"Selbstgespräche - mit Konstantin Pfau":Olli Dittrich gelingt, was Boris Johnson nur versprochen hat

Selbstgespräche mit Konstantin Pfau

Durch die Goldkrankheit, Morbus Auri, mit Boris Johnson verbunden: Olli Dittrich als britischer Talkgast Michael Trevor Pitchford.

(Foto: WDR/Beba Lindhorst/becground tv)

In "Selbstgespräche - mit Konstantin Pfau" begegnet er dem kalten Wahnsinn der Welt, indem er klug konstruierten Wahnsinn dagegenstellt - auch ohne Pointen.

Von Holger Gertz

Es tritt in dieser Persiflage zum Beispiel der Brite Michael Trevor Pitchford auf, ein Mann, der Boris Johnson sehr ähnlich sieht. Die beiden haben die gleiche Frisur. Pitchford erläutert den Grund für diese Auffälligkeit in einem hinreißenden Chris-Howland-Deutsch, und es ist eine absolut wahnsinnige Geschichte. Sie handelt von einem Gendefekt, der bei 171 Menschen weltweit festgestellt worden ist, die Betroffenen leiden unter der sogenannten Goldkrankheit, Morbus Auri. Ihr strohiges Haar wächst schneller, deshalb sind die Haarwurzeln dauernd entzündet, was zu Beulenbildung führt. Regelmäßig treffen sich die Erkrankten zum Erfahrungsaustausch in einem Nobelhotel in London, und bei einer dieser Gelegenheiten hat Boris Johnson kurz vorm Brexit seinen Leidensgenossen ein Geheimnis verraten, das einerseits den Namen Morbis Auri erklärt. Und das andererseits den Brexit in einen neuen Zusammenhang stellt.

Dittrichs Geschichten beginnen in der Echtwelt und verwandeln sich dann, werden aber nie zu Nonsens

Wer die Kunst des großen Komödianten Oliver Michael Dittrich beschreiben will, muss dessen schwer fassbaren Einfallsreichtum rühmen. Er erzählt Geschichten, die irgendwo in der Echtwelt anfangen, bevor sie sich verwandeln und zu schweben beginnen. Aber sie werden nie zu blankem Nonsens, da gibt es immer einen Link zurück zur Echtwelt. Ende des vergangenen Jahres hat Dittrich - in seiner Rolle als Beckenbauer-Double Schorsch Aigner - den Verbleib der 6,7 Millionen Euro aus der DFB-Affäre aufgeklärt, es stellte sich heraus, dass Aigner selbst das Geld brauchte, unter anderem um einen Teich für alle Fische der Welt anzulegen. Beckenbauer war komplett unschuldig, die Affäre war endlich aufgeklärt. Denn Dittrichs Geschichten haben immer auch reinigende Kraft, er bringt die Dinge nicht zu einem glücklichen Ende, aber wenigstens zu einem Ende. So war das also mit dem Franz. So war es mit Boris Johnson. Oder: So könnte es gewesen sein. Dem kalten Wahnsinn der Welt begegnen, indem man sehr klug konstruierten Wahnsinn dagegenstellt - dieses Prinzip hilft beim Überleben.

Selbstgespräche mit Konstantin Pfau ist die sechste Folge seines TV-Zyklus, in dem Olli Dittrich die Mechanismen des Fernsehens dekonstruiert. Wie immer spielt er alle Rollen selbst, nicht nur den Interviewer mit dem selbsterklärenden Namen Konstantin Pfau. Graues Langhaar, gestutzter Kinnbart. Ein bisschen Precht, ein bisschen Sloterdijk. Neben dem Morbus-Auri-Patienten interviewt Pfau den libanesischen Imbissbudenbesitzer Youssef al-Bustani, der das Bundesverdienstkreuz für präventive Integration bekommen hat. Er hat in Heimarbeit die Lindenstraße auf Arabisch synchronisiert, frühe Szenen mit Til Schweiger. Das liebevoll dilettantisch zusammengeschnippelte Video sollte ein Geschenk für seine Mutter sein, wurde aber von einem Cousin bei Youtube hochgeladen. Und dann? 8,7 Millionen Klicks.

