Privatsphäre:Weg vom Fenster

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Klaus Wowereit, der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Klaus Wowereit klagt gegen Fotos aus der "Bild"-Zeitung, und der Bundesgerichtshof hat eine Grundsatzfrage zu klären: Wann ist ein Barbesuch von politischer Bedeutung?

Von Wolfgang Janisch

Der Schutz der Privatsphäre Prominenter ist eine ziemlich komplizierte Angelegenheit. Wie kompliziert, konnte man schon an der Bemerkung mit dem Fenster ablesen. Nein, sagte Rechtsanwältin Cornelie von Gierke an diesem Dienstag vor dem Bundesgerichtshof, Klaus Wowereit habe nicht am Fenster gesessen. Sondern hinten in einer Ecke der Berliner Paris Bar. Und dort habe er sich in einer "rein privaten Situation" befunden. Ecken sind privat, Fenster eher nicht.

Nun könnte man darüber spekulieren, ob jemand, der die Paris Bar betritt (laut Eigenwerbung wird dort "bei französischer Küche wild gefeiert") und noch dazu Klaus Wowereit heißt, seine Privatsphäre nicht bereits an der Garderobe abgibt. Jedenfalls gelang es einem Fotografen, ein paar Fotos von Wowereit zu schießen, die kurz darauf in der Bild-Zeitung erschienen. Das Interesse der Zeitung galt