RTL-Geschäftsführerin Schäferkordt:"Weniger ist mehr"

ARD und ZDF haben jüngst einen Mehrbedarf von 1,4 Milliarden angemeldet - für RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt ein Fall von Realitätsverlust. Im Interview erklärt sie, warum das duale System trotzdem noch zeitgemäß ist, was die BBC besser macht und was sie von Günther Jauch hält.

Christopher Keil

SZ: Frau Schäferkordt, überall wird Fernsehen in seinen Apparaten reduziert und verkleinert. Die BBC spart bis 2016 jährlich circa 800 Millionen Euro ein und baut 2000 Stellen ab. ARD und ZDF haben, wenn auch ohne Aussicht auf eine Gebührenerhöhung, gerade einen Mehrbedarf von 1,4 Milliarden Euro errechnet. Woher nehmen die Öffentlich-Rechtlichen ihr Selbstbewusstsein?

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RTL wird 2011 sowohl bei den jungen als auch bei den älteren Zuschauern wieder als Marktführer abschneiden.

(Foto: dapd)

Schäferkordt: Das ist auch mir schleierhaft. Alle Industrien haben sich spätestens in der letzten Wirtschaftskrise gefragt: Was sind unsere Kernaufgaben, wie können wir die eigenen Abläufe so verändern, dass wir weniger ausgeben, ohne die Qualität unserer Angebote zurückzufahren? Vor diesem Hintergrund zeugt die Gebührenanmeldung von ARD und ZDF ausgerechnet in Zeiten wie diesen von beachtlichem Realitätsverlust, zumal auch der komplette öffentliche Sektor sparen muss.

SZ: Passt das duale System, das Nebeneinander von mit Gebühren finanziertem und kommerziell betriebenem Rundfunk, eigentlich noch in die digitale Welt mit ihrer Angebotsvielfalt?

Schäferkordt: Im Grundsatz: ja. Nur, wenn ich höre, dass sich auch Politiker erregen über die Gebührenanmeldung von ARD und ZDF, muss klar sein: Die Politik trägt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Verantwortung, für das Rundfunk-System, wie wir es heute haben mit seinem gesetzlichen Rahmen.

SZ: Den gesetzlichen Rahmen beschreibt der Rundfunkstaatsvertrag, der fortlaufend erweitert und angepasst wird. Dort ist geregelt, was Auftrag und Umfang von öffentlich-rechtlichem Rundfunk sind. Man könnte ja eine Gebührenobergrenze definieren.

Schäferkordt: England geht diesen Weg gerade, aber dieser Aspekt greift aus meiner Sicht zu kurz. Denn ein Gebührenvolumen zu definieren, heißt noch lange nicht, dass damit auch ein Auftrag erfüllt wird. Es ist höchste Zeit, dass sich die Politik über einen Regulierungsrahmen der konvergenten Medienwirklichkeit Gedanken macht. Dafür muss sie sich darauf besinnen, welche Ziele mit dem System erreicht werden sollen, anstatt nur hin und wieder an einzelnen Stellschrauben zu drehen. Aus den Zielen lassen sich dann die relevanten Themen ableiten. Wie gewährleiste ich Schutz für Kreativleistungen in der digitalen Welt? Wie garantiere ich den Zugang von journalistischer Information ins Netz? Wem gehören Frequenzen? Welche Rolle soll der Rundfunk neben den Online-Angeboten spielen? Was ist der konkrete Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Vielleicht taugt die BBC auch hier als Vorbild. Ihr Ansatz lautet: "Less is more", weniger ist mehr.

"Muss jeder ARD-Sender überall empfangbar sein?"

SZ: Das Definieren von Inhalten ist in den vergangenen Jahren allerdings auch schwierig gewesen. Niemand wusste, wohin die Reise geht.

Anke Schäferkordt

Anke Schäferkordt, 48, ist seit 1988 beim Bertelsmann-Konzern und leitet seit 2005 die Mediengruppe RTL Deutschland mit den Fernsehsendern RTL, Vox, n-tv, RTL 2 und Super RTL.

(Foto: dpa/dpaweb)

Schäferkordt: Aber heute herrscht deutlich mehr Transparenz, man kann erkennen, wie sich die unterschiedlichen Medien entwickeln.

SZ: Worüber genau sollte die Politik diskutieren und befinden? Über die Anzahl der digitalen TV- und Radio-Kanäle, die ARD und ZDF erlaubt sein sollen? Darüber, ob zwei Hauptprogramme nötig sind?

