Probleme der Jugendradios:"Ihr Nerds"

  • Die beliebtesten Radiosender jugendlicher Hörer sind Mainstreamprogramme.
  • Ausgewiesene Jugendradios schaffen es nur selten, ihre Zielgruppe abzuholen.
  • Sie sind bemüht hip, statt gutem Journalismus gibt es schlechte Witze und gespielt wird vor allem Musik für die Massen.

Von Kathrin Hollmer

Kraftklub also. Die Band, auf die sich 14- bis 40-Jährige im Moment wohl am ehesten einigen können, moderiert vom heutigen Donnerstag an eine eigene monatliche Radiosendung auf Puls, dem Jugendsender des Bayerischen Rundfunks, und von Samstag an auf Radio Fritz vom RBB. Schon seit vergangenem Sommer läuft Radio mit K mit Kraftklub-Sänger Felix Brummer und Gitarrist Steffen Israel bei MDR Sputnik. Darin spielen sie ein Mal im Monat zwei Stunden lang ihre Lieblingsmusik und erzählen Geschichten von Konzerten und aus ihrem Alltag.

Mehrfachverwertung gehört bei den größten jungen Radiowellen der ARD, YOU FM (HR), N-JOY (NDR), Dasding (SWR), Einslive (WDR), Radio Fritz und Puls mittlerweile zum guten Ton. Die Lateline, in der unter anderem die Extra-3-Reporterin Caro Korneli vom NDR ihren Hörern Lebenshilfe gibt, läuft gleichzeitig auf sieben Kanälen, ähnlich ist es bei Sanft und Sorgfältig, dem satirischen Wochenrückblick von Jan Böhmermann und Olli Schulz. Das ist natürlich ökonomischer. Aber es zeigt auch, wie austauschbar die jungen Sender sind, und wie sehr ihnen offenbar individuelle Ideen fehlen.

Dabei hören junge Leute diversen Medienanalysen zufolge nach wie vor viel Radio. Aber: Die jungen öffentlich-rechtlichen Wellen senden weitgehend an ihrer Zielgruppe vorbei. Der "Media-Analyse 2014 Radio I" zufolge sind die reichweitenstärksten Sender bei den 14- bis 29-Jährigen nach Einslive gleich Antenne Bayern, Radio NRW, SWR 3 und Bayern 3, abgesehen von Einslive (das in Nordrhein-Westfalen das einwohnerstärkste Verbreitungsgebiet hat) also ausschließlich etablierte, erwachsene Mainstream-Radiosender mit Hits der 80er, 90er und von heute.

Statt des Generationenabrisses, den die Anstalten befürchten, wandert die junge Generation in Richtung Hausfrauensender ab. Was machen die jungen ARD-Radiosender also falsch?

Die große Herausforderung solcher Jugendsender ist ja, dass sie ihren Platz zwischen privaten Jugendwellen und den erwachsenen ARD-Wellen finden müssen. Sie sollten sich sowohl von dem einen als auch von dem anderen irgendwie unterscheiden, und schon da beginnen die Probleme. Sie klingen zum Beispiel so bemüht hip wie die unzähligen Gong- und Ego-FM-Klone. Die Nachrichten von YOU FM heißen News update now, und die Hörer stellen Fragen per Whatsapp statt am Telefon. Auf Radio Fritz nennt der Moderator seine Hörer "ihr Nerds". Bei Puls heißt das Frühprogramm Hochfahren und zwischen Beispiel-Hass-Kommentaren auf Facebook, die der Reporter vorliest, plingt das Facebook-Nachrichten-Signal. Die Staumeldungen auf N-JOY heißen Navigation.

Aufgesetzte Jugendsprache, die wie der Versuch der Sparkasse wirkt, ihre Werbung mit einem Skateboard in der Ecke auf jung zu trimmen. Staumeldungen sind aber am Ende auch nur - Staumeldungen.

Wie wenn die Sparkasse versucht, Werbung mit dem Skateboard in der Ecke auf jung zu trimmen

Gleichzeitig machen die jungen Sender der ARD die gleichen Fehler wie die erwachsenen: Sie trauen ihren jungen Hörern wenig Journalismus zu und machen stattdessen schlechte Witze. Das Ding zum Beispiel sendet dreimal pro Woche den unfassbar unlustigen Alltagswahnsinn mit den Geissens (ja, die von RTL 2). Auch bei der Musik machen die jungen ARD-Wellen kaum etwas anders. Zu oft läuft austauschbare Mainstream-Musik. Wenn N-JOY etwa mit dem Slogan "Enjoy the music" wirbt, wirkt das wie ungewollte Satire.

PULS

Die Band Kraftklub im "Puls"-Studio. Einmal im Monat erzählen die Rocker dort, was sie sonst noch so machen.

(Foto: Ludwig Groß)

Wenn Nachrichten anders klingen

Radio Fritz rühmte sich lange damit, Bands wie Kraftklub und Seeed zum ersten Mal gespielt zu haben, heute präsentieren sie Konzerte von Katy Perry. Puls war mal ein reiner Indiesender, inzwischen spielen sie auch, was in den Charts läuft. Einslive, N-JOY und YOU FM verbreiten, oft in Doppelmoderation, Partystimmung mit wummernder Tanzmusik. Die jungen Wellen spielen immer mehr Musik für die Massen, die Hörermassen für die Werbekunden anziehen soll. Doch in dem Bereich können sie sich nicht gegen die vielen privaten Popwellen (da wird noch weniger zwischen den Nachrichten gesprochen) oder den Internetmusikdienst Spotify (da kann man Cool Kids gleich zehnmal hintereinander hören) behaupten.

Wenn Journalismus, dann ideenbefreit

Natürlich gibt es Ausnahmen, aber man muss sie schon suchen. In der Fritz-Sendung Unsigned wird etwa Musik von lokalen Bands ohne Plattenvertrag vorgestellt. Puls bringt die Sendung Plattenbau, in der viel allgemein über Musik oder mit Bands über Musik gesprochen wird.

Redaktionelle Beiträge, die das öffentlich-rechtliche Radio, auch das junge, eigentlich ausmachen sollten, sind selten und wirken wie ein Alibi. Mal laufen vier kurze Beiträge pro Stunde, oft nur einer. Die wenigsten trauen sich außerhalb der Nachrichten an den Journalismus ran, und wenn, dann meist ideenbefreit. Oft geht es um Kinostarts, oft um Boulevard. Wenn der Redaktion gar nichts einfällt, rufen Hörer an und erzählen Banalitäten zu einem banalen Thema, und ein Experte sagt kurz, wie ein Lehrling die verschüttete Gulaschsuppe am besten beim Chef beichtet.

Nur manchmal erkennt man, was Jugendradio eigentlich leisten könnte. So läuft auf Fritz ein Mal pro Woche die Netz-Sendung Trackback ("Die Show mit Internet und so") und auf Puls regelmäßig die Sendung Netzfilter, die beide mit klugen Beiträgen Phänomene aus dem Internet und Netzpolitik auseinandernehmen. Einslive sendet auch längere, ausgeruht recherchierte Features und Dossiers, verbannt die aber ins Spätprogramm. Auf Puls sind sie stolz auf den hohen Wortanteil, 30 Prozent ist das Ziel. Tagsüber ist es oft mehr.

Im Format Die Frage werden Fragen wie "Woher kommt der Hass der Islamisten?", "Warum haten wir so viel im Netz?" und "Wie porno bist du?" mit mehreren so fundierten wie unterhaltsamen Beiträgen behandelt, für die Reporter wochenlang recherchieren. Puls ist übrigens die einzige ARD-Jugendwelle, die nicht auf UKW gesendet wird, abgesehen von einem kleinen Sendefenster auf Bayern 3. Erst ab 2018 soll das vielleicht anders werden.

Dabei schafft es vor allem Puls, selbst Nachrichten anders klingen zu lassen. Weil den Machern das seltene Kunststück gelingt, zwischen aufgesetzter und authentischer Jugendsprache zu unterscheiden. Wie das geht?

Die Texte sind so geschrieben, wie man eine Nachricht abends in der Bar einem Freund erzählen würde. Auf einem "erwachsenen" Radiosender würde kein Nachrichtensprecher etwa "krasse Nachricht" sagen. Oder etwa "Deppen". Oder wie ein Moderator auf YOU FM über den Tod einer 19-Jährigen: "Ich muss bei solchen Meldungen immer fast heulen." Diesen Kommentar kann man als Nachrichtenpurist natürlich unnötig finden. Ebenso die "extralange Penis-Stunde", die kürzlich frühmorgens auf Radio Fritz lief, mit Umfragen und einem Interview über Penisverlängerungen. Aber genau in diesen Momenten ist öffentlich-rechtliches Jugendradio anders als Erwachsenenradio und anders als die vielen privaten Dudelsender. Das ist gut so. Und ziemlich selten.

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