Produzentin Regina Ziegler im Gespräch:"Es gab rege Ostkontakte"

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Mit Nylonhemden und Hammer über die Grenze: Produzentin Regina Ziegler über Ost-West-Geschäfte, Product Placement, eine Verfilmung des Buchs von Kirsten Heisig und Zieglers neue Familiensaga "Weissensee."

Christina Maria Berr

sueddeutsche.de: In der ARD startet eine sechsteilige Familien-Saga über die DDR, von Ihnen produziert. Was macht eine solche Nostalgieserie 20 Jahre nach der Einheit interessant?

"Bezahlen musste man immer. Ohne Kohle lief da gar nichts" - Produzentin Regina Ziegler über Dreharbeiten in der DDR. (Foto: Eventpress/Mathias Krohn)

Regina Ziegler: Anregung waren die Drombuschs. Ich finde, so etwas muss man weiterführen. Familienserien sind auch dazu da, Zeitgeschichte zu erzählen. In Deutschland gelang das mit Familie Schölermann oder Ein Herz und eine Seele, in den USA mit den Sopranos oder Mad Men. Es ist eine gute Gelegenheit gewesen, die Merkmale und Effekte dieses Formats zu nutzen und zum ersten Mal in einer zeitgeschichtlichen Retrospektive Fernsehen über die Gesellschaft der DDR zu machen. Und das Thema hat ja auch viel mit mir als Produzentin zu tun.

sueddeutsche.de: Inwiefern?

Ziegler: Weil ich mich sehr um die zeitgeschichtlichen Themen kümmere, seitdem ich Filme produziere - denken Sie an Nach Mitternacht nach Irmgard Keun oder Die Wölfe oder Fabian nach Erich Kästner. Auch Der Verleger über Axel Springer ist so ein Beispiel und Willy Brandt mit dem Film Im Schatten der Macht.

sueddeutsche.de: Aber bislang haben Sie jüngere Zeitgeschichte eher dokumentarisch verfilmt und ältere Zeitgeschichte fiktional umgesetzt. Nun greifen Sie solche Themen fiktional und auch noch in einer Familiensaga auf.

Ziegler: Man wächst ja selbst mit der Zeitgeschichte und wird älter. Der Versuch, DDR-Zeitgeschichte in Serienform zu erzählen, ist ja bislang nicht gemacht worden. Was es gibt, sind Spielfilme - Sonnenallee, Das Leben der Anderen und Good Bye, Lenin!, Boxhagener Platz.

sueddeutsche.de: Ihre dokumentarische Aufarbeitung wird nun Ihr größter Konkurrent ...

Ziegler: Ja, Deckname Annett läuft am 21. September im ZDF um 20:15 Uhr ausgerechnet gegen Weissensee - Sie sehen, ich bin sehr kreativ und aktiv.

sueddeutsche.de: Weissensee ist auf sechs Folgen angelegt, und soll Fortsetzungsfolgen bekommen.

Ziegler: Das würde ich mir sehr wünschen. Die Autorin Annette Hess sitzt schon an neuen Folgen. Wir hätten noch viel zu erzählen. Am 15. September gibt es hoffentlich das Go für weitere sechs Folgen. Ich könnte mir vorstellen, dass man in diesen Sechser-Blöcken die Geschichten der Familien bis heute weitererzählt. Das fände ich sehr reizvoll.

sueddeutsche.de: Sie sind 1944 im heute ostdeutschen Quedlinburg geboren, Ihre Eltern hatten aber in Berlin gewohnt.

Ziegler: Meine Mutter war in Berlin hochschwanger mit mir und meiner älteren Schwester an der Hand drei Tage und vier Nächte im Luftschutzbunker verschüttet und ist dann, als sie freigeschaufelt wurde, nach Allrode zu ihren Eltern gegangen - und da war Quedlinburg das nächste Krankenhaus. Die ersten fünf Jahre meines Lebens habe ich am Hexentanzplatz am Brocken im Harz gelebt - das hat mich offenbar geprägt. ...

sueddeutsche.de: Ein Leben in der DDR, bevor es diese gab, gewissermaßen.

Ziegler: Genau.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie denn den Mauerfall erlebt?

Ziegler: Wir haben den 50. Geburtstag des Regisseurs Ulrich Schamoni gefeiert. Da hieß es, die Mauer ist offen. Die Schauspielerin Brigitte Mira und ich sind zum Brandenburger Tor gefahren und haben dort mitgetanzt und gefeiert, Biggi war durch die Drei Damen vom Grill auch in der DDR bekannt. Am nächsten Tag musste ich nach Warschau zu Andrzej Wajdas Korczak-Dreh fliegen - und dort haben wir gleich mit den polnischen Kollegen weitergefeiert.

sueddeutsche.de: Und wie haben Sie als Produzentin die DDR erlebt?

