Sarah Palin und ihre Fernsehshow:"Nachladen!"

Realität und Wahnsinn: Sarah Palin schießt, jagt und erobert Gletscher - und ist dabei auch noch politisch.

Tobias Moorstedt

Und auch die letzten Meter nimmt Sarah Palin mit Leichtigkeit. Die amerikanische Politikerin zieht sich auf den Felsvorsprung über dem Ruth-Gletscher im Norden Alaskas, blickt hoch zum Gipfel des mächtigen Mount McKinley und sagt: "Das ist besser, als in einem stickigen, alten Politikbüro rumzusitzen. Ich bin lieber hier draußen und frei."

Former Alaska Governor Sarah Palin signs her book during the first stop of her book tour 'American by Heart: Reflections on Family, Faith and Flag' in Phoenix,

TV-Show mit Sarah Palin. Die Politikerin hat ihr Publikum gefunden.

(Foto: REUTERS)

Sarah Palin, ehemalige Gouverneurin und ehemalige Kandidatin der Republikaner für das Amt der Vizepräsidentin und überaus aktuelle und aktive Ikone der konservativen US-APO, nutzt jede Gelegenheit, an ihrem Image als Outdoor-Outlaw zu feilen. Nie bekam sie so viele Chancen zum Feinschliff wie in diesen Wochen, denn Sarah Palin wurde zum Star einer neuen Reality-TV-Show.

Fünf Millionen Amerikaner schalteten neulich bei der Premiere von Sarah Palin's Alaska ein, und beobachteten, wie Frau Palin so lebt und mit Ehemann Todd und einer wechselnden Anzahl von Kindern die nordische Wildnis bereist. Beim Discovery-Ableger TLC (The Learning Channel) laufen normalerweise Sendungen, die zeigen, wie junge Eltern von Achtlingen desintegrieren (Jon & Kate plus 8), oder Titel tragen wie Obese and Pregnant und Strange Sex. Produziert wird das Format von Reality-TV-König Mark Burnett, der The Apprentice mit Donald Trump und den neo-darwinistischen Blockbuster Survivor verantwortlich betreute. TLC verbreitete eine Erklärung: Sarah Palin's Alaska sei unpolitisch und habe nichts mit der Präsidentschaftswahl 2012 zu tun.

Aber wie unpolitisch kann eine irgendwie reale oder nachgestellte Schau sein, die das Alltagsleben von Sarah Palin thematisiert? Palin verdankt den Zuspruch zum Programm nicht ihrer Kompetenz, sondern dem Charme der Show, der Möglichkeit, sich als absolutes All American Girl darzustellen: Sie liebt Familie, Vaterland und Gott, lehnt Abtreibung ab und feiert den Junggesellenabschied schon mal auf der Shooting Range. Noch nie war das Private so politisch wie bei Palin.

Liberale Medien wie der New Yorker oder salon.com kritisierten, dass Palin, die immer wieder andeutet, 2012 kandidieren zu wollen, für den "mehrstündigen Wahlkampfspot zur besten Sendezeit" sogar bezahlt werde. Und Karl Rove, der semi-pensionierte Medien-Fachmann der Republikaner, fragt sich öffentlich, ob ein Politiker, der im Reality-TV auftritt, noch wählbar und präsidiabel sein kann (die Amerikaner könnten ja mal bei Guido Westerwelle nachfragen, wie ihm der einstündige Auftritt im Big Brother-Container bekommen ist)?

Propagande und Pädagogik

In der TLC-Sendung sieht man Palin beim Fischen, Jagen, Fliegen, Raften und Schießen. Es gibt gravitätische Panoramabilder der nordischen Eisberge, von kristallklaren Seen und dazu kurze Interview-Sequenzen - eine Mischung aus Wahlkampfspot, Mineralwasser-Werbung und den Luis-Trenker-Filmen. Dass die 46-Jährige Palin bei der Eroberung des Gletschers und auf hoher See aussieht, als sei sie gerade aus dem Beauty-Salon gekommen, stört weder ihre Anhänger noch die Produzenten. Wirklichkeit ist für Reality-TV keine Verpflichtung, sondern nur Maskerade.

