"Richter Alexander Hold" endet:Fortsetzung des Krimis mit anderen Mitteln

"Richter Alexander Hold" bei Sat 1

Im November 2001 wechselte Alexander Hold vom Amtsgericht ins Studio. Seinem Format begegneten viele leicht pikiert.

(Foto: Sat.1 / Rauner)

Zwölf Jahre lang hat Alexander Hold aus Kempten bei Sat 1 Recht gesprochen. Jetzt endet seine Gerichtsshow - und ein ganzes Genre verschwindet. Das Gesetz des Fernsehens will es so. Geht Hold zurück in den Staatsdienst? Eine Begegnung.

Von Katharina Riehl

Wieland Backes ist ein ernsthafter älterer Herr, ein öffentlich-rechtlicher Journalist seit Jahren, und diese eine Antwort hat ihn dann doch überrascht. Am 3. November hatte er zum Thema "Gericht und Gerechtigkeit" den Fernsehjuristen Alexander Hold in seinem SWR-Nachtcafé zu Gast, und zu dessen Vorstellung gab es ein Einspielfilmchen aus der Sat-1-Show mit einem wegen Körperverletzung verurteilten Mädchen. Günter Hirsch, den ehemaligen Präsidenten des Bundesgerichtshofs, sprach Backes auf Holds Fernsehgericht an. Hirsch antwortete, er finde die Sendung "im Allgemeininteresse sehr gut". Wieland Backes' Erstaunen war nicht zu überhören.

Seit 2001 hat Alexander Hold seine Fälle nicht mehr am Amtsgericht Kempten entschieden, sondern in einem Unterföhringer Fernsehstudio. Als er dort anfing, war die TV-Gerichtsshow gerade das neue große Ding im Privatfernsehen, Barbara Salesch urteilte wie er bei Sat 1, Jugendrichterin Ruth Herz bei RTL. Am Dienstag um 14 Uhr läuft die letzte neue Sendung von Richter Alexander Hold, die anderen Formate gibt es schon lange nicht mehr. Es endet die letzte deutsche Gerichtsshow.

Es ist der Abschied eines Genres, und an wenigen anderen haben sich die deutschen Feuilletons so ausdauernd abgearbeitet wie an diesem. Man kann Wieland Backes' verwundertes "Ja?" auf das Lob des Juristen quasi stellvertretend nehmen für eine gewisse pikierte Grundhaltung: Laiendarsteller, die sich nach Drehbuch als prügelnde Plattenbaubewohner in einem Fernsehstudio den Prozess machen lassen - das Fernsehen, da war man sich selten einig, war nach dem Ende des vor allem lauten Nachmittagstalks mit dem Niveaufahrstuhl noch ein paar Stockwerke nach unten gefahren. Und der deutsche Gerichtssaal, der war natürlich auch in Gefahr.

Er könnte in den Staatsdienst zurück

Alexander Hold sitzt an einem großen Holztisch in seinem sehr hellen, großen Haus in Kempten, er blickt auf die verschneiten Berge, die scheinbar direkt hinter seiner Terrasse anfangen. Er ist in den Fernsehjahren ein bisschen grau geworden, aber es waren ja auch fast zwölf. 50 ist er jetzt, wenn ihn sein Sender aus dem Programm nimmt. Wie es weitergeht, weiß er noch nicht. Er könnte in den Staatsdienst zurück, klärt aber auch Rechtsfragen im Frühstücksfernsehen und in Zeitschriften, außerdem sagt Sat 1, Hold werde ein prominentes Sendergesicht bleiben, und dass man "intensiv" an neuen Ideen arbeite. Die Frage dürfte auch sein, ob der Promi-Richter wirklich noch ein paar Jahre in einem bayerischen Amtsgericht verbringen will.

Aber zurück ins Fernsehen, und damit erst einmal zurück zu Wieland Backes und der Frage nach dem Allgemeininteresse der TV-Gerichtsshow. Alexander Hold sagt, er habe schon immer einen gewissen Drang gehabt, den Menschen die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit näherzubringen. "Und da glaube ich schon, dass wir viel erreicht haben." Scripted Gerichts-Reality als pädagogische Veranstaltung, das ist sein Ansatz für ein Format, das viele als den endgültigen Beweis dafür gesehen haben, dass die abendländische Kultur täglich nach den werbefinanzierten Mittagsmagazinen beerdigt wird.

Am Dienstag etwa lief eine Folge Alexander Hold, in der Bürgermeister Trösch vorgeworfen wurde, seine thailändische Geliebte erdrosselt zu haben. Hold führte mit bewundernswerter Ernsthaftigkeit durch mehr oder weniger flüssig vorgetragene Zeugenaussagen, am Ende überführte Trösch ein Geldschein, und der Bürgermeister kam für zwölf Jahre in den Knast.

Streng nach Strafprozessordnung verhandelt

Das ist kein besonders gutes Fernsehen, die Menschen in der Sendung sind keine Schauspieler. Sogar Alexander Hold, der Tee kocht und Brezen serviert, sagt, die Kritik am schlechten Spiel sei die Kritik am Format, die er "am besten gelten lassen kann". Die Sendung läuft, wie eine echte Gerichtsverhandlung natürlich auch, immer ähnlich ab. Hold sagt, er habe immer darauf bestanden, dass "die Geschichten alle streng nach Strafprozessordnung verhandelt werden". Und weil ein einzelner Raum dramaturgisch nicht allzu viele Möglichkeiten bietet, steht am Ende gerne jemand aus dem Publikum auf und bringt die unerwartete Lösung des Falls. Sehr komplex ist das alles nicht. Aber der TV-Nachmittag ist mit der Gerichtsshow doch vor allem auch harmloser geworden.

Als das Format Ende der Neunzigerjahre die Talks von Bärbel Schäfer, Hans Meiser, Andreas Türck, und wie sie alle hießen, ablöste, bedeutete das auch das Ende des Voyeurismus im Nachmittagsprogramm. Während sich in den Talks Menschen ganz real zum Idioten machten, ersetzten die Laiendarsteller das wahre Leben. Das gibt es seitdem nur noch im Hauptprogramm: Für Erzieherinnen oder Schuldenberater entblößen sich dort ganze Familien.

Mit Salesch, Hold, Herz und auch mit der Psychologin Angelika Kallwass änderte sich nicht nur die Spielart der superseichten Nachmittagsunterhaltung. Die neuen Formate waren keine "Fortsetzung des Talks mit anderen Mitteln", wie es damals hieß, sie waren eine Entwicklung: Lösungsorientiertes Fernsehen war das Rezept. Während in den privaten Talkshows gern dicke, ungepflegte und irgendwie verkorkste Typen aufeinander einbrüllten, bis die Sendezeit vorbei war, kam nun am Ende das Urteil. Im Krimi, dem liebsten Fernsehformat der Deutschen, geschieht auch immer Verbotenes, am Ende gibt es eine Lösung, und ein Täter wird mit der schützenden Hand des Kommissars über dem Kopf in einen Streifenwagen bugsiert.

Das deutsche Massenpublikum wagt nicht viel, muss es auch nicht. Offene Fragen am Ende einer Sendung werden dem Zuschauer nicht zugemutet, das ist keine Besonderheit des Privatfernsehens. Heute laufen auf den vielen einst juristisch bespielten Sendeplätzen Dokuserien nach Drehbuch, in denen Laiendarsteller ganz furchtbare Konflikte austragen und am Ende eine Lösung finden - ohne die räumliche und zeitliche Beschränkung einer einzelnen Gerichtsverhandlung. Die Quoten von Richter Alexander Hold waren auch zuletzt noch sehr ordentlich, aber die jungen Zuschauer fehlten. Scripted Dokus kommen in der Zielgruppe gut an.

Der deutschen Justiz wurde immer eine Abneigung für Richter-Shows unterstellt, von moralischen statt juristischen Urteilen im TV-Gericht etwa war die Rede. Alexander Hold sagt, das sei ein "klassisches Klischee", dass Richter ihre Entscheidungen nur anhand von Paragrafen fällen, ohne Rücksicht auf die Menschen und die Gerechtigkeit. Seine Sendung habe dazu beigetragen zu zeigen, dass das eben nicht so ist. "Sie haben's vergeigt, Ihre Ehe, Ihre politische Karriere, und das für eine Frau, die Sie nicht geliebt hat", sagte Richter Alexander Hold zum verurteilten Trösch. Auch so ein klassisches Klischee.

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