Ziegler: Ich habe Verwandte in Wernigerode am Harz, denen meine Mutter regelmäßig die Care-Pakete mit Orangen, Bananen, Nivea und Nylonhemden packte. Ich brachte die dann immer zur Post. Natürlich sind wir auch mal mit einer Besuchserlaubnis hingefahren. Und beruflich habe ich 1976 den Film Heinrich mit Helma Sanders-Brahms in den Defa-Studios in Babelsberg gedreht. Ich habe auch Brandstellen für die Defa im Ruhrgebiet produziert.

sueddeutsche.de: Ost-West-Geschäfte waren also im Filmgeschäft ohne weiteres möglich?

Ziegler: Klar, das große Interesse der DDR war ja, die damalige D-Mark zu kassieren. Auch die Defa konnte sich für Westmark vieles leisten, was sie sonst nicht hätte finanzieren können.

sueddeutsche.de: Vermutlich gibt es also über Sie eine Stasi-Akte.

Ziegler: Das könnte so sein, ich habe mir auch schon von Frau Birthler die Antragsformulare geben lassen, aber ich hatte noch keine Zeit, sie auszufüllen. Irgendwann in diesem Leben werde ich das wohl noch schaffen.

sueddeutsche.de: Hatten Sie denn bei dieser Zusammenarbeit mit Widrigkeiten umzugehen?

Ziegler: Ich hatte immer größte Probleme an der Grenze, weil ich oft Bild- und Tonträgermaterial von anderen Filmen im Kofferraum hatte. Einmal war der Kofferraum nicht zu öffnen - und ich hab damals diese 18 Zentimeter Highheels getragen und musste von der Ostabfertigung zur Westabfertigung zum nächsten Telefon herüberstöckeln. Ich habe mir dann ein paar flachere Schuhe und einen Ersatzschlüssel bringen lassen, um dann meinen Ehemann Wolf Gremm, der als Pfand beim Auto bleiben musste, auszulösen. Solche Sachen habe ich pausenlos erlebt.

sueddeutsche.de: Ja? Erzählen Sie weiter!

Ziegler: Zur Premiere des Films Brandstellen hatte ich damals eine Einladung des DDR-Filmministers. Ich fuhr damals einen weißen Jaguar, das fand ich unheimlich schick - und da kamen die mit ihrem Messstab nicht durch den Tank durch. Da durfte ich trotz dieser Einladung nicht in die DDR einreisen.

sueddeutsche.de: Und wie sind Sie überhaupt zu diesem Kontakt mit DDR-Filmemachern gekommen?

Ziegler: Berliner Produzenten - etwa die Allianz Film - hatten ja damals viel mit den Defa-Leuten zu tun. Es gab rege Ostkontakte.

sueddeutsche.de: Und dann ging es darum, dass man für einen Dreh in der DDR bezahlen musste.

Ziegler: Bezahlen musste man immer. Ohne Kohle lief da gar nichts.

sueddeutsche.de: Und die Filme liefen dann im Westen wie auch im Osten?

Ziegler: Beispielsweise lief Nach Mitternacht nach dem Roman von Irmgard Keun zuerst im Westen. Vom Defa-Außenhandel wurde er für 30.000 Deutsche Mark gekauft - und war dann in der DDR ein größerer Erfolg als im Westen.

sueddeutsche.de: Konnten Sie auch Ostschauspieler für eine West-Produktion engagieren?

Ziegler: Nur die Schauspieler, von denen man wusste, sie würden zurückkommen.

sueddeutsche.de: Und hat Sie niemand gefragt, ob Sie ihm zur Flucht helfen könnten?

Ziegler: Das nicht, aber wir haben natürlich immer alles Mögliche herübergeschleppt und behauptet, das wäre für den eigenen Gebrauch. In Wirklichkeit waren das Mitbringsel für die Mitarbeiter der Defa. Hammer zum Beispiel oder Nylonstrümpfe ... Irgendwas fehlte da immer.

sueddeutsche.de: Sie mussten also für Weissensee überhaupt nicht groß recherchieren, weil Sie die Details des Lebens in der DDR kannten?

Ziegler: Nein, das reicht nicht. Sie brauchen natürlich Gutachten von Historikern und Fachleuten, zumal Annette Hess, die Autorin, ja nicht im Osten aufgewachsen ist. Aber das größte Lob war, dass Ostschauspieler, die das Drehbuch gelesen hatten, gedacht haben, die Autorin käme aus dem Osten.

sueddeutsche.de: Wie teuer war Weissensee?

Ziegler: Die ARD hat um jeden Euro gekämpft. Jeder Euro, der mir zur Verfügung stand, ist aber auch im Ergebnis 100 Cent wert. Wie viele Euros es waren, darf ich aus vertraglichen Gründen nicht sagen.

sueddeutsche.de: Sind da denn auch die Internetrechte dabei?

