Schlager im "Tatort":Mallorca liegt im Zillertal

Im Dresdner "Tatort" gab es am Sonntag verstörend lustige Musik zu hören. Ein Gespräch mit dem Komponisten Francesco Wilking über Quarkkeulchen und Schlager als Filmstoff.

Interview von Cornelius Pollmer

SZ: Herr Wilking, haben Sie schon einmal Quarkkeulchen gegessen?

Francesco Wilking: Na klar.

Und?

Wie alle guten Sachen eine sehr ungesunde Angelegenheit. Hoher Quarkanteil, eine gewisse Säure, sehr viel Fett, sehr viel Zucker. Fantastisch. Und man muss ja immer mehrere essen: eins kostet 40 Cent, drei einen Euro, das lohnt sich!

Im Dresdner Tatort, für den Sie mit Patrick Reising die Musik geschrieben haben, war eine Volksmusik-Hymne zu hören, Sie preisen darin "Mein Sachsen" und seine Spezialitäten: "Wer Quarkkeulchen und Plinsen je gekostet, der wird bei Sushi nicht mehr satt." Und: "Wer braucht New York, wenn er auch Zwickau haben kann." Da wird Nico Normalsachse wieder schäumen - der macht sich über uns lustig, bewerft ihn mit Quarkkeulchen!

Ich habe mir aus Recherchezwecken sehr, sehr viele Sachen anhören müssen, und bei den meisten dieser Songs hat man ja auch das Gefühl, dass man irgendwie verarscht wird. Die Texte hat außerdem im Wesentlichen Ralf Husmann geschrieben. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er eben nicht wahnsinnig karikiert und überzieht, er beobachtet nur sehr genau. Das kennt man aus Stromberg. Nur weil dann Komödie drüber steht, wirkt es gleich lustig.

Für den Stromberg-Film hatten Sie auch schon die Musik geschrieben, damals wie jetzt im Tatort pumpt sich ein Akkordeon durch die Lieder. Warum?

Es ist ein Genre-Instrument und steht für einen gewissen Style. Im volkstümlichen Schlager hat sich so eine fiese Kombination etabliert, aus Bums-Beat und virtuos gespieltem Akkordeon. Da merkt man als Hörer, ah ja, da hat jemand seit Kindesbeinen Akkordeon gespielt und mischt es jetzt ins Zeitgemäße. Da wird ganz oft Mallorca mit dem Zillertal verbunden.

Was haben Sie bei der Recherche über den volkstümlichen Schlager noch gelernt?

Es gibt diese Muster, die wirklich ganz krass auf Funktionalität abzielen. Eine 18-Jährige mit langen blonden Haaren, die zu Zöpfen geflochten sind, singt darüber, wie sexy bestimmte Jungs aus bestimmten Bundesländern sind. Wir denken uns das ja nicht nur aus, für Mein Sachsen gibt es ein echtes Vorbild. Mein Schatz ist made in Germany, heißt das, und das funktioniert ja auch. Es ist oft sehr gutes Kunsthandwerk. Und sehr furchtbar.

Tatort: Auf einen Schlag

"Ich kann stark sein für zwei, denn ich trag dich in meinem Herzen", singt Tina (Alexandra Finder), im Bild mit Manager Rollo (Hilmar Eichhorn).

(Foto: Andreas Wünschirs/MDR)

Und das lässt sich imitieren?

Ja, wir haben uns dafür einen Synthesizer gekauft, der diese ganzen billigen David-Guetta-Sounds drauf hat. Den habe ich inzwischen leider runtergeschmissen, aber das war schon bemerkenswert: ein Knopf, ein Sound, fertig. Ich will da nicht abwertend klingen, aber es ist ein Instrumentarium, es ist, wie sich ein Kochbuch zu kaufen. Und diesen Synthesizer gibt es eben nicht im Supermarkt, da musst du schon in den Volksmusik-Supermarkt gehen.

Mit Ihren Bands Tele und Die höchste Eisenbahn spielen Sie eher nachdenkliche Lebenslieder. War das eine Entfremdung, sich auf Schlager umzustellen?

Sicherlich, ja, aber das kann man trennen. Das eine ist persönlich, das andere weniger. Ich fand es total interessant, mich in das Thema hineinzudenken, sonst hätte ich das auch nicht gemacht. Wenn jemand sagen würde: Ey, mach mal fünf Minuten China-Restaurant, dann könnte ich das nicht.

Welche Freiheit gibt es überhaupt, wenn man Lieder für Filme schreibt?