Mut zum Wahnsinn, gepaart mit Akribie

"8,7 Millionen Klicks. Haben Sie eine Erklärung für so was?" fragt der Moderator. Und Youssef al-Bustani: "Ja. Is gute Film. Und Til Schweiger is gute Mann, nä."

Olli Dittrich "Selbstgespräche"

Einen kurzen Einblick in die Sendung bekommen Sie hier.

Wer die Kunst Dittrichs beschreiben will, rühme seinen Mut zum Wahnsinn, der gepaart ist mit Genauigkeit, Akribie. Nur wer das Fernsehen verstanden hat, kann sich über die bösartigen Auswüchse des Fernsehens erheben, die in der sogenannten Gesprächskultur dieses Fernsehens so besonders sichtbar zutage treten. Wie mühsam dieser Pfau seine Herablassung zu kaschieren versucht. Wie hin- und hergerissen dieser freundliche al-Bustani ist, zwischen Stolz und Ratlosigkeit und auch schon dem Ansatz eines sauberen Größenwahns. Er will jetzt dann bald Spielfilme synchronisieren. Wie also das, was bei Youtube passiert, den Ton vorgibt, und wie besinnungslos die beiden im Fernsehen aneinander vorbeireden. Der eine ist überfordert, bei dem anderen steht hinter verständigem Nicken null Verständnis.

Die Überblendungen in den Selbstgesprächen sind ein Erlebnis für sich, da sitzen die Diskutanten allein am aus grobem Holz zusammengezimmerten Tisch, der Gesprächspartner ist nicht zu sehen, es lauert nur ein Mikrofon.

Die scheinbare Konfrontation ist eines der Rituale, nach denen TV-Interviews ablaufen

Dritter Gast: Jörn-Philipp Echternach, deutscher Diplomat und Kurzbotschafter in Ankara. Nach acht Monaten hat er Ankara wieder verlassen. Deshalb Kurzbotschafter. Während der unerfahrene al-Bustani sich ausliefert und alles preisgibt, erzählt der Kurzbotschafter nichts über seine Haltung zur Türkei. "Wir befinden uns in einem Dialog gegenseitiger Partner differenzierter Zustimmung. Das heißt: neue Herausforderungen, aber auch eine tragfähige Suche nach Lösungen auf Länderaustauschebene konstruktiver Art." Und natürlich ist das kritische Nachhaken von Pfau nur eine Imitation kritischen Nachfragens. Vielleicht würde dieses Gespräch in der Echtwelt sogar als Ereignis geliked und geteilt werden, weil es hoch hergegangen ist. In Wahrheit ist ein scheinbar konfrontatives Gespräch - und die Publikumsreaktion darauf - eines der Rituale, nach denen TV-Interviews ablaufen.

Wer sich Dittrichs Filme hintereinander anschaut, wird erkennen, dass er von Jahr zu Jahr weniger der Pointe vertraut, die stärkste Pointe ist oft das Schweigen.

In jeder guten Komödie steckt ja die Tragödie. In seiner großen Dittsche-Erzählung betrat gerade Frau Karger die Eppendorfer Grill-Station. Frau Karger, über die sie im Imbiss immer so schön abgelästert haben. Dittrich trug als Frau Karger einen Pelzmantel zur Achtziger-Jahre-Brille, die Folge war eine schwer berührende Philosophie über das Gift der Tratscherei, und über den Umgang mit Menschen.

Vom Umgang mit Menschen erzählt zur Zeit keiner so wie Olli Dittrich. Auch wenn er mit sich selbst spricht. In dieser neuen Persiflage zum Schluss des Horrorjahres 2016 gelingt ihm, was Boris Johnson nur versprochen hat: Er spinnt Stroh zu Gold.

Selbstgespräche - mit Konstantin Pfau, ARD, 23.20 Uhr.

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