Reaktionen auf den Verkauf der "Washington Post":Ein Erdbeben für den Journalismus

Amazon-Chef Jeff Bezos wird die "Washington Post" kaufen. Journalisten und Branchenkenner brechen in Jubel aus, ehemalige Redakteure sind betrübt - und alle spekulieren darüber, was der Internetmilliardär mit seiner Anschaffung wohl vorhat.

Bob Woodward hat einen großen Teil dazu beigetragen, dass die Washington Post heute eine der berühmtesten und renommiertesten Zeitungen der Welt ist. Als Lokalreporter deckte er gemeinsam mit Carl Bernstein die Watergate-Affäre auf. Heute ist Woodward 70 Jahre alt, hochdekorierter Bestsellerautor, noch immer Angestellter der Post - und der Internetseite Politico zufolge sehr, sehr traurig darüber, dass Amazon-Chef Jeff Bezos seine Washington Post für 250 Millionen Dollar gekauft hat.

Doch er beeilt sich, anzufügen, dass der Ausgang der Verkaufsverhandlungen ein "sehr gutes Ergebnis" für sein Blatt sei. Den neuen Eigentümer schätzt Woodward demnach als einen Mann ein, der "das Geld, die Geduld und die visionäre Begabung" habe, um aus der Übernahme einen Erfolg zu machen. "Ich bin vorsichtig optimistisch", schließt Woodward seine Aussage. The Daily Beast macht daraus die Titelzeile "Woodward isn't happy".

Sein Kollege Bernstein spricht gar von einer "Zäsur für die gesamte Medienwelt", die exemplarisch an der Washington Post dargestellt werde. "Ich habe große Hoffnungen", sagt Bernstein, "dass die Post und vielleicht das Nachrichtengeschäft selbst" durch den Verkauf das Beste der "dauerhaften journalistischen Werte" mit "dem gesamten Potential des digitalen Zeitalters" verbinden könnte.

Die Seite Politico titelt schlicht mit "Das Ende einer Ära bei der Washington Post" und zeigt darunter ein großes Schwarz-Weiß-Bild aus dem Jahr 1971, das die damalige Herausgeberin Katharine Graham und den damaligen Chefredakteur Ben Bradlee zeigt. Politico-Chefredakteur John F. Harris war wie viele seiner Mitstreiter früher Redakteur bei der Washington Post.

Die New York Times schreibt, dass "ein Mogul sich ein Denkmal in der Hauptstadt setzt". Den Verkauf bezeichnen die Times-Autoren als "erstaunlichen Schachzug eines Mannes, der sich so gut wie nie zu politischen Themen äußert und auch zu Zeitungen bisher nicht viel gesagt hat, außer dass er sie liest".

Experte befürchtet Ära der "Sugardaddys"

Andrew Leonard, Autor der Magazin-Website Salon.com, blickt der Zukunft der Post enthusiastisch entgegen: "Der Eisberg hat gerade die Titanic gerettet". Für die gesamte Journalismus-Branche gleiche dieser Vorgang einem "Erdbeben". Es sei Zeit, "Danke, Jeff Bezos" zu sagen, weil es sein könnte, dass dieser der Post eine "rosigere Zukunft" ermöglichen könne. Leonard ist froh, dass weder Medienmogul Rupert Murdoch noch Investor Sam Zell das Traditionsblatt kauften, denn "dann wäre der Post eine politische Richtung aufgezwungen worden". Seine Liebeserklärung an Bezos ist auch ein Seitenhieb auf den Herausgeber der New York Times, der den Boston Globe vor kurzem an den Geschäftsmann John W. Henry verkauft hatte: "Arthur Sulzberger wird vor Neid erblassen. Eine neue Dynastie ist in in der Stadt."

Die Los Angeles Times-Autoren geben sich ähnlich euphorisch, der Kauf der Washington Post sei die Chance für Bezos "die Zeitungen zu reparieren". Insbesondere, weil er ein Mann sei, der sich als an Langfristigkeit orientierter Unternehmensgründer profiliert habe, der Verluste in Kauf nehme, sei die Entscheidung gut, schreiben Ken Bensinger, Andrea Chang und Dawn C. Chmielewski. "Er hat das Geschäft mit Büchern revolutioniert und könnte dasselbe jetzt mit der Post machen."

Der Bestsellerautor und US-Journalist Jeff Jarvis schreibt in seinem Blog "Buzzmachine", er sei sicher, dass die Verlegerfamilie der Grahams "den neuen Eigentümer ihres Familienjuwels" mit Bedacht ausgesucht hätten. "Ich bin froh, dass Bezos seinen Reichtum nutzt, um eine großartige und unabdingbare amerikanische Insitution zu retten." Der Milliardär verstehe es, Netzwerke zu knüpfen, so Jarvis. "Aber ich habe eine Angst: Bezos Geheimniskrämerei." Medienkonzerne müssten "transparent" sein, findet Jarvis. Im Gespräch mit dem britischen Guardian sagt er, in Anspielung auf den Verkauf des Boston Globe an Geschäftsmann John W. Henry und die Übernahme von siebzig lokalen Blättern durch Warren Buffett, aber auch: "Ich hasse die Vorstellung, dass die Zukunft von Zeitungen offenbar nur noch durch Sugar Daddys gerettet werden kann."

"Hungrig nach News"

"Die Grahams haben Nixon überlebt, aber nicht das Internet" schlussfolgert The Daily Beast-Autor Lloyd Grove und zitiert langjährige Redaktionsmitglieder und Weggefährten der Washington Post, die sich als "geschockt und unendlich traurig" und die Atmosphäre bei der Verkündung des Verkaufs als "Stimmung wie an einer Beerdigung" bezeichnen, aber Bezos für die "beste aller Alternativen" halten.

Henry Blodget, der Chef des Technologie-Blogs "Business Insider", zu dessen Investoren Bezos gehört, ist sich sicher, dass Bezos mit seinen Investments Spass haben und interessante Dinge tun wolle. Hinzu komme, dass Amazon einer der grössten Anbieter von Inhalten sei - selbige verkaufe auch die Washington Post. Und wer diese konsumiere, kaufe bekanntlich auch andere Produkte im Web, fasst Blodget mögliche Synergien zwischen dem Internet-Versandhändler und der Zeitung zusammen.

Die Schweizer Neue Zürcher Zeitung zitiert den Blogger Andreas von Gunten, der über den Verkauf sagt: "Hier die alte Verlegerfamilie, die nach 80 Jahren ihren Unternehmergeist verloren hat, lieber Kasse macht und die 250 Millionen ins Trockene bringt, anstatt sich für ihre ach so wichtigen Werte ins Zeug zu legen, und dort der rastlose Gründer und Visionär, der sieht, dass die Menschen auch in Zukunft hungrig nach News sein werden und guten Journalismus erleben wollen und es halt nun mal zur Aufgabe des Unternehmers gehört, herauszufinden, wie man diese Bedürfnisse befriedigen und die dazu nötigen Prozesse finanzieren kann."

Ebenso sieht es die Medienjournalistin Ulrike Langer: Die Post habe den Anschluss verloren. Sie hofft jetzt, dass es Bezos gelinge, die Nachrichten- und Kommunikations-Bedürfnisse der individuellen Nutzer in den Mittelpunkt zu stelle und damit "künftig mehr wie Amazon funktioniert als wie ein Massenmedium aus dem 20. Jahrhundert".

Doch nicht nur auf Nachrichtenseiten und Medienblogs wird diskutiert, auch in sozialen Netzwerken ist der Verkauf der Post ein großes Thema - auf Twitter überbieten sich die User allerdings nicht nur mit ernstgemeinten Beiträgen, sondern auch viel Spott.

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