Schäferkordt: Richtig, es geht um den Umfang und die Inhalte öffentlich-rechtlicher Angebote, aber auch darum, wo und wie sie verbreitet werden. Muss denn jeder regionale Sender der ARD überall empfangen werden? Muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit allen Inhalten und Plattformen, auch den regionalen, überall hin? Auch da geht es um eine Menge Geld und entsprechende Kapazitäten. Die Verbreitung über DVBT zum Beispiel kostet sehr viel.

SZ: ARD und ZDF soll nicht über jeden Standard verbreitet werden?

Schäferkordt: Nicht zwingend mit jedem Angebot überall und über jeden Standard. Wenn ZDF-Intendant Markus Schächter immer betont, erst eine Senderfamilie könne das Überleben des ZDF in der digitalen Welt sichern, dann frage ich mich: Sind ARD und ZDF nicht bereits die wahrscheinlich größte Senderfamilie der Welt? Wenn der Rundfunk innerhalb der Medien weiterhin eine besondere Rolle spielen soll, dann muss dafür ein konvergenter Regulierungsrahmen geschaffen werden, der dem gegenwärtigen Stand der Entwicklung endlich entspricht. Es kann nicht sein, dass es komplett unterschiedliche Regulierungsregeln für unseren Nachrichtensender n-tv und ein Angebot geben sollte, das ursprünglich aus dem Internet stammt und somit als Online-Angebot definiert wird, das heute aber auch auf dem Endgerät Fernseher stattfindet und in bewegten Bildern über Politik und Börse informiert. So etwas kann in Zukunft nicht mehr funktionieren.

SZ: Monika Piel, die Intendantin des WDR und derzeit Vorsitzende der ARD, hat geäußert, der Zuschauer werde wohl Verständnis haben, würden die Gebühren leicht erhöht.

Schäferkordt: Wir haben daraufhin mal eine Forsa Studie bestellt: Drei Viertel der Befragten einer entsprechenden Umfrage gaben an, dass sie für eine Gebührenerhöhung kein Verständnis hätten. Wenn ARD und ZDF weiter auf Gebührenerhöhungen setzen und die Politik das zulässt, käme man in die Nähe einer vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk entsolidarisierten Gesellschaft.

"'Schlag den Raab' gefällt mir gut"

SZ: Praktisch täglich liest man, wie sich das Internet in seiner Tiefe und Breite vor allem bei jungen Menschen zum Gebrauchsmedium Nummer eins aufschwingt. Tatsächlich steigt die lineare Fernsehnutzung seit Jahren. Warum?

Schäferkordt: Weil starke TV-Marken in der heutigen Flut von Angeboten unterschiedlichster Qualität Orientierung bieten. 2010 gab es einen Rekordwert: Die Deutschen saßen täglich durchschnittlich 223 Minuten vor dem Fernseher mit seinen linearen Programmen, und die Nutzung hat über alle Altersgruppen hinweg zugelegt, auch bei den Jungen - obwohl die Nutzung von Fernseh-Inhalten im Internet immer noch dem Internet zugerechnet wird und nicht dem Fernsehen.

SZ: RTL wird 2011 mit Abstand als Marktführer abschneiden, sowohl bei den Jungen als auch bei allen Zuschauern. Machen die anderen Sender etwas falsch?

Schäferkordt: Ich verzichte hier gern auf schlaue Ratschläge. Sie machen manche Dinge offensichtlich anders, damit kann ich gut leben.

SZ: Anders gefragt: Was entdecken Sie bei den anderen, das sie selbst gerne hätten für das RTL-Programm?

Schäferkordt: Die Idee zu Schlag den Raab gefällt mir gut, vielleicht manchmal ein bisschen zu lang, aber ohne Frage professionell gemacht. Und bei der ARD ist die Marke Tatort stark, auch wenn ich nicht jede Ausgabe mag und mich auch stört, dass fast jeder Tatort diese unheimliche soziale Relevanz haben muss.

SZ: Haben Sie Günther Jauchs Talkshowstart bei der ARD am Sonntagabend verfolgt?

Schäferkordt: Wenn ich Zeit habe, schaue ich natürlich rein.

SZ: Mit welchen Gefühlen?

Schäferkordt: Wir haben lange im Vorfeld darüber gesprochen, sodass sich jetzt kein komisches Gefühl mehr einstellt. Manchmal, wenn er abmoderiert: "Wir sehen uns nächste Woche wieder", und er sagt, "bei der ARD", klingt das noch ungewohnt.

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