Als Musiker bist du dafür da, ein Gefühl herzustellen, aber es gibt schon große Freiheiten. Im Tatort singt Tina von Toni und Tina eine schöne Ballade, ein Chanson, das an Mary Roos erinnert.

Tina singt also: "Ich kann stark sein für zwei, denn ich trag dich in meinem Herzen / Der Himmel wird mir verzeih'n, wenn ich sag: Ich fühl keine Schmerzen." Ein Mordgeständnis!

Und trotzdem verdrückt man da schon ein Tränchen.

Von Filmmusik wusste man früher: Irgendwas mit Geigen, und zu 90 Prozent kommt es von Hans Zimmer. Haben Sie mit Ihren die Handlung kommentierenden Songs eine neue Nische aufgetan?

Wir haben auch schon klassische Filmmusik gemacht, etwas für den König von Deutschland. Aber ich bin ein großer Fan davon, richtige Songs zu machen, und auch davon, wenn es eine konzeptionelle Idee gibt. Das Schreiben für Stromberg war auch deswegen spannend, weil der Regisseur Arne Feldhusen wollte, dass die Musik immer aus irgendwelchen Dosen herauskommt: aus Boxen im Hotelflur, aus dem Radio im Auto. Da haben wir Songs gemacht, die dramaturgisch funktionieren, die also Party machen, wenn man Party braucht und Drama, wo es Drama braucht.

Schlager im "Tatort": Francesco Wilking, geboren 1974 in Freiburg, gehörte 26 Jahre später zu den Gründern der Band Tele. Zurzeit arbeitet er mit der Gruppe Die höchste Eisenbahn an einem neuen Album.

Francesco Wilking, geboren 1974 in Freiburg, gehörte 26 Jahre später zu den Gründern der Band Tele. Zurzeit arbeitet er mit der Gruppe Die höchste Eisenbahn an einem neuen Album.

(Foto: Frank Eidel )

Wofür schreibt sich Musik leichter, für Kino oder Fernsehen?

Beim Fernsehfilm entscheiden noch mehr Leute mit.

Es ist aber nicht so, dass ein Redakteur anruft und sagt: Wilking, nach der zweiten Strophe fehlt noch Oboe.

Es gibt Situationen, da sagt ein Redakteur: "Ey, das Klavier in der einen Szene stresst mich total." Und man denkt nur, spinnst du, das ist eine Gitarre! Ich hab auch schon erlebt, dass mich der Hauptdarsteller angerufen hat. Er sagte dann, er fühle sich mit der Musik nicht wohl, und ob man nicht . . .

Und?

Wenn der Hauptdarsteller das Gefühl hat, er spielt einen kleinen Supermarktangestellten, wird musikalisch aber als Westernheld stilisiert, dann muss man das berücksichtigen. Dann nimmt man die Spiel-mir-das-Lied-Mundharmonika aus der Szene raus, in der er seinem Chef kündigt.

Wie funktioniert Filmmusik, generell?

Sie ist etwas, das, wie man so schön sagt, subkutan funktioniert. Das ist eine Musik, die die meisten Leute gar nicht hören, sie folgen dem Film, das geht mir auch so. Die Musik muss die Stimmung gestalten, das finde ich legitim und spannend als Arbeit.

Und wie kommt die Musik zum Film?

Unterschiedlich, meistens ist es schon so, dass du erst mal das Drehbuch bekommst. Manchmal geht man auch ans Set, um die Schauspieler zu coachen, wenn sie im Film etwas singen sollen. Es kommt ja auch oft vor, dass Schauspieler ganz virtuos Geige spielen, ohne dass sie es wirklich könnten. Das darf aber natürlich niemand wissen!

Der Rest kommt nach dem Rohschnitt?

Da legen wir erst richtig los, das berühmte weiße Blatt. Ein wunderschöner Moment: Du hast den Film, da ist nichts drauf, und dann spielst du Musik auf diesen Film.

Für wen würden Sie das am liebsten tun? Für einen Wes-Anderson-Film, das ist manchmal ganz komisches Zeug, ergibt mit den Bildern aber oft etwas sehr Schönes. Da ist dann auch mal ein schwarzer Matrose, der David-Bowie-Lieder auf Portugiesisch singt, das ist total gut.

Sind diese US-Serien, die angeblich alle total gut finden, auch bei der Musik vorne?

Die ist oft gar nicht so fortschrittlich und dümpelt zwischen Philipp Glass und Ludovico Einaudi hin und her. Es gibt aber viel mehr Mut, was Kinomusik angeht, im Fernsehen hast du dann ganz oft diese Angst, die mitmusiziert. Das letzte Mal, dass es mich richtig umgehauen hat, war bei The Revenant. Blöder Film, super Musik.

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