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Programmzeitschriften: "Vor dem Fernsehen gibt's Hörzu": Mit diesem Slogan warb die älteste deutsche TV-Zeitung in den 1950ern (hier eine Ausgabe aus dem Jahr 1961).

"Vor dem Fernsehen gibt's Hörzu": Mit diesem Slogan warb die älteste deutsche TV-Zeitung in den 1950ern (hier eine Ausgabe aus dem Jahr 1961).

(Foto: imago)

Als TV-Magazine entstanden, war Fernsehen noch das, was aus dem Fernseher kam. Durch Mediatheken und Streaming ist das Angebot unübersichtlicher geworden. Die Hefte reagieren darauf nur zögerlich.

Von Benedikt Mahler

Der Serienstart von You Are Wanted war für viele Fernsehzeitungen ein Anlass, die obligatorische Blondine auf der Titelseite einmal mit einem blonden Bubikopf zu tauschen. Matthias Schweighöfer, der in der Streaming-Serie die Hauptrolle spielt, grinste mit verhaltenem Lächeln aus der Illustrierten-Auslage heraus. Die erste deutsche Amazon-Produktion bot überdies Gelegenheit der treuen Leserschaft vieler TV-Magazine einmal zu erklären, was es mit diesem Streaming, von dem jetzt alles sprechen, eigentlich auf sich hat. "Eine neue Serie, die nicht im Fernsehen läuft und bei der man alle Folgen sofort sehen kann? Was bei ARD oder RTL unmöglich wäre, ist bei Streaming-Diensten nichts besonderes", erklärt etwa die Hörzu.

Seit dem überwältigenden Erfolg von Portalen wie Netflix, Amazon oder Maxdome und dem zunehmenden Angebot der Online-Mediatheken der Fernsehsender müssen die Macher von TV-Magazinen umdenken. Die Zeiten, in denen mit Fernsehen ausschließlich ein lineares Programm gemeint war, das zu vorher festgelegten Zeiten gesendet wurde, sind vorbei. Streaming hat Zukunft, darüber sind sich die Macher von Fernsehzeitungen einig. Fraglich ist, welche Rolle Fernsehzeitungen in dieser Zukunft spielen werden. Bis jetzt machen sich jedenfalls nur wenige Hefte die Mühe, ihren Lesern diese non-lineare Welt zu zeigen.

In Deutschland sind sieben der zehn meistverkauften Magazine Fernsehzeitungen

Der Deutsche liebt Verlässlichkeit und Pünktlichkeit, der Deutsche liebt das Fernsehen und möchte dort nichts verpassen. Er liebt deshalb seine Fernsehzeitung. Kaum eine Zeitschriftengattung ist so im Alltag der Deutschen verwurzelt, wie die Programmzeitschrift. "Vor dem Fernsehen gibt's Hörzu", lautete ein Slogan in den 1950er Jahren, der den vernünftigen Zuschauer vor dem Fernsehgenuss zur Lektüre der Programmzeitschrift aufforderte.

Fernsehzeitungen sind ein deutsches Kulturgut. Nirgendwo auf der Welt gibt es so viele wie hierzulande, es sind fast 40 Stück, und beim Spiegel-Verlag arbeitet man derzeit sogar noch an einer weiteren. Auch in diesem Segment gehen die Auflagen zwar leicht zurück, sie sind aber immer noch enorm: Marktführer tv14 aus dem Bauer-Verlag, der allein neun Programmzeitschriften herausgibt, hält seine 14-tägige Auflage von mehr als zwei Millionen halbwegs konstant. Andere verlieren stärker. Dennoch: Sieben der zehn meistgekauften Zeitschriften sind TV-Magazine. Dem Deutschen Medienverband zufolge nutzen sie etwa 40 Millionen Deutsche. Auch die steigende Streaming-Nachfrage lässt ihre Herausgeber nicht zittern, sie wittern langfristig sogar ihre Chance, das Angebot für ihre Leser zu verbessern. Denn schon jetzt behalten die Kunden nur schwer den Überblick über das Angebot im Netz. "Die Nachfrage nach Programminformationen und Empfehlungen gewinnt deshalb an Relevanz", sagt etwa Sven Dams, Verlagsgeschäftsführer der Bauer-Programmzeitschriften.

Anders als beim linearen Fernsehprogramm, das mit einem vorgefertigten Angebot daherkommt, ist der Nutzer im Netz sein eigener Programmplaner. Im Hinblick auf Auswahl und Uhrzeit bieten die Dienste große Freiheit. Doch diese Freiheit bedeutet auch einen gewissen Aufwand, weil man sich in dem Angebot erst einmal zurecht finden muss. Es gibt viele Möglichkeiten sich digital über das zeitlose Angebot im Netz zu informieren: Die Anbieter kündigen ihre Neuheiten über Newsletter an, Webseiten wie canistream.it oder das deutsche Pendant werstreamt.es bieten kostenlose Suchfunktionen, die einschlägige Streaming-, Kauf- und Verleih-Services nach verfügbaren Inhalten durchstöbern.

Analog ist dagegen wenig geboten. Eine eigene Zeitschrift für die Nutzer von Streaming-Diensten gibt es bislang nicht. Zwar brachte Burda neulich gemeinsam mit Amazon eine Cinema Special "Best of Amazon Prime Video" an den Kiosk. Aus 20 000 Inhalten des Dienstes wählte eine Redaktion die 100 besten aus. Nina von Rheinbaben, stellvertretende Verlagsleiterin von Cinema, nannte das Magazin in einer Mitteilung "den ersten ausführlichen Programm-Guide durch einen globalen Streaming-Service". Mehr als eine Hand voll Empfehlungen von sehenswerten Filmen, Serien und Dokumentationen ist die Publikation jedoch nicht, und Amazon ist eben auch nur einer von vielen Anbietern.

Während sich der Fernsehkonsum radikal ändert, haben die Programmzeitschriften es nicht besonders eilig, diese Entwicklung abzubilden. Dass es der Branche so gut geht, verrät im Umkehrschluss ja auch etwas über die gegenwärtige Bedeutung von Streamingangeboten im Vergleich zum herkömmlichen Fernsehen: Während eine bestimmte Gruppe, die Marktanalysten als "Selektivseher" bezeichnen, Netflix oder Maxdome abonnieren und dort hochgelobten Serien aus aller Welt schauen, besteht für den größeren Teil der Zuschauer Fernsehen auch heute noch vor allem aus ARD, ZDF und - je nach Vorliebe - RTL, Sat 1 und Pro Sieben. Diese Nutzer sind es, die dem Tatort jede Woche einen neuen Quotenrekord verschaffen - und die vielen Millionen TV-Magazine kaufen.

"TV digital" markiert Sendungen, die nach Ausstrahlung in der Mediathek landen

Die meisten kostenlosen Programmzeitschriften, die etwa Tageszeitungen beiligen, ignorieren Streaming-Angebote noch weitgehend, die Macher von Kaufzeitschriften bemühen sich zumindest einige Video-On-Demand-Angebote zu integrieren. Beispielsweise widmen sich TV Movie (Bauer) und TV direkt (Funke) pro Ausgabe immerhin auf ein oder zwei Doppelseiten Neuerscheinungen der Anbieter im Netz. Die TV digital, ebenfalls aus dem Hause Funke, bietet insofern ein umfangreicheres Informationsangebot, als dass sie neben Hintergrundberichten zu Netflix- und Amazon-Produktionen, On-Demand-Angebote der klassischen Sender integriert. Inhalte, die nach Ausstrahlung in den Mediatheken landen, sind dort mit einem eigenen Symbol gekennzeichnet.

Für einen Teil der Stammkundschaft von Fernsehzeitungen − es sind vor allem Frauen über 40 − mag das ein netter Mehrwert sein. "Die Leser jenseits der 50 bleiben aber eher dem linearen Programm treu", sagt Christian Hellmann, Gesamt-Chefredakteur der Programmzeitschriften der Axel Springer AG. Auf der anderen Seite der Alterspyramide sind für die Verlage jedenfalls kaum Kunden zu gewinnen: Eher unwahrscheinlich, dass die jungen Selektivseher plötzlich den Kiosk stürmen, weil in einer Fernsehzeitung mal eine Amazon-Serie besprochen wird.

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