Der Wecker klingelt um vier Uhr morgens in Wasila, Alaska. Sarah Palin steht auf, kümmert sich um ihr Baby Trigg, mutet sich ein paar Pilates-Übungen zu und nimmt dann um 7.30 Uhr an Telefonkonferenzen "mit der Ostküste" teil. Sie blickt in die Kamera, zwinkert, und lobt ihre eigene Arbeitsdisziplin: "It's best to start the day sweet and a little bit hurting." Palins Tage, wie sie in der Serie abgebildet werden, sind eine Mischung aus Pressekonferenzen, Internet-Sitzungen und dem täglichen Abenteuer im Wasserflugzeug der Familie. In einer Folge besuchen sie die Heilbutt-Fischer von Alaska, Sarah meint: "Wir sind bereit, uns die Hände schmutzig zu machen." Die Botschaft der Exkursionen lautet: Ich stehe in Kontakt mit der harten Wirklichkeit, anders als der Intellektuelle Obama.

Im Fernsehen gelingt es Palin, Kinder und Karriere mindestens auf von-der-Leyen'schem Niveau zu verbinden. Immer wieder tauchen ihre Töchter Willow, Piper und Bristol auf. Bristol ist selbst ein Star geworden - als minderjährige Mutter eines kleinen Sohnes, die ihre Beziehungskrisen auf den Titelseiten der Klatschblätter austrägt, und an der Show Dancing with the Stars teilnimmt.

Die Teenager sorgen für die wenigen Momente, in denen hinter Skript und Stil eine Wirklichkeit sichtbar wird: Bei einem Ausflug auf die Shooting Range besteht Palin darauf, dass auch Bristol das Gewehr einmal in die Hand nimmt. Das Mädchen kaut gelangweilt Kaugummi, schnappt sich nach der vierten Aufforderung die Waffe, ballert ziellos fünf Schüsse in die Luft und geht zum Wagen zurück. "Bristol", schimpft Palin und wirkt wie eine pubertätsgeschädigte Mutter: "Nicht aufgeben. Nachladen!" Nachladen, ein zentraler Slogan ihrer Kampagne gegen Barack Obama. Propaganda und Pädagogik sind eins.

Sehr gerne beschwert sich Palin darüber, dass liberale Medien die Privatsphäre ihrer Familie störten und zeigt wiederholt auf das Nebengebäude, in dem sich der Journalist Joe McGiness eingemietet hat, der eine nicht-autorisierte Biografie schreibt: "Er hat uns den Sommer ruiniert." Stolz präsentiert Palin den neuen, hohen Gartenzaun, der auch ein schönes Beispiel dafür sei, dass "wir unsere nationalen Grenzen beschützen müssen"(ganz zufällig sind Immigration und Grenzschutz die wichtigsten Themen 2012). Auch eine Frau, die ihre Kinder als Requisiten verwendet und sich im Fernsehen ausbreitet, schätzt offenbar Privatsphäre.

Vorbild Westerwelle?

Sarah Palin ist nicht die erste Politikerin, die in einer Reality-TV-Serie auftritt. Guido Westerwelle besuchte 2002 den Big Brother-Container von RTL2 und Heide Simonis nahm an einem Tanzwettbewerb von RTL teil. In diesen Fällen waren Politiker allerdings nicht Thema und Star der Shows, sondern so etwas wie lustige Pausenclowns.

Sarah Palin, Frontfrau der Tea-Party Bewegung, die sich strikt gegen die Politik Obamas und gemäßigt-konservative Republikaner wendet, ist die neueste Erfindung der politisch-medialen Evolution. An ihr wird gezeigt, wie Populismus im digitalen Zeitalter aussieht: Palin nutzt die Fernseh-Show, vor einer Woche ist ihr zweites Buch veröffentlicht worden, und sie bestimmt über Facebook und Twitter den Nachrichtenkreislauf. Der Sender Fox News, für den sie noch als Kommentatorin arbeitet, hat ein Studio in ihrem Haus eingerichtet und beginnt jedes Interview mit einer Serie von Trailern und Fanfaren, als werde das posthume Exklusivinterview mit Michael Jackson angekündigt.

Doch nur knapp 30 Prozent der Wähler denken derzeit, dass Sarah Palin eine gute Wahl für das Amt des amerikanischen Präsidenten wäre - was Medien nicht daran hindert, sie häufig auch ins Zentrum der Berichterstattung zu rücken. Aussehen und Hemmungslosigkeit der ehemaligen Schönheitskönigin garantieren Aufmerksamkeit beim Leser und User. Ihr Beispiel zeigt, dass man als Politiker das Parlament nicht braucht, um die Agenda zu bestimmen.

Die Stationen der Lesereise, die vom Verleger bezahlt wird, führt sie bald ganz zufällig durch Idaho und South Carolina, durch die Staaten, die bei der Vorwahl 2012 eine große Rolle spielen werden.

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