Ziegler: Ja, die Rechte, die an die ARD weitergegeben wurden, enthalten auch die Internetrechte.

sueddeutsche.de: Das ist nicht immer so - die Produzentenallianz hat da die Produzentenrechte erheblich gestärkt - und die Übertragungsrechte der Sender damit geschwächt?

Ziegler: In anderen Ländern wie Frankreich oder Italien haben die Produzenten von jeher eine viel bessere Lobby - das wird jetzt in Deutschland nachgeholt. Wurde doch auch Zeit. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass ein Produzent auch mal draufzahlt, wenn es beispielsweise regnet und dann zwei Tage nicht gedreht werden kann. Wir hatten zum Beispiel während der "Asche-über-Europa"-Zeit irre hohe Kosten, weil wir Schauspieler in Namibia nicht an die Drehorte bekommen haben. Den Sendern ist das egal, das zahle dann ich.

sueddeutsche.de: Aus Ihrer Portokasse?

Ziegler: Das kann die Portokasse nicht leisten, ich zahle es dann aus meinem Gewinn, den ich dann wieder einmal nicht verdiene. Und meine Altersversorgung, die keine Rente, sondern eine Lebensversicherung ist, die muss dann auch schon mal dran glauben. Ich kann ja die Mehrheitsgesellschafterin, meine Tochter Tanja, nicht mit solchen Problemen konfrontieren.

sueddeutsche.de: Eine weitere Verbesserung ist das Product Placement, das seit einiger Zeit von der EU erlaubt wird.

Ziegler: Das hat sich ja in Deutschland nach wie vor nicht richtig durchgesetzt. Wenn man ein Auto einsetzt und man dann minutenlang die Marke des Autos anglotzen muss, finde ich das nicht toll. Anderseits haben wir nach unseren Ausstrahlungen viele Anrufe, die wissen wollen, von wem das Kleid oder die Tapete ist. Da wäre es schon geschickt, Produktplatzierung zu machen. Und wenn eine Champagnerflasche vorkommt, müssen wir aufwendig Etiketten anfertigen anstatt für die bereits vorhandenen Geld zu verlangen. Man darf sie nicht als Standbild verwenden, aber man muss sie spielerisch verwenden. Und bei den Öffentlich-Rechtlichen ist es ja gar nicht erlaubt.

sueddeutsche.de: Ist das richtig?

Ziegler: Ich finde es nicht sinnvoll, weil man solche Dinge doch auch offenlegen kann. Und da könnte man die finanzielle Situation auch für die Filme entscheidend verbessern. Aber das Thema ist ja ein wunderbarer Aufreger in Deutschland.

sueddeutsche.de: Sie haben seit 1973 Ihre Produktionsfirma, wie hat sich die Arbeit seitdem verändert?

Ziegler: Die Administration ist viel aufwendiger geworden und man fragt sich auch, ob ein Handschlag noch gilt. Einst hatte ein Vertrag nur wenige Seiten, heute kommen schnell 50 Seiten zusammen und dann hängen auch noch die AGB dran. Eigentlich müsste man als Produzent auch Jura studieren.

sueddeutsche.de: Haben Sie ja - ein Semester und dann abgebrochen.

Ziegler: Ja, ja, anderseits habe ich in meinem Bereich auch mittlerweile ganz gute Kenntnisse. Es ist ja so: Man wird alt wie 'ne Kuh und lernt immer dazu.

sueddeutsche.de: Sie haben weit mehr als 400 Filme gedreht. Gibt es noch Themen, die Sie unbedingt angehen wollen?

Ziegler: Ganz viele, aber fragen Sie mich nicht, was. Ich gehe davon aus, dass die Konkurrenz mitliest. Da bleibe ich zurückhaltend.

sueddeutsche.de: Schielen Sie denn zur Konkurrenz?

Ziegler: Na klar! Konkurrenz belebt das Geschäft - und ich finde schon immer interessant, was die Kollegen machen.

sueddeutsche.de: Bernd Eichinger verfilmt jetzt die Geschichte von Natascha Kampusch - hätte Sie das interessiert?

Ziegler: Nee! Ich finde, diese junge Frau hat so viel erleben und erdulden müssen - und ich glaube nicht, dass der Film für Frau Kampusch ein Befreiungsschlag werden wird. Ich wünsche Eichinger aber, dass dies gelingt.

sueddeutsche.de: Was ist mit Themen wie Jörg Kachelmann oder die Loveparade-Katastrophe von Duisburg?

Ziegler: Kachelmann und Duisburg - in beiden Fällen ist so vieles rechtlich nicht geklärt ... Was mich interessieren würde, ist das Buch von Kirsten Heisig, Das Ende der Geduld. Da würde ich auch gerne eine Verantwortung übernehmen. Das würde ich gerne als Dokufiktion erzählen.

sueddeutsche.de: Wenn Sie so etwas erzählen, haben Sie vermutlich die Rechte schon gekauft.

Ziegler: Nein, aber ich habe mich beworben.

Weissensee , ab 14. September, 20:15 Uhr, ARD

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