RTLnitro:Wer "Tutti Frutti" anschaut, möchte sich in einer Tour schämen

Comeback für 'Tutti  Frutti'

Wie beim letzten Versicherungsvertrerausflug: Jörg Draeger (r.) und Alexander Wipprecht in der Kulisse von Tutti Frutti.

(Foto: dpa)

RTLnitro legt die Ausziehsendung aus den Neunzigern neu auf. Leider kriegen die Moderatoren das mit der Ironie nicht hin.

TV-Kritik von Hans Hoff

Es gibt eindeutig zu wenig nackte Frauenbrüste im deutschen Fernsehen. Legionen junger Männer irren schließlich schon seit Jahren durch die zur Verfügung stehenden Kanäle und fragen sich, wann sie denn endlich mal wieder eine nackte Frauenbrust zu Gesicht bekommen. Sieht man sonst ja nirgends in diesen so keuschen Zeiten. Dachte man sich wohl zumindest beim RTL-Digitalableger RTLnitro.

Anders ist nämlich nicht zu erklären, wie man auf eine Idee kommen konnte, deren Beurteilung als genial den Strategen im Sender exklusiv vorbehalten bleibt. Manchmal laufen in diesen Sendern die Dinge halt anders ab als man das in der realen Welt für möglich hält. Irgendein Chef ist da wahrscheinlich mal nach einem unerwarteten Testosteronschub in der Redaktionskonferenz aufgestanden und hat lauthals die frohe Botschaft verkündet: "Wir bringen Tutti Frutti zurück auf den Bildschirm." Das mag bei den mehrheitlich eher jungen Mitarbeitern ein paar Momente lang für Verwirrung gesorgt haben, weil keiner der Mittdreißiger die erwähnte Sendung aus eigener Anschauung kennen konnte. Aber dem wurde abgeholfen. Die meisten riefen ihre Eltern an und hörten von denen, was zwischen 1990 und 1993 die Bildschirmwelt bewegt hat.

Wie die erotische Maueröffnung

Zur Erinnerung: Als Tutti Frutti im Januar 1990 das erste Mal auf Sendung ging, war das Privatfernsehen und damit auch RTL just sechs Jahre alt geworden und die Berliner Mauer gerade mal zwei gute Monate offen. Die Bundesrepublik war im Wandel begriffen, und gerade deshalb knallte eine Sendung wie Tutti Frutti rein wie nichts. Sie war quasi so etwas wie die erotische Maueröffnung. Auf einmal gab es Einblicke, die sich öffentlich-rechtliche Sender niemals zu gewähren getraut hätten.

Nach RTL-Angaben sahen angeblich regelmäßig vier Millionen Menschen zu, wenn Hugo Egon Balder leichtbekleidete Mädchen und ein paar Kandidaten empfing, alberne Spielchen spielte, die allein darauf ausgelegt waren, dass sich am Ende oder zwischendrin irgendwer auszog.

Eine Art Ballett bewegte sich dann mehr oder weniger gelenk im Takt italienischer Plastikmusik, und am Ende rissen die als Früchtchen verkleideten Damen ihre knappen Dessous auf, damit man ihre Brüste oder die auf die Brüste geklebten Spielsymbole sehen konnte. Danach mussten die Kandidaten irgendwelche Fragen beantworten und bekamen nach schwer durchschaubaren Kriterien fürs Antworten Länderpunkte. Die Regeln waren sehr offensichtlich egal, weil es ja eh nur darum ging, nackte Haut zu zeigen. Auf 4800 entblößte Brüste kommt die RTL-Statistik, die 150 Ausgaben der Sendung in drei Staffeln umfasst.

Tutti Frutti war das, was man später mal Kult genannt hätte, aber 1990 ging man mit dem Begriff noch eher sparsam um. Im Jahre 2016 ist von Sparsamkeit indes keine Rede mehr. Zumindest nicht beim Anpreisen der Neuauflage. "Wir versuchen, den erotischen Mittelstand zu retten", stapelt Alexander Wipprecht gleich zu Beginn die Ansprüche sehr hoch. Der Schauspieler ist einer von zwei Moderatoren, die man heutzutage offenbar braucht, um das zu erledigen, was Hugo Egon Balder damals allein hinbekam. Wipprecht zur Seite steht Jörg Draeger, ein Spielshow-Urgestein (Geh aufs Ganze), das im Smoking antritt und Menschen interviewt, die früher mal bei Tutti Frutti blank gezogen haben.

