Recep Tayyip Erdoğan:Türkische Zeitung "Zaman": "Wir gelten als Terroristen"

Zaman

Dursun Çelik, Chefredakteur der deutschen Ausgabe der türkischen Zeitung "Zaman", in seinem Büro in Berlin.

(Foto: Hannah Beitzer)

Die Istanbuler Redaktion der "Zaman" wurde unter staatliche Kontrolle gestellt, der deutsche Ableger will weitermachen - obwohl selbst Leser der Zeitung in Deutschland Anfeindungen befürchten müssen.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Cem Özdemir hat ein Geschenk dagelassen. Es steht gerahmt im Berliner Büro von Dursun Çelik, dem Chefredakteur der türkischsprachigen Tageszeitung Zaman, die seit 1990 in Deutschland erscheint. Das Geschenk zeigt eine Titelausgabe der Zaman mit den Schlagzeilen: "Genie Erdoğan erhält Nobelpreis für Physik!", "Erdoğan: Sexiest Man Alive!" und "Übermensch Erdoğan bezwingt Chuck Norris!".

Das ist ein Scherz, klar - aber einer mit ernstem Hintergrund. Denn die türkische Ausgabe der Zaman, die bis vor Kurzem in einer Auflage von 650 000 Stück erschien, steht seit Anfang März unter staatlicher Kontrolle. Ihr Chefredakteur wurde entlassen, die Redaktionsräume gestürmt. Seitdem sind Dursun Çelik und seine Redaktion quasi abgeschnitten vom Mutterschiff, das gleich am Tag nach der Regierungsaktion, so sagt es Çelik, "den lächelnden Präsidenten Erdoğan auf der Titelseite hatte". Darauf spielt auch das Geschenk Cem Özdemirs an.

Der deutschen Zaman, die Çelik zufolge in einer Auflage von 15 000 Stück erscheint und 19 000 Digitalabonnenten hat, droht dieses Schicksal immerhin nicht. Sie gehört zur Mediengruppe Worldmedia, ist also rechtlich unabhängig von der türkischen Ausgabe. Ein Problem hat sie trotzdem - denn einen Großteil ihrer Artikel über Ereignisse in der Türkei bekam sie vor der Übernahme von den Kollegen aus Istanbul.

Ein Machtkampf im konservativen Milieu

In Deutschland hat sie insgesamt 22 Mitarbeiter, 16 davon sitzen in Berlin. Die Redakteure hier schreiben vor allem über deutsch-türkische Themen. Gerade arbeiten die Journalisten zum Beispiel an Artikeln über die Kriminalität am Kottbusser Tor und den Streit um den Satiriker Jan Böhmermann.

Womit haben die Journalisten den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan verärgert? Zaman wird dem Mediennetzwerk der Bewegung des muslimischen Predigers Fethulla Gülen zugerechnet - die türkische Regierung betrachtet die Gülen-Bewegung als "terroristische Vereinigung". Das war nicht immer so. Gülen galt einst als enger Verbündeter Erdoğans, vor einigen Jahren überwarfen sich die ehemaligen Weggefährten. Inzwischen lebt Gülen im Exil und Zaman wurde zu einer der wichtigsten regierungskritischen Stimmen in der Türkei. Beobachter sprechen von einem Machtkampf im konservativen Milieu. Sie beurteilen den machtbewussten Gülen und seine Ziele durchaus kritisch.

Viele gläubige Konservative in der Türkei hätten Erdoğan zu Beginn unterstützt, sagt Çelik, da sie sich in der säkularen Türkei unterdrückt gefühlt hätten. Auch er selbst habe den neuen Präsidenten am Anfang positiv beurteilt. "Wir waren euphorisch, dachten, es gäbe eine neue Verfassung, mehr Demokratie, die Türkei erhielte ein neues Gesicht. Ich habe geglaubt, dass Erdoğan die Türkei an die EU annähern will", sagt er. Das hätten ja übrigens auch viele europäische Politiker gedacht, wie etwa Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Zaman stand lange auf Seiten Erdoğans

Linke Freunde von ihm hätten schon damals befürchtet, dass Erdoğan die Demokratie aushöhlen werde, erzählt er weiter. "Ich habe sie beruhigt und gesagt: Das wird nicht passieren - und wenn, werden wir es verhindern." Heute verstehe er ihre Ängste nur zu gut.

Noch zu Zeiten der Aufstände um den Istanbuler Gezi-Park im Jahr 2013 stand Zaman an der Seite des Präsidenten. "Viele haben uns dafür kritisiert, dass wir ihn nicht angegriffen haben", sagt Çelik. "Aber er hat schon damals nur noch auf wenige Menschen gehört. Einige unserer Leute gehörten dazu - hätten wir ihn direkt und brüsk angegriffen, wäre es damit auch vorbei gewesen." Das Zerwürfnis kam schließlich trotzdem. Heute sagt Çelik: "Natürlich haben wir als Zeitung auch Fehler gemacht."

