Schauspieler Richy Müller:Der Mann, der im Film verschwand

Ein todsicherer Plan; Richy Müller

In Ein todsicherer Plan leidet der Zuschauer mit Richy Müller.

(Foto: SWR/Johannes Krieg)

"Richy" Müller ist nicht sein richtiger Name - doch irgendwann begann er, sich selbst so zu nennen. Auch sonst wird der Schauspieler ständig mit seinen Rollen verwechselt. Der ARD-Fernsehfilm "Ein todsicherer Plan" wird daran wenig ändern.

Von Michael Bitala

Es gibt Menschen, die viel reden, manche auch sehr viel. Aber der? Interviews, heißt es, gibt Richy Müller nicht gerne. Zu oft, war zu lesen, saß er früher abends verzweifelt auf dem Bett, weil er nicht fassen konnte, was wieder über ihn geschrieben wurde. Und wenn man ihn dann noch als Stuttgarter Tatort-Kommissar Thorsten Lannert kennt, dann erwartet man einen sehr schweigsamen, sehr melancholischen Mann, einen, der vor allem eines nicht macht: zu viele Worte. Schon gar nicht über sich selbst.

Natürlich ist wieder mal alles anders. Richy Müller lädt zum Gespräch in ein luxuriöses Heidelberger Hotel am Ufer des Neckars - dunkles, schweres Mobiliar, weinrote Plüschkissen, flüsterndes Personal - und kommt auf die Minute genau in: ausgewaschenem T-Shirt und Jogginghose.

Er trägt eine goldumrandete Brille, hat ein goldenes iPhone und sieht etwas anders aus als im Fernsehen. Er ist nicht ganz so klein, und seine Nase ist nicht ganz so groß. Und seine 58 Jahre sind kaum zu glauben.

Das Auffallendste aber ist: Kaum beginnt das Gespräch, redet er in einem fort. In den kommenden zwei Stunden braucht er eigentlich keine Fragen, im Zweifel stellt er sie sich selbst.

Ein Halbstarker war er nie

Richy Müller erzählt also von seinem neuen Film Ein todsicherer Plan, von seinen Anfängen im Dreiteiler Die große Flatter, der ihn 1979 von heute auf morgen berühmt gemacht hat, von seiner Kindheit im Lokal der Eltern in Mannheim, von seiner Lehre als Werkzeugmacher, von seinem Rauswurf aus der Schauspielschule in Bochum und von seiner Zeit in Berlin, als er jedes Drehbuch abgelehnt hat, bis ihm keines mehr geschickt wurde. Für all das braucht er gerade mal zehn Minuten.

Auch wenn vermutlich jeder Zuschauer, der in den vergangenen 35 Jahren auch nur ausnahmsweise den Fernseher eingeschaltet hat, Richy Müller allein schon wegen seines Aussehens kennt, so ist dieser Mann doch ein Rätsel geblieben.

Ein Schauspielkollege, ehemaliger Mitbewohner und Freund von ihm zum Beispiel, Jürgen Vogel, wird immer Jürgen Vogel sein, egal welche Rolle er spielt. Mario Adorf wird immer Mario Adorf sein. Und Armin Rohde immer Armin Rohde. Aber wer ist Richy Müller?

Richy aus der Flatter

Der Halbstarke Richy aus der Flatter, der dafür verantwortlich ist, dass Hans-Jürgen Müller heute Richy Müller heißt, weil ihn danach alle nur noch Richy genannt haben, bis er sich selbst so nannte? Der Schweiger Thorsten Lannert aus dem Tatort? Der Geiselgangster aus dem Gladbeck-Drama "Ein großes Ding"? Der Ex-Terrorist aus Christian Petzolds "Die innere Sicherheit"? Oder der Schreiner, der zum Bankräuber wird in Ein todsicherer Plan?

Richy Müller redet viel mit den Händen, beugt sich in seinem Sessel weit vor und blickt einem bei jedem Satz, jeder Geste fest in die Augen. Und damit hört er bis zum Schluss nicht mehr auf.

"Mein ältester Freund", erzählt er, "sagte mal, wenn er einen Film mit mir sieht, hat er nach fünf Minuten vergessen, dass ich das spiele." Dieser Satz ist natürlich ein großes Kompliment. Wie viele Schauspieler können schon komplett in einer Figur verschwinden?

Wer den leider viel zu wenig beachteten Thriller "Vermisst - Alexandra Walch, 17" gesehen hat, wird bei Richy Müller lange Zeit nur einen Vater im Kopf haben, der verzweifelt nach seiner Tochter sucht. Das Gleiche gilt für "Ein großes Ding". Da spielt er den Gladbeck-Gangster Hans-Jürgen Rösner, der Silke Bischoff tagelang als Geisel durch Deutschland und die Niederlande gezerrt und dann erschossen hat. 180 Minuten Gnadenlosigkeit, Schreien, Waffe am Kopf, Richy Müller, albtraumhaft böse. Und wer "Die Apothekerin" gesehen hat, wird überzeugt sein, dass dieser Prolet nicht bis drei zählen kann, es kann nach diesem Auftritt gar nicht anders sein.

Method Acting hält er für unsinnig

Wie macht er das? Gelernt, etwa mit dem auf Schauspielschulen beliebten Method Acting, hat er es nicht. "Davon halte ich nicht viel." Da soll sich ein Schauspieler zum Beispiel vorstellen, wie seine Oma vor Jahren gestorben ist, um in einer Szene traurig zu werden. "Da wäre ich beim Spielen einer Szene nicht wirklich anwesend", sagt Richy Müller, weil das traurige Ereignis ja in der Vergangenheit liegt. Dabei rückt er in seinem Sessel noch weiter vor, streckt die Arme aus, als wolle er nach einem greifen, um noch deutlicher zu machen, wie unsinnig diese Methode ist. "Anwesenheit ist für mich die Grundlage für meine Arbeit." Was also heißt: Wird er in einer Szene einfach nicht traurig, liegt es an der Szene - und nicht an der Oma.

Richy Müller redet immer wieder von "Anwesenheit", "Gespür", "Intuition", von Fähigkeiten also, die man nicht lernen kann. Fest steht jedenfalls, dass er seine Rollen so überzeugend spielt, dass ihn viele Zuschauer anschließend mit den Figuren verwechseln. "Nee, nee, du bist der Richy", war der häufigste Satz, den er jahrelang nach der Flatter gehört hat.

Dabei war er nie ein Halbstarker. Im Gegenteil, sagt Richy Müller, "ich bin total behütet aufgewachsen." Er war Leistungsturner, hat im Lokal der Eltern mitgearbeitet und war vor allem draußen: "Wir hatten dauernd offene Knie, es war eine ganz normale Jugend." Und heute? Lebt er mit seiner Freundin, einer Bäckerin, am Chiemsee, fährt leidenschaftlich Auto- und Motorradrennen und behauptet von sich: "Ich bin kein Workaholic. Aber das, was ich arbeite, mache ich mit Herz und Freude."

Die Fähigkeit, komplett hinter einer Rolle zu verschwinden, war für ihn aber nicht immer nur Freude, sondern oft auch Fluch. Denn lange Zeit wollte niemand wahrhaben, dass Richy Müller eben nicht "der Richy" ist, dass er diesen Jungen eben nur sehr überzeugend spielen konnte.

Gangster, Kommissar und Bankräuber

22 Millionen Zuschauer hatte Die große Flatter damals. Das war kein Zwangsfernsehen, auch wenn es nur drei Programme gab. Es war ein Ereignis, den Halbwüchsigen zu sehen, wie er sich gegen sein asoziales Zuhause wehrt, gegen die Schule, gegen alle Misslichkeiten seines Lebens - und dennoch scheitert. 270 Minuten naturalistisches Sozialdrama mit Kohlehalden, Baracken, einem versoffenen, stinkenden, brutalen Günter Lamprecht als Vater, einer unfähigen, unterdrückten Hanna Schygulla als Mutter und einer Geschichte, die nur traurig und deprimierend ist. Schon komisch, was 1979 ein Straßenfeger war.

Danach kannte jeder den "Richy". 15 Jahre hat der Schauspieler gegen dieses Bild gekämpft. Er hat jede Rolle abgelehnt, die ihn eh nur wieder als Richy zeigen sollte, und Eier ausgefahren oder als Türsteher gearbeitet. "Lieber Miese auf dem Konto als Miese auf der Seele", sagt er dazu, doch dann waren seine Schulden so hoch, dass er wieder schauspielern musste. Mit Rainer Kaufmanns Einer meiner ältesten Freunde gelang ihm dann in den Neunzigerjahren das Comeback.

"Irgendwann", sagt Richy Müller, "kam ich drauf: Die Leute hatten keine Vorstellung von mir. Sie erinnerten sich nur an das, was sie zuletzt von mir gesehen hatten." Und das konnte auch bedeuten, dass ihm nach einer extrem ruhigen, fast wortlosen Rolle wie in "Die innere Sicherheit" keiner zugetraut hat, dass er auch den Gladbeck-Gangster, den Kommissar oder den Bankräuber spielen kann.

Richy Müller geht in der Figur auf

Auch in Ein todsicherer Plan geht er wieder so in seiner Figur auf, dass man ihn als Zuschauer gerne selbst aus der Bank raustragen möchte. Weil er sich, fast machtlos, immer weiter in die - Pardon - Scheiße reitet. Eigentlich ist der Mann Schreiner, die Sparkasse hat seinen Kredit weiterverkauft und nun, da er seinen Betrieb und sein Haus verliert, überfällt er mit einem früheren Angestellten die Bank, die für seine Misere verantwortlich ist.

"Man leidet mit ihm", sagt Richy Müller, "der ist ein fleißiger Schreiner, der immer pünktlich bezahlt hat, Arbeitsplätze geschaffen hat, und plötzlich ist er übermannt von Gegebenheiten, für die er nichts kann." Man könne ihn verstehen, aber "es ist nicht gut zu heißen. Man kann nicht einfach eine Bank überfallen."

Es war also die Ambivalenz dieser Figur - "er ist ja kein Robin Hood, sondern handelt aus egoistischen Gründen" - die Richy Müller interessiert hat. "Zunächst lese ich ein Drehbuch, um herauszufinden, welche Stimmung es erzeugt", sagt er, "ist sie mir sympathisch, mache ich mich intellektuell dran."

Viele Zuschauer werden in Richy Müller nun sicher wieder eine Zeit lang den Schreiner sehen, der eine Bank überfällt - zumindest bis der nächste Stuttgart-Tatort läuft.

Ein todsicherer Plan, Mittwoch, ARD, 20.15 Uhr

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