Radio für Syrien:Der Kasten, der in den Krieg sendet

Radio für Syrien: Man kann es an eine Steckdose, eine Autobatterie oder eine Solarzelle anschließen, gesendet wird über Satellit: Der Radiosender von MiCT.

Man kann es an eine Steckdose, eine Autobatterie oder eine Solarzelle anschließen, gesendet wird über Satellit: Der Radiosender von MiCT.

(Foto: Philipp Hochleichter/Media in Cooperation and Transition)
  • Die Organisation MiCT bringt Radiotechnik nach Syrien - und damit Musik und unabhängige Nachrichten.
  • Zeitungen zu verteilen oder eine Webseite zu betreiben, ist unter dem Assad-Regime schwierig.
  • Mehrere kleine Sender stellen die Übertragung sicher. Sie werden über die Türkei ins Land geschmuggelt.

Von Martin Schneider

Der Kasten, der Musik und unabhängige Nachrichten in den Krieg bringt, ist kleiner als eine halbe Zeitungsseite. 20 mal 30 Zentimeter, schwarz, stabil und leicht. Man kann ihn leicht schmuggeln und verstecken. Und wenn er dann im Baum, auf dem Dach oder eben irgendwo sonst ist, wo man ihn nicht sofort findet, dann kann dieser Kasten in Syrien ein unabhängiges Radio-Programm senden. Nachrichten im Bürgerkrieg per Ultrakurzwelle, und das in Zeiten des Internets: Wenn in einem zerstörten Land kaum noch etwas funktioniert, greifen die Menschen auf alte Technik zurück.

An den Wänden des Büros der gemeinnützigen Organisation "Media in Corporation and Transition" (MiCT) in Berlin-Mitte hängen Karten von Syrien und dem Südsudan, auf Bildern sieht man libysche Kämpfer. Philipp Hochleichter und sein 20-köpfiges Team befassen sich hier mit Regionen, in denen es kracht. Normalerweise erfinden sie keine Geräte, sondern bilden Journalisten aus. In Syrien war die Lage allerdings so speziell, dass sie basteln mussten. Aber wie kommt man in Zeiten von Facebook und Twitter ausgerechnet auf das Radio?

"Es fing alles damit an, dass wir hier im Team mehrere Syrer hatten und uns gefragt haben: Was können wir tun?", erzählt Philipp Hochleichter, der bei MiCT für das Land zuständig ist. Weil der Konflikt noch andauerte, ging es diesmal nicht nur um die Ausbildung, sondern auch um Infrastruktur. Aber welche? Zeitungen verteilen? Unrealistisch. Eine Webseite betreiben? Das Assad-Regime schaltet in Gebieten, die es nicht mehr unter Kontrolle hat, häufig sofort das mobile Internet ab. Blieb nur das Radio. Sie schrieben einen Vorschlag ans Auswärtige Amt. Die Behörde fand die Idee gut und finanziert das Projekt seit Ende 2013. Hochleichter und sein Team versuchten es zunächst mit großen Sendemasten. Die aber wurden entweder direkt wieder zerstört, oder es war kein Strom da, um sie zu betreiben.

Die Bedienung sei so einfach, dass man kaum etwas falsch machen könne

"Statt eines großen Senders könnte man es auch mit vielen kleinen versuchen, dachten wir", sagt Hochleichter. Das Problem: Solche Geräte gab es noch nicht. Warum auch? Die Industrienationen sind mit leistungsstarken Masten ausgestattet, für robuste Sender mit geringer Reichweite gibt es keinen Markt. Also ließen sie diesen Kasten bauen. 12 Volt, 5 Ampère, man kann ihn an eine Steckdose, eine Autobatterie oder eine Solarzelle anschließen. Die Bedienung ist so einfach, dass man kaum etwas falsch machen könne, sagt Hochleichter. Gesendet wird über Satellit, den kann nicht mal Assad ausschalten. Der Kasten hat 25 Watt Sendeleistung, das reicht, um einen Radius von sechs Kilometern - also ungefähr eine Ortschaft - abzudecken.

Aber wie bringt man das Gerät nach Syrien? Mit der Post hinschicken ist gefährlich, Kontakte nach Europa sind bei den Kriegsparteien in Syrien nicht gern gesehen. Also nutzen Hochleichter und seine Kollegen Umwege. Von Berlin schicken sie ein Paket an einen Kontaktmann in der Türkei. Der bringt den Sender in die kurdischen Gebiete. Und von dort wandert das Päckchen weiter an jemanden, der jemanden kennt, der es dann in Syrien versteckt. "Ich weiß gar nicht, wer das am Ende ist", sagt Hochleichter. "Und das ist auch gut so. Weniger für mich, als für denjenigen, der den Sender vor Ort installiert."

Aktuell senden in Syrien zehn Geräte, weitere 13 sollen folgen. Drei davon sind in Städten versteckt, die der so genannte Islamische Staat eingenommen hat. Solange die Terroristen sie nicht finden, senden sie weiter. Missbrauchen kann der IS die Sender nicht: Sie sind per PIN geschützt, hacken bedeutet großen Aufwand.

Graffiti auf Hauswänden teilen mit: Es gibt einen neuen Sender

Einmal installiert, muss man den potenziellen Hörern nur noch mitteilen, dass es einen neuen Radiosender gibt. Das funktioniere auf vielen Wegen, sagt Hochleichter. Facebook-Seiten (wo sie noch abrufbar sind), Mundpropaganda. Und Graffiti auf Hauswänden, der syrische Standardweg, um Botschaften zu verbreiten.

Gesendet wird ein Programm, das aus dem Angebot von neun Sendern zusammengeschnitten wird. Die werden von Leuten betrieben, die zur sogenannten moderaten Opposition gehören. Ihre Studios liegen meist in der Türkei, eins sendet aus Paris, zwei sind noch in Syrien. Von acht bis neun Uhr läuft ein Sender, von zehn bis elf ein anderer und so weiter - insgesamt 18 Stunden am Tag. Die Nachrichten laufen auf kurdisch und arabisch. In den Büros von MiCT sitzt eine Redaktion, die die Sendezeiten zuweist, sich das Programm anhört und Feedback gibt. Viele Journalisten des Netzwerkes waren schon unter Assad Journalisten, "mussten dann aber nach einem kritischen Artikel drei Wochen lang Busfahren", sagt Hochleichter.

Außer in Syrien war das Gerät auch schon in Sierra Leone im Einsatz, um die Leute dort über die Ebola-Epidemie zu informieren. Unabhängige Informationen werden überall gebraucht. Wo das Internet abgeschaltet oder überwacht wird, muss man dann eben auf Altbewährtes zurückgreifen. Und sei es das gute alte Radio.

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