Wie geht es weiter mit der deutschen Redaktion?

Seit der Stürmung der Redaktionsräume in Istanbul erscheint die deutsche Zaman mit nur mehr 16 statt wie zuvor 20 Seiten. Nachrichten aus der Türkei finden sich dort nach wie vor. "Wir haben uns natürlich schon auf so einen Fall vorbereitet", sagt Çelik. Woher die türkischen Nachrichten kommen, möchte er allerdings nicht sagen - um seine Kontakte nicht zu gefährden. Er ist wie viele türkische Journalisten vorsichtig geworden. Und das nicht ohne Grund.

Denn er und seine Mitarbeiter spüren die Auswirkungen des Konflikts in ihrer Heimat durchaus. "Wir gelten nun als Terroristen", sagt etwa ein Redakteur, der anonym bleiben möchte, bei einer Tasse Tee in Çeliks Büro. Ein Satz, der eine besondere Wirkung entfaltet, weil er wie auch sein Chef Çelik ruhige, zurückgenommene Männer sind, die eher nachdenklich als kämpferisch wirken. Viele seiner türkischen Interviewpartner müssten fürchten, nach einem Gespräch mit ihm in der Türkei Ärger zu bekommen, erzählt der Redakteur. "Türkische Sänger müssen sich um ein Auftrittsverbot sorgen, Wissenschaftler, dass ihnen die staatliche Förderung gestrichen wird."

Zu Veranstaltungen in Deutschland, die die türkische Botschaft organisiere, werde er nicht mehr eingeladen. "Ich habe mich früher sehr über CDU-Politiker geärgert, die sagten, die Türkei sei noch nicht bereit für einen EU-Beitritt", sagt er. "Heute fürchte ich, sie haben recht."

Die türkische Community in Deutschland ist gespalten

In sozialen Medien beschimpfen die zahlreichen Anhänger Erdoğans in Deutschland die Journalisten der Zaman. "Das ist alles sehr emotional und sehr aufgeladen", sagt der Redakteur. Selbst die Leser der deutschen Ausgabe würden unter Druck gesetzt, erzählen die beiden Journalisten. Es machten sogar Gerüchte die Runde, dass Zaman-Lesern bald die Einreise in die Türkei verboten werde.

Wer Zaman lese und wer nicht - solche Dinge wüsste man übereinander in der türkischen Community, sagt der Redakteur. Manchmal sehe der Nachbar auch schlicht die Zeitung vor der Tür liegen. "Da kommt es schon einmal vor, dass er anklopft und fragt: 'Warum liest du ein Terroristen-Blatt?'" Für Erdoğan oder gegen Erdoğan - diese Polarisierung gilt in der Türkei und in der türkischen Community in Deutschland gleichermaßen.

Und dann war da noch die Sache mit den Einbrüchen - dreimal seien in den vergangenen Jahren Unbekannte in die Redaktionsräume der Zaman eingedrungen, berichtet Chefredakteur Çelik. Unter anderem sei ein Computer gestohlen worden. Wer dahintersteckt, ist bis heute nicht geklärt. Beweise, dass es Erdoğan-Anhänger waren, haben die Journalisten nicht. "Aber was will man schon in einer Zeitung - wenn nicht Informationen?", fragt Çelik. Bis heute tragen die Türen Spuren der Einbrüche.

Die Hoffnung nicht aufgeben

Die Redaktion will trotzdem weitermachen. Auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie das gehen soll - denn viele Werbekunden wollen lieber keinen Ärger mit der türkischen Regierung. "Wer in der Türkei Geschäfte machen will, muss mit Erdoğan zusammenarbeiten", sagt Çelik.

Als einen schweren Rückschlag sehen die beiden Journalisten auch den Flüchtlingsdeal mit der Türkei, der den europäischen Staaten eine Zusammenarbeit mit Erdoğan abverlangt. "Für viele Türken, die eine Annäherung an die EU wollen, ist Europa mehr als nur ein geografischer Begriff", sagt Çelik. "Es geht um Werte. Wenn diese Werte nun der Realpolitik geopfert werden - was sollen die Menschen denken?" Über die Debatte um Jan Böhmermann schütteln sie nur müde den Kopf.

Trotzdem wollen sie die Hoffnung nicht aufgeben. "Erdoğan ist nicht die ganze Türkei", sagt Çelik. "Es gibt immer noch viele Menschen, die so denken wie wir." Seine Kollegen dort hätten auch schon eine neue Zeitung gegründet. Von den einstmals 650 000 Lesern seien zwar nur noch 50 000 übrig, der Rest traue sich nicht mehr, die Zaman zu kaufen. Doch ein Grund, aufzugeben, sei das für einen echten Journalisten ja wohl nicht.

Der Name des Redakteurs wurde nachträglich auf seinen Wunsch entfernt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: