Roger Willemsen:"Mehr Oper zur Primetime!"

Autor und Moderator Roger Willemsen über die Gefahr der Klatschreporter, blöde Fernsehredakteure und die Attacke auf Heidi Klum.

Christina Maria Berr

Roger Willemsen, 54, Moderator und Autor ("Hier spricht Guantanamo", "Deutschlandreise", "Der Knacks"), wurde für seine Sendungen ("0137", "Willemsens Woche" und "Willemsens Musikszene") mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zur Zeit tourt er mit verschiedenen Programmen durch die Republik.

Roger WIllemsen, dpa

Hält die Klatschreporter für eine Art Ayatollahs des Westens: Roger Willemsen.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Sie müssen wieder ins Fernsehen.

Roger Willemsen: Ungern. Ich will ja nicht. Vor kurzem hat mir der ORF ein schmeichelhaftes Angebot gemacht: Ich kann machen, was ich will, Hauptsache, ich komme. Da habe ich kurz gezögert, und mich dann entschieden.

sueddeutsche.de: Dagegen?

Willemsen: Ja, ich kann es mir nicht vorstellen, auch weil zwischen mir und der Sendung immer der Fernsehredakteur steht. Das ist eine Spezies, die in der Regel von nichts im Leben so viel versteht wie von Quote, doch auch von ihr versteht er oft nicht genug.

sueddeutsche.de: Und bei den Öffentlich-Rechtlichen?

Willemsen: Ganz genauso ... Hat man nicht in der ARD ernsthaft geglaubt, es werde ein Erfolg, wenn man einen Mann, der die Intelligenz einer Dame an der Art, die Handtasche zu tragen, misst, in das Vorabendprogramm nimmt - nämlich Bruce Darnell? Und dann hat man noch eine Million Euro Werbekosten hinterhergeschmissen. Hätte man an dieser Stelle eine Wagner-Oper gesendet, die Quote wäre diesselbe gewesen. Ich schwör's.

sueddeutsche.de: Das heißt: Mehr Oper?

Willemsen: Was auch immer, aber meinetwegen auch mehr Oper zur Primetime! Definitiv!

sueddeutsche.de: Warum zeigt das dann keiner, wenn's die gleiche Quote bringt?

Willemsen: Oper wäre für viele eine Überforderung. Aber Fernsehen ist ja per se Unterforderung. Ein Medium, das versucht, die Massen hinter sich zu bringen, muss die Menschen unterfordern. Gottfried Benn hat zu Recht gesagt: "Penthesilea" wäre nie geschrieben worden, wenn vorher darüber abgestimmt worden wäre. Eine Mehrheit schafft keine künstlerische Anstrengung. Und natürlich schütze ich die Minderheiten-Interessen. Ich hänge an einer raffinierteren Form, Gefühle anzulegen und zu mischen. Das kann und will das Fernsehen nicht tun. Aber es leistet sich ja nicht einmal quotenfreie Räume, was es sicher könnte ...

sueddeutsche.de: ... und sendet stattdessen Darnell - halten Sie das für bedenklich?

Willemsen: Eigentlich halte ich überhaupt nichts mehr für bedenklich, weil ich wirklich glaube, dass das Fernsehen mittlerweile einen komplett fiktiven Charakter bekommen hat. Es wird nichts mehr geglaubt. Man glaubt die Polschmelze, die Vogel- und die Schweinegrippe nicht, man glaubt auch nicht, dass die Wirklichkeit vor der eigenen Haustür stehen könnte. Es besteht ein ganz grundsätzlicher Vertrauensverlust in das, was Medien sagen. Und deshalb gucken sich die Leute alles wie eine Schmonzette an - selbst die "Tagesschau".

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Klatschreporter heute so gefährlich sind.

"Soap-Opera mit veränderten Mitteln"

sueddeutsche.de: Na, aber immerhin wird dort noch wichtige Politik verhandelt.

Willemsen: Auch nur eingeschränkt. Das Fernsehen hat sich erst mal auf eine sehr leichte Zugänglichkeit in der Sprache, in der moralischen Beurteilung von Sachverhalten, in der Darstellung der Welt geeinigt. Afrika zum Beispiel, kommt nur noch vor, wenn es Krisen oder Seuchen gibt. Stattdessen ist der Schwulst der Interessen der nationalen Politiker vollkommen überrepräsentiert.

Die Berichterstattung simuliert, es sei wichtig zu wissen, wie die Wahl eines stellvertretenden DGB-Vorsitzenden ausfällt oder wie sich bestimmte Koalitionäre untereinander verstehen. Das ist Soap-Opera mit veränderten Mitteln. Man fragt andauernd nach der Chemie unter ihnen, also danach, ob die noch ihr Pausenbrot teilen und so. Das hat aber mit der Prägung der Lebenswirklichkeit durch diese Politiker nichts mehr zu tun.

sueddeutsche.de: Was Sie beschreiben, findet vor allem in Talkshows bei Sandra Maischberger und Reinhold Beckmann statt, oder?

