Redaktionschef von Maybrit Illner geht in Rente:Die Antwort sitzt im Wohnzimmer

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ARD-Korrespondent, Moderator und Redaktionsleiter: Wolfgang Klein hat in seinem Berufsleben als Journalist viel Erfahrung gesammelt. Seit 2006 ist er für den ZDF-Talk Maybrit Illner zuständig, jetzt verabschiedet sich der 66-Jährige vom Polittalk. (Foto: Svea Pietschmann)

Kein anderer hat so lange Talksendungen gemacht wie Wolfgang Klein. 14 Jahre Erfahrung hat er als Redaktionsleiter von Sabine Christiansen und Maybrit Illner gesammelt. Nach wie vor hält er Talk für eine "prima Form von Journalismus". Ein Gepräch über das Wesen der Quasselbude.

Von Claudia Tieschky

Herr Klein hat sein Leben lang Fernsehen gemacht, aber es ist nicht so, dass man ihn unbedingt auf der Straße erkennt. Auf die Bitte also, ihn zu beschreiben, sagt die Dame vom ZDF am Telefon: Herr Klein ist ein großer Mann.

Es ist so: Wolfgang Klein, 66, ist vielleicht der Mensch, bei dem man eine Antwort findet auf die Frage, warum die Leute Talkshows schauen wie verrückt und sich dabei von den Einwänden der Berufskritiker überhaupt nicht stören lassen. Dass darin immer dieselben Talkshowbewohner über immer dieselben Themen reden zum Beispiel. Oder dass die ARD mit fünf Talks pro Woche eine schreckliche Quasselbude geworden ist.

Klein, der in dieser Woche in Rente geht, hat 14 Jahre Erfahrung im Polittalk, so viel wie wahrscheinlich kein anderer. Er hat sie mit zwei Moderatorinnen gemacht, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Seit 2006 ist er Redaktionsleiter bei Maybrit Illner im ZDF, der gut sortierten, etwas autoritären Brünetten. Davor war er seit 1998 in der gleichen Funktion bei Sabine Christiansen in der ARD, die oft wirkte, als hätte sie die Kontrolle über die Gäste längst verloren und als Chaosfrau vom Sonntagabend im Ersten für Gesprächsstoff sorgte.

Im ZDF-Hauptstadtstudio wird an diesem Tag gerade die letzte Sendung unter seiner Ägide vorbereitet. Klein sitzt nebenan im Café Einstein. Er trägt ein weißes Hemd und eine ärmellose weinrote Wollstoffweste mit Stehkragen, auf dem Tisch steht Apfelsaft mit Wasser. Er hat sehr gute Laune. Und Talk, sagt er, sei "nach wie vor eine prima Form von Journalismus".

Dazu muss man wissen, dass Wolfgang Klein von Haus aus kein Mann der leichten Muse ist. Er war unter anderem ARD-Korrespondent in Brüssel sowie in der DDR und hat mal den Weltspiegel moderiert. Er war in den Neunzigern auch Nachrichtenchef bei Pro Sieben und erinnert sich, dass sein Chef damals zu ihm gesagt habe: "Deine Nachrichtensendung ist eine Litfaßsäule, völlig egal, was inhaltlich drin ist, wichtig ist, dass viel Werbung draufpasst und wir eine tolle Quote haben."

Aber beim Talk geht es seiner Meinung nach sowieso nicht um faktenorientierten Erkenntnisgewinn: Für Informationen im engeren Sinn, "gibt es natürlich erheblich bessere Methoden, sich zu informieren."

Die Welt der Talkshow, wie sie Wolfgang Klein sieht, ist etwas ganz anderes. Sagen wir, es ist eine Bühne. Oder ein nationaler Stammtisch. Deshalb fallen ihm die Vorwahlsendungen von ARD und ZDF in Zeiten von Brandt, Wehner, Schmidt und Strauß ein; deshalb findet er es "schwierig", dass Frank Plasberg in der ARD jetzt auch über Baumärkte redet und "ohne Not seine politische Kompetenz aufgegeben" habe.

Und deshalb fällt ihm ein, dass "Rot-Grün Klasse war für Talk". Leute seien das gewesen, "die waren von ihrer Mission erfüllt und konnten vor Kraft kaum laufen - und sie hatten auch das Gefühl, das dringend dem Publikum vorführen zu müssen. Die waren in aller Öffentlichkeit kampflustig und haben sich davon Popularität versprochen". Seit Angela Merkel Kanzlerin ist, findet er, hat sich das verändert. "Wenn man im Merkel-Umfeld ist, tut man sich wohl keinen Gefallen, wenn man sich im Fernsehen zeigt, da ist Unauffälligkeit angesagt."

Unauffälligkeit in Talkshows, das merkt man schnell, findet Wolfgang Klein öde. Das größte Verdienst von Sabine Christiansen sei eigentlich gewesen, dass sie die Leute laufen ließ, sagt er. Richtig gehört: Wofür sie immer kritisiert wurde, das sei eigentlich ihr größtes Prä. "Die Leute konnten sich bei ihr zeigen und entwickeln."

Diese Einschätzung könnte daher kommen, dass Klein glaubt, führende Politiker dieser Republik erschienen "nicht zuletzt dank der Talkshows" vielen Bürger näher als ihr eigener Oberbürgermeister. Sei es schließlich nicht so, dass die Menschen "über unsere Führungsleute so reden, als kennten sie sie - und woher sollen sie es haben?" Nicht aus den Schnipseln in den Nachrichten, meint jedenfalls Klein. "Die kennen die, weil sie in den Talkshows eine Stunde lang bei ihnen im Wohnzimmer sind". Man sieht da, sagt Klein, wie jemand angreift oder wie er reagiert, wenn er angegriffen wird ".

Nur die Quote

Nun ist es eben nur so: Wenn es stimmt, dass Talks ein Ausstellungsraum für prominente Politiker und Wirtschaftsleute im deutschen Fernsehen sind, dann ist die ARD jedenfalls zu deren Dauerschaufenster geworden.

Wie viel Talk verträgt ein Sender? Das komme auf die Maßstäbe an, sagt Klein, solle er der ARD etwa Ratschläge geben? "Fakt ist, dass beim Publikum der Talk immer noch recht gut funktioniert."

Warum es funktioniert? Klein hat sich oft gefragt, wie der Zuschauer tickt, er erzählt zum Beispiel von jener BBC-Sendung, in der immer dieselben Gäste die Politik verhandelten und die Leute liebten es, gerade weil es erwartbar war. Oder jene Sendung im Februar 2007, mit Norbert Blüm, Oswald Metzger und Sahra Wagenknecht, in der von Minute zwanzig bis sechzig nur noch alle gleichzeitig sprachen und Maybrit Illner nicht mal mehr mit Jodeln die Kontrolle zurückbekam. Danach seien alle ziemlich betreten gewesen. Nur die Quote, die Quote war genial.

Eine Antwort ist das nicht, aber immerhin eine gute Geschichte.

© SZ vom 13.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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