RTL-Chefin beim TV-Gucken:Hallo Westfalencharme!

Zu Hause gibt sie die Fernbedienung lieber ihrem Freund. Bei RTL, dem Sender, der 2010 bisher mehr Publikum als alle anderen hatte, bestimmt sie sehr das Programm. Ein Fernsehabend mit: Geschäftsführerin Anke Schäferkordt

Lars Albaum

Noch Chips, Frau Schäferkordt?

Anke Schäferkordt

Sie guckte "heimlich hinterm elterlichen Sofa Edgar-Wallace-Filme" - so RTL-Chefin Anke Schäferkordt über Fernsehen in ihrer Kindheit.

(Foto: dpa/dpaweb)

"Gerne."

Die Frau im dezenten Hosenanzug greift zu. Kann sie auch. Ist ja schließlich Feierabend, und die Leiterin der Mediengruppe RTL Deutschland hat einen langen Tag hinter sich. Gemeinsames Fernsehen gucken, natürlich ganz zwanglos: in einer Hotelsuite in der Nähe des neuen Sendegruppen-Standortes am Rhein. Schäferkordt ist in ihrem Büro schon angekommen: "Das ist alles so schön gläsern, da kann man den Kollegen zwischendurch auch mal zuwinken."

Zipp, der Fernseher läuft. Bei n-tv arbeitet sich ein riesiger Schaufelbagger durchs Erdreich. Die RTL-Chefin ist begeistert: "Monster-Maschinen faszinieren vor allem die männliche Zielgruppe." Na dann, flugs auf der Fernbedienung und Dmax gesucht, den Sender, der alles für Männer zeigt - außer nackten Frauen - ist nicht eingespeist.

Sehen Sie gerne, Männerfernsehen, Frau Schäferkordt?

"Nein, ich kann aber verstehen, dass man als Mann Spaß an solchen Sachen hat. Das erinnert mich an meine Kindheit, als die Jungs bei uns diese Feuerstreifen auf den Kotflügel über den Auspuff ihrer Opel Mantas klebten."

Anke Schäferkordt stammt aus einem 90-Seelen-Nest in der Nähe von Lemgo. Man bemerkt ihre Herkunft: Hallo Westfalencharme, etwas kantig, aber echt.

Hat sie als Kind viel Fernsehen gesehen? "Erstaunlich wenig. Ich war lieber draußen in der Natur. Daktari mochte ich, aber dagegen lief meist die Sportschau, dann ließen mich Vater und Bruder nicht. Ansonsten heimlich hinterm elterlichen Sofa Edgar-Wallace-Filme."

Die Kindheit in der Provinz also. Später dann BWL-Studium. Vielleicht da schon der Wunsch, im TV-Geschäft zu arbeiten? "Kein bisschen. Ich wollte früher Tierärztin werden."

Krach, bumm, schepper!

20.42 Uhr. Sie drückt sich durchs Programm. Bei Alarm für Cobra 11 rutschen wir kurz in den sogenannten Mittel-Stunt. Krach, bumm, schepper!

Darauf ein Glas Sauvignon Blanc aus der Lombardei..

Geben Sie es zu, Frau Schäferkordt, Sie lieben die Sopranos und Stromberg. "Stromberg ist toll, hätte aber bei RTL nicht funktioniert. Bei den Sopranos mag ich die Charaktere, aber nicht die Plots. Frauen mögen meist keine komplexen Mafia- und Agentenwelten, wir lieben den klassischen Who-done-it-Kriminallfall." Okay, das Netzwerken in den Medien ist ja auch kompliziert genug.

Den Chefposten bei RTL, lange Zeit von ehemaligen ORF-Patriarchen besetzt, übernahm Schäferkordt übrigens 2005. Seitdem entscheidet sie, was Quote bringen soll.

Wie sieht es mit Fernsehen zu Hause aus? Schaut man mit so einem Job überhaupt privat? "Klar, dass geht. Zuhause gebe ich die Fernbedienung aber meist an meinen Lebensgefährten ab. Das ist besser für uns beide. Ich zappe nämlich für mein Leben gerne."

Wenn eine Entscheidung ansteht, ob ein Format bei RTL on air geht oder nicht, macht Anke Schäferkordt gerne den Sofa-Test. Wenn ihr das Programm auch zuhause gefällt, ist das ein gutes Zeichen. Entschieden wird im Sender aber im Team.

Draußen über dem Rhein ist es dunkel geworden. Die RTL-Chefin möchte gerne Popstars auf ProSieben sehen. Wegen der neuen Jury. Wir switchen rüber. Ihr Blick wird professionell: "Er hat die Haare anders als bei uns." Sie meint das frühere DSDS-Jury-Mitglied Thomas Stein. Schäferkordt mag Casting-Shows, sitzt selber immer wieder im Publikum von DSDS oder dem Supertalent.

Eine junge Blondine befindet sich gerade im Kampf mit einer Brünetten, faselt etwas von Millimeter-Entscheidung. Blondie verliert. Es folgen Tränen und Im-Arm-Halten. Das Übliche eben. Anke Schäferkordts Bedauern hält sich in Grenzen. Hysterisches Siegen-oder-Untergehen-Pathos vom Popnachwuchs hat sie zu oft gesehen

Irgendwann einmal für einen Schauspieler geschwärmt? Kopfschütteln.

Emergency Room hat die Serienwelt verändert

"Es gibt in Deutschland viele hervorragende Schauspieler. Zum Beispiel Christoph Waltz bewundere ich wegen seines Spiels, aber ich bin nicht der Typ, der bei Brad Pitt heiße Wangen bekommt." Aber Tränen vor dem Bildschirm gibt es doch bestimmt hin und wieder? "Klar. Ich baue schnell eine starke Emotionalität zu dem auf, was ich sehe." Oder was sie hört. Als Kind war die RTL-Chefin von der Eurovisionshymne ergriffen, die Meldodie versprach damals noch einen großen Fernsehabend.

22. 30Uhr. Mittlerweile ist Schäferkordt wieder bei RTL angekommen. Es läuft eine Folge der amerikanischen Serie Bones. Mag sie ganz gern. Dr. House natürlich noch mehr, klar. Und Emergency Room hat die Serienwelt verändert. Leider bei Pro Sieben.

Wer oder was nervt im deutschen Fernsehen? Schäferkordt antwortet schnell: "Einige alt gewordene Männer, die in Talkshows immer wieder den Drang verspüren, einem die Welt zu erklären, mit der sie aber selbst grundsätzlich unzufrieden sind. Warum treten sie nicht ab, wenn sie keine Lust mehr haben?"

Irgendwann über Formate des eigenen Senders gelacht, die nicht komisch gedacht waren? "Bei der Reality-Doku Die Farm sollte neulich ein Huhn geschlachtet werden. Eine Seherin hatte vorher Kontakt zu dem Tier aufgenommen und verkündete mit tröstender Stimme, dass das Huhn ,bereit' gewesen sei. Es habe sein Leben gelebt."

In ihrem alten Büro hatte die Medienmanagerin über viele Monate täglich eine Schar von Vögeln auf ihrer Terrasse. Die konnten leider nicht mit umziehen.

23.03 Uhr. Die Chips sind alle. Die Weinflasche ist leer. Anke Schäferkordt bricht auf. Morgen will sie ja wieder Programm machen - und den Kollegen im Mutterhaus winken.

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