Schweizer "Tatort":Wie zwei Schlafwandler unter Kriegstraumatisierten

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Selbst die Szene, in der Flückiger einen Verdächtigen überwältigt, wirkt, als würde der Kommissar auf Watte wandeln.

(Foto: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler)

Im Schweizer "Tatort" geht es um den Tschetschenien-Konflikt. Eigentlich ein spannendes Thema, das für die Kommissare jedoch zu groß ist. Die Nachlese.

Kolumne von Carolin Gasteiger

Die Erkenntnis:

In "Kriegssplitter" bastelt sich jeder seine eigene Version des Tschetschenien-Konflikts. Vor allem die Ansichten der Geschwister Nura und Nurali könnten nicht unterschiedlicher sein: Der große Bruder Nurali will mit der Vergangenheit abschließen, seine jüngere Schwester Nura sinnt auf Rache. Der Krieg wirkt bis in die Gegenwart nach.

Darum geht's:

Der investigative Journalist Manser stürzt vom Balkon des Hotels "Luzerner Hof" - direkt vorbei an Kommissar Reto Flückiger und dessen Affäre Evelyn. Mansa recherchierte über den Tschetschenien-Konflikt und hatte einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher in Luzern ausgemacht: Ramzan Khaskhanov. Aber dessen Neffe Nurali, der als Kind von Schweizern adoptiert wurde und mit Frau und Baby in Luzern lebt, will davon nichts wissen. Dann steht Nuralis Schwester Nura vor der Tür. Sie will ihren Onkel finden, um sich an ihm für den Tod ihrer Mutter zu rächen. An besagtem Onkel sind jedoch bald nicht nur Nura interessiert. Auch die russischen Behörden, ein tschetschenischer Auftragskiller und natürlich die Schweizer Kommissare Flückiger und Liz Ritschard suchen nach Khaskhanov.

Bezeichnender Dialog:

Von dem Verwirrspiel um Ramzan Khaskhanov ist selbst der Luzerner Kommissar überfordert.

Flückiger: Wir haben doch keine Ahnung, wer dieser Khaskhanov ist. Widerstandskämpfer, Terrorist, Witwentröster, Held - ist alles eine Frage der Perspektive.

Ritschard: Es erwartet niemand von uns, dass wir diesen Konflikt lösen.

Flückiger: Ich will mich einfach nicht instrumentalisieren lassen.

Ritschard: Wenn er Manser umgebracht hat, ist er für uns ganz einfach ein Mörder.

Top:

Allenfalls der Titel. "Kriegssplitter" impliziert, dass der Tschetschenien-Konflikt zerfasert, dass die Splitter, also Feindschaften und Vorurteile, Grenzen überwinden und mehrere Generationen erfassen kann.

Flop:

Mal wieder Flückiger und Ritschard. Wie im Schlaf wandeln die Luzerner Kommissare durch diesen Tatort voller Kriegstraumatisierter, selbst der eine Moment, in dem Flückiger einen Verdächtigen überwältigt, wirkt wie in Zeitlupe. Allenfalls seine Affäre lässt die Augen des Kommissars leuchten. Kollegin Ritschard ist leider nicht viel besser. Zu gern würde man den beiden ein beherztes "Aufwachen!" zurufen.

Beste Auftritte:

Yelena Tronina sagt als Nura in diesem Tatort nicht viel mehr als ein paar Brocken Deutsch. Aber in diesen wenigen Sätzen transportiert sie alles, was der Krieg und seine Nachwirkungen in einem Menschen auslösen können: Wut, Verzweiflung, Angst und tiefe Verbitterung.

Verstörendste Szene:

Nurali hilft seinem Onkel Khaskhanov bei der Flucht. In einem geheimen Versteck kommt es zum Streit. Khaskhanov versucht, die Vergangenheit schönzureden, Nurali glaubt ihm nicht. "Es ist nicht so einfach, es war Krieg", beteuert Khaskhanov immer wieder. Vergeblich. Und dann wird offenkundig, wie weit sich Onkel und Neffe tatsächlich schon entfernt haben: Als Nurali gehen will, reichen keine Worte aus, um ihn zurückzuhalten. Khaskhanov bedroht ihn mit einem Maschinengewehr.

Schlusspointe:

Uninspiriert schauen die Kommissare eine Videoaufnahme an, die dokumentiert, wer den Journalisten Manser tatsächlich umgebracht hat. Diese Auflösung wirkt ziemlich uninspiriert, passt dafür aber immerhin zu den Kommissaren. Manche Themen sind einfach zu groß für den Tatort. Und erst recht für die Schweizer Kommissare.

Die besten Zuschauerkommentare:

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