Geringstmöglicher Einsatz bei größtmöglicher Gewinnabschöpfung

Leider müssen beide das in einer Kulisse erledigen, die in ihrer billigen Erbärmlichkeit wirkt, als sei sie beim letzten Versicherungsvertreterbelohnungsausflug in einen Budapester Billigpuff übrig geblieben. Die Moderatoren sind sichtlich überfordert, und die Schnitte wurden nach der Aufzeichnung ganz offensichtlich von einem Zufallsgenerator gesetzt. Zusätzlich dauert der bittere Ernst, den man Spaß in keiner Sekunde nennen mag, netto 85 Minuten und wird bei Ausstrahlung natürlich noch mit reichlich Werbung angedickt. Man will bei RTLnitro ganz deutlich Kasse machen nach dem Motto "geringstmöglicher Einsatz bei größtmöglicher Gewinnabschöpfung". Die Zeiten sind halt hart im Kampf der winzigen Privatsender.

Kein Vergleich mit 1990, als das Geld noch in Strömen durch die Kommerzkanäle floss. "Mit dem Geld, was wir damals allein für die fünf nie gesendeten Piloten ausgegeben haben, könnte ich Genial daneben 20 Jahre machen", hat Hugo Egon Balder mal ausgeplaudert, und in seiner Biographie "Ich hab mich gewarnt" verriet er gar, wie die Gehaltsverhandlungen einst geführt wurden. Demnach saßen Balder und seine damalige Frau mit einem Sendergewaltigen in einem Restaurant zusammen und träumten von einem Jahresgehalt um die 300 000 Mark. Als der Sendergewaltige nach den Gehaltsvorstellungen fragte, konterte Balders Frau frech mit "eine Million Mark". Der Sendergewaltige zögerte nicht eine Sekunde und sagte sofort zu.

Selbstironie? In keiner Sekunde

Für Balder wurde die Sendung mit den Brüsten dann der Durchbruch in beide Richtungen. "Titten sind mein Schicksal geworden. Gibt aber Schlimmeres", schrieb er später über seinen Aufstieg. Auf einmal war er ein Star. Gleichzeitig hatte er aber auch mit dem Fluch zu kämpfen, fortan als Titten-Hugo durch die Fernsehwelt zu stapfen. Bemerkbar machte sich das, als er später mit dem Konzept von Genial daneben beim WDR vorstellig wurde, dort aber abblitzte, weil der damalige Fernsehdirektor ihn nur als den Typen von Tutti Frutti kannte.

Wie wertvoll Balders lässige Art einst war, erkennt man heute sehr deutlich, denn Wipprecht und Draeger bekommen das mit dem demonstrativen Augenzwinkern und der Selbstironie nicht in einer Sekunde hin. Sie wirken wie überforderte Angestellte eines kurz vor der Pleite stehenden Betriebes, die es versäumt haben, sich zu verdünnisieren, als es darum ging, wer den Junggesellenabschied des Juniorchefs ausrichtet.

Weil sie das mit der Ironie nicht hinbekommen, ist die im Konzept der Show angelegte Frauenfeindlichkeit plötzlich wieder Thema. Man möchte sich in einer Tour schämen, wenn sich die Kandidaten Mike und Antje durch die Spiele mühen und Fragen beantworten müssen, bei denen es darum geht, wie viele Sexpartner der Deutsche durchschnittlich hat (13) und wie viele Kalorien man angeblich beim Geschlechtsverkehr verliert (21). Ob das alles stimmt, ist ebenso wurscht wie die sehr offensichtlich herangezüchtete Begeisterung des Saalpublikums bei dieser erotischen Kaffeefahrt. Man hätte auch ebenso "Brust oder Keule?" fragen können.

Brust gibt es ja reichlich vom Cin-Cin-Playboy-Ballett, das ein ums andere Mal blank zieht und es wie eine Erlösung wirken lässt, wenn der Veteran Balder am Schluss höchstpersönlich einen Kurzauftritt hinlegt. Er spielt einen Zuschauer, der sich die ganze Katastrophe daheim am Fernseher zugeschaut hat und sagt. "War doch toll, und ich habe endlich die Regeln verstanden." Nett gesagt, leider komplett gelogen.

In der Zentrale bei RTLnitro dürfte nach der Show auf jeden Fall das Telefon Sturm klingeln. Dran sind dann die 90er Jahre. Die wollen ihr Tutti Frutti wiederhaben, bevor man noch weiteren Unfug damit anstellt.

Tutti Frutti, RTLnitro, 30.12., 22.05 Uhr

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