Relaunches:Das Auge denkt mit

Cover

Titelseiten der überarbeiteten Zeitungen "Welt am Sonntag", "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" und "Neue Zürcher Zeitung".

(Foto: Welt, NZZ, FAS)

Hinten abnehmen, um vorne dicker auszusehen: Nach der Frankfurter Sonntagszeitung und der Neuen Zürcher Zeitung hat sich nun auch die "Welt" erneuert.

Von Gerhard Matzig

An zwei sehr respektable Kunstwerke fühlte man sich erinnert, als am Sonntag die Welt am Sonntag und nun am Montag auch Die Welt nach mittelbeschwerlichen Renovierungsarbeiten präsentiert wurden. Das ist ja schon mal nicht schlecht, denn das eine ist der göttliche Film von Helmut Die tl, Schtonk!, das andere der wunderbare Roman Fette Welt von Helmut Krausser.

Im Roman geht es um den poetisch veranlagten Penner Hagen Trinker, der die Welt neu entdeckt. Er begreift, dass sie nicht nur fett, sondern auch groß und im Großen angenehm klein ist. Im Film dagegen geht es unter anderem um den Skandalreporter Hermann Willié, der sich sehnsuchtsvoll nach Größe gierend so vorstellt: "Gestatten, Willié, mit Akzent auf dem E". Dazu malt er ein Häkchen in die Luft, mit einer Geste, die der Schauspieler Götz George wunderbar stutzerhaft, gespreizt und ein bisschen peinlich rüberbringt.

"Gestatten, WeLT. Mit kleinem e": So wird im Editorial das neue Logo der Welt-Familie im Springer-Verlag vorgestellt, das außer für die Tageszeitung auch für die Sonntagszeitung, die Online-Ausgabe und bald auch für den Sender N24 gilt, und alle Erscheinungsformen unter einer deutlich veränderten Signatur wie unter einer behutsam erneuerten Ästhetik versammelt. Dazu gehört das bekannte (schöne) Blau, ein befreiter, eher lässig hinaquarellierter Globus, der nicht mehr mit Längen- und Breitengraden eingekastelt wie hinter Gittern erscheint - und ein neuer Farbakzent: Orange. All das ist in Ordnung. Verändert hat sich die Erscheinung bis auf das Logo nur unwesentlich. Warum auch? Das Layout der Welt war schon seit längerem beneidenswert stilvoll.

Also dann . . . nicht, dass man jetzt doch noch darauf hinaus wollte, dass das, was sich der bekannte bis brillante Grafikdesigner Erik Spiekermann als neues Logo der Springer-Publikationen ausgedacht hat, irgendwie stutzerhaft, gespreizt und ein bisschen peinlich wäre. Und es ist ja nicht falsch, wenn der amtierende Welt-Chefredakteur Jan-Eric Peters das neue Logo so bejubelt: "kräftiger als das bisherige und passt perfekt ins digitale Zeitalter".

Was sollen Chefredakteure auch groß sagen, die Mini-Relaunches im digitalen Zeitalter verkünden? Erstens, und das sagen sie alle: Wir bleiben, was wir sind, denn wir sind der Tradition verpflichtet. Zweitens, und das sagen sie auch alle: Wir gehen mit der Zeit, insofern, als das nicht nur eine Art Wochenzeitung, sondern auch eine physikalische Größenart ist.

Nur: Die Welt wirkt nun, jedenfalls als Zeitungslogo, rein buchstabentechnisch tatsächlich etwas adipös, etwas fett. Und ein Kleinbuchstabe, der sich unter Versalien verirrt hat: Das war unter den Startup-Unternehmen der Neunzigerjahre, bevor sie erwachsen wurden, mal ganz groß in Mode. Es hat den Anschein von Kreativität und Nonkonformität. Typisch Welt halt. Na ja. Im Übrigen passt sie sich dann doch an: Bei den einzelnen Ressorttiteln gönnt man sich die als offenbar antiquiert angesehenen Serifen der Antiqua nur noch am Sonntag. Wie einen Sonntagsanzug. Von Montag bis Samstag dagegen müssen die Buchstaben im Bauhausstill ohne jene ornamentalen Auf- und Abschwünge auskommen, die online angeblich unleserlich sind. Schade drum. Abgesehen davon: Die Welt sieht auch verfettet immer noch ganz gut aus - und insgesamt vielleicht sogar etwas aufgeräumter, ja schlanker. Insofern ist Spiekermann natürlich ein zweifelhaftes Wunder geglückt: Will man (innen, hinten) abnehmen, um (außen, vorne, oben) dicker auszusehen?

Übrigens soll sich auch, wie im Handelsblatt zu lesen ist, die gedruckte Bild, deren Online-Schwester seit Mitte des Monats runderneuert ist, verändern. Auch hier geschieht dies im Zeichen der Synthese: Die Online-Schrift von Bild.de ("Gotham") soll auch die Bild-Zeitung auffrischen.

Auffällig ist es natürlich schon, dass sich nicht nur verschiedentlich die Print- den Online-Produkten innerhalb ihrer Markenidentität anverwandeln; sondern dass sich Printerzeugnisse auch weit darüber hinaus herausputzen, schön machen und ihren Wert unterstreichen. Das gilt für den Spiegel, die Neue Zürcher Zeitung oder die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Sie alle haben, wie auch die SZ, kleinere oder größere schönheitschirurgische Eingriffe in den letzten Monaten im Allgemeinen gut überstanden. Manchmal war das Ergebnis, nun, durchwachsen - so bei der FAS, die sensationell ausgesehen hat, um jetzt nicht mehr ganz so sensationell auszusehen; manchmal war Retro Trumpf - wie beim Spiegel (Hallo Welt! Orange gibt es schon); manchmal konnte alles nur noch sehr viel besser werden: NZZ.

Im Grunde befinden sich die Druckerzeugnisse, das ist schön, in einem entschiedener geführten Schönheitswettbewerb. Hatten sie früher, als sie sich noch hetzen ließen von den neuen Medien, vor allem größere Bilder und kleinere Texte im Sinn, so besinnen sie sich jetzt auf das, was aus einem Printerzeugnis ein wirklich wertiges, souveränes Produkt macht. Das ist nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form, die diesen stützt, wenn nicht gar steigert. Das Auge denkt ja mit.

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