"Promi-Darts-WM" auf Pro Sieben:Zärtliche Gefühle für H.P. Baxxters Hammerpfeile

Promi-Darts-WM bei ProSieben

Promi-Darts-WM bei ProSieben: Darts-Spieler Michael van Gerwen und Wrestler Tim Wiese haben ihre Titelverteidigung verpasst.

(Foto: dpa)

Die "Promi-Darts-WM" auf Pro Sieben hat überraschend magische Momente. Wenn nur die Kamera nicht ständig auf Ärsche zielen und das Saalpublikum keine Klo-Botschaften verbreiten würde.

TV-Kritik von Juliane Liebert

Nach fünfeinhalb Stunden bleiben offene Fragen. Brennende Fragen. Warum beschimpft das Publikum den Moderator unbehelligt als "Zigeuner"? Warum zielt der Kameramann statt auf Darts auf Hintern? Wieviel kostet ein (abwaschbares) Werbetattoo auf Peter Wrights Kopf? War Joko Winterscheidt betrunken? Wenn ja, kann man es ihm verübeln?

Es ist Samstagnacht, auf Pro Sieben läuft die Promi-Darts-WM. Sie beginnt um 20.15 Uhr und erstreckt sich über sehr lange, sehr wechselhafte fünfeinhalb Stunden, bis die Sieger feststehen. Konzept: Ein Team besteht jeweils aus einem professionellen Darts-Spieler und einem Promi. Schon nach den ersten Sekunden ist klar: Es geht hier um Leben und Tod.

Mit Deutschlandfahne versehene Dartpfeile treffen in Zeitlupe ihr Ziel. Einer Bühnentänzerin wird in den Schritt gefilmt, ach ja, Privatfernsehen. Oben links im Bildschirm ist permanent "Dauerwerbesendung" eingeblendet, und das zurecht, denn alles ist mit Werbung gepflastert. Spielerin Fernanda Brandao trägt eine "Geiler Kredit"-Binde um den Bauch, und das ist im Vergleich zum Rest noch subtil. Die Dauerwerbesendung wird, joke's on us, ab und zu von Werbung unterbrochen, was einen dann eher freut. Denn das Saalpublikum ist derart unter aller Sau, dass man die armen Dartsspieler gerne vor ihm retten will - oder sie bitten möchte, sich umzudrehen und mal eine Weile in die Menge zu zielen, bis Ruhe ist.

Die Unfähigkeit der Promis hebt das Können der Profis hervor

Erstaunlich genug: Die wirklich unangenehmen Umstände können dem Sport nichts anhaben. Das Prinzip, Profis und Laien gemischt gegeneinander antreten zu lassen, geht auf. Erstens ist es unglaublich unterhaltsam, mehr oder weniger berühmte Leute zu sehen, die sich bei etwas genauso dumm anstellen wie man selbst. Zweitens hebt die (vergleichsweise) Unfähigkeit der Promis das Können der Profis noch mehr hervor.

Es wird von 501 herunter gespielt, das heißt, am Ende ist der Sieg Rechen- und Präzisionsarbeit, und wenn der blöde Kameramann nicht immer den Tänzerinnen auf den Arsch filmen würde, wäre es eine Freude, dem "Koch vs. Weltmeister-Duell" zuzusehen. Ein bisschen zu weitschweifig ist die Angelegenheit trotzdem, oft passiert nicht viel, dafür dauert's lange.

Kommentator Elmar Paulke rettet gut, beantwortet Fachfragen zum Sport. Winterscheidt wird vom Publikum angefeindet und spricht mit zunehmend schwerer Zunge (oder wirkt es nur so?). Spätestens ab der Mitte hat er keinen Bock mehr. Teile des Vor-Ort-Publikums (Gott sei Dank) auch nicht, der Saal wird leerer. Ab 23.30 Uhr sehen die Spieler sehr erschöpft aus, gegen 1 Uhr ist der erste Zuschauer eingeschlafen. Bei jenen, die bis hierher durchgehalten haben, setzt etwas ein, das nur eine Unterart des Stockholm-Syndroms sein kann: Man beginnt, die Spieler zu lieben. Doch, wirklich.

Als wäre der Geist eines toten Dartsmeisters in Frank Rosin gefahren

Man entwickelt zärtliche Gefühle für Michael van Gerwens elegante Art, den Dartpfeil zu werfen. Für H.P. Baxxter, der die Pfeile in die Scheibe haut, als ginge es darum, wer die tiefsten Löcher macht. Für Ruth Moschners hochkonzentriertes Gesicht vor jedem Wurf. Der Iro von Wright erscheint einem als die Sonne, die always shines on TV. Wenn vor einem entscheidenden Wurf die Augen des Kandidaten blitzen, krallt man sich in die Sessellehne. Unterdessen schreibt das Publikum Sachen wie "Ich muss mal" oder "Ich auch" auf Schilder.

Dann, ein unerwartet magischer Moment - Koch Frank Rosin, der davor eher mäßig gespielt hatte, trifft im entscheidenden Moment mit einer Genauigkeit, als wäre der Geist eines toten Dartsmeisters in ihn gefahren. Und ein anderer Promi, der Youtuber Marcel Scorpion, wird von Runde zu Runde besser, bis er gemeinsam mit Partner Martin Schindler verdient gewinnt.

Was vielleicht auch das Schönste am Darts auf den Punkt bringt: dass jede Runde mit der Präzision eines Uhrwerks ihrem Ziel zuläuft, bis ein Pfeil es besiegelt, aber man trotzdem nie weiß, was passieren wird. Dass manchmal der Laie einen Volltreffer landet, während der Profi verschießt. Dass die Dartscheibe für ein paar Sekunden zum Zentrum der Welt wird, und vor der Scheibe sind alle gleich. Der Koch, der Sänger, der Fußballspieler, der sechzehnfache Weltmeister. Am Ende ist der einzige Verlierer des Abends das Saalpublikum.

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