zeigt, wie lebendig die Juden in Deutschland sind.

Die Zeitung besitzt ein luftiges Layout und drei Ressorts, Politik, Wirtschaft, Kultur. Zwischen den Artikeln sind Anzeigen der Deutschen Bank platziert, aber auch eine, die mit der Eröffnung eines koscheren Restaurants in Berlins Auguststraße Ende Januar wirbt. Seligmann hat nur einen Artikel für die Erstausgabe geschrieben - einen, der von einer überraschenden These getragen wird: Israel solle seine Isolation brechen, indem es als erster Staat einen Staat Palästina anerkennt, vor allen anderen.

Im Wirtschaftsteil findet man einen Artikel über die Zukunft des Euro, womit sich alle anderen Zeitungen auch beschäftigen. Man findet aber auch Berichte über den jüdischen Gründer der Dresdner Bank Eugen Gutmann, und darüber, weshalb die Deutschen im Gegensatz zu anderen Ländern lieber in Miete wohnen, anstatt sich Eigentum zuzulegen, und man findet ein Porträt über eine Frau, deren Name fast jeder Berlin-Besucher kennt: Cynthia Barcomi. Sie betreibt nahe dem Hackeschen Markt ein Café, in dem es die besten Bagels der Stadt gibt. Der Kulturteil beschäftigt sich mit dem neuen Anbau des Tel Aviv-Museums, in dem zurzeit deutsche Künstler ausgestellt werden wie Anselm Kiefer. In einem anderen Artikel wird der Frage nachgegangen, weshalb immer mehr junge Israelis ausgerechnet nach Deutschland auswandern.

Draußen ist es inzwischen dunkel geworden, und drinnen, im Redaktionszimmer, raschelt es unüberhörbar. Das Rascheln kommt von den Glücksbringern der Redaktion, zwei Schildkröten, die Seligmann seit 15 Jahren besitzt. Die eine heißt Feigo, "weil er zunächst relativ ängstlich war", sagt Seligmann. Und die andere, schwarzgemusterte? "Heißt Kuschi. Das ist politisch nicht korrekt", räumt der 64 Jahre alte Seligmann mit einem Lächeln ein, "aber bei Tieren darf man das." Kuschi ist Hebräisch und heißt "Neger".

Finanziert wird die Jewish Voice from Germany allein durch Anzeigen und durch Seligmanns eigenes Kapital, mit dem er eine GmbH gegründet hat. Er lächelt dann noch einmal und sagt: "Ich habe keine Mäzene. Und ich habe auch keine Freunde, die Geerkens oder Maschmeyer heißen."

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