Willemsen: Da muss man differenzieren: Sandra Maischberger erkennt Themen und guckt zu, welchen Reifezustand sie gerade erreicht haben, was an ihnen fruchtbar sein könnte und was problematisch. Das ist, wenn man Pech hat, ein Leitartikel für verteilte Rollen.

sueddeutsche.de: Und Beckmann?

Willemsen: Er macht eher den Versuch, den Politiker als Privatmann herauszupräparieren. Das ist im Grunde eine versteckt politische Anstrengung, weil man weiß, dass politisches Abstimmen durch Sympathie geleitet wird. Deshalb ist es für den Politiker eine politische Tat, sich als sympathischen Menschen darzustellen.

sueddeutsche.de: Das heißt, Politik findet im Boulevard statt?

Willemsen: Ja. Man muss sich klarmachen: Die Politik wird heute durch Frauke Ludowig gemacht. Wenn man jemanden abschießen will, Horst Seehofer etwa, dann findet das zum großen Teil im bunten Bereich statt. Das ist natürlich fatal. Und gerade bei Frau Ludowig ist der Rigorismus, mit dem über Personen gescharfrichtert wird, alles andere als harmlos. Die Klatschreporter agieren moralisch wie die Ayatollahs des Westens.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum sich Heidi Klums Papa vermutlich nach diesem Interview bei Roger Willemsen melden wird.

"Meine Aufregung bestand aus Notwehr!"

sueddeutsche.de: Und warum gucken Sie die Ayatollah des Westens?

Willemsen: Ich verfolge jeden Schrott und bilde mir ein, ich täte es mit Konträrfaszination. Frauke Ludowig ist ja eigentlich für das Fernsehmoderieren nicht eben prädestiniert. Sie hechelt und muss eine künstliche Form von Attraktivität immer neu erschaffen. Allein wie sie ihren eigenen Namen jeden Abend nennen muss, ist ein allabendlicher Fernsehhöhepunkt für mich ist. Sie weiß ja auch nicht, warum sie uns das jeden Abend sagt. Es ist ihr sogar selbst unangenehm.

sueddeutsche.de: Das klingt ja alles nach einer Abfuhr à la Heidi Klum. Warum haben Sie eigentlich gegen die so geschossen?

Willemsen: Och, ich wurde mal grade nach Heidi Klum gefragt. Aber eigentlich ist die kaum satisfaktionsfähig. Meine Aufregung wurde größer gemacht, als sie war, sie bestand aus Notwehr. Ach, und so eine Sache entsteht so banal: Die taz stellt mir eine Frage stellt fünf Minuten später haben die den gewünschten Satz, den sie dann groß und boulevarig durchs halbe Blatt tragen. Welcher Aufwand! Übrigens haben sich nicht die Leser über mich aufgeregt, nur die Journalisten. Aber ich bin ja durch Presse schwer erziehbar. Mein Satz steht und ich würde ihn in all seiner Prosa jederzeit wieder so sagen.

sueddeutsche.de: Und das, obwohl Sie eine derartige Aufregung erzeugt haben?

Willemsen: Ist doch herrlich: Günter Klum hat sich gemeldet und unwillentlich klargemacht, dass er selbst einfachen, syntaktisch überschaubaren Sätzen nicht gewachsen ist.

sueddeutsche.de: Der wird sich, wenn er das liest, sicher auch wieder bei Ihnen melden.

Willemsen: Immer gern! Übrigens: Heidi Klum hat sich dann auch noch geäußert. Sie hat behauptet, ich hätte aufgefordert, eine Schwangere zu schlagen. Das habe ich erstens ausdrücklich nicht gesagt und zweitens von ihrer Schwangerschaft nicht mal gewusst. Ein Anwalt erklärte mir, ich könne sie nun verklagen, denn ihre Aussage sei ehrabschneidend. Ich dachte, es wäre witzig, wenn ich jetzt in dieser Sache gegen Heidi Klum gewinnen würde.

sueddeutsche.de: Und warum haben Sie's dann doch nicht gemacht?

Willemsen: Der Witz war nicht gut genug.

sueddeutsche.de: Nun startet Frau Klum demnächst mit einer neuen Jurybesetzung - vielleicht gefällt Ihnen diese neue Jury sogar?

Willemsen: Oh ja! Ich freue mich sehr, dass es Heidi Klum gelungen ist, Adorno und Horkheimer für die Jury zu verpflichten.

Termine von Roger Willemsen auf www.roger-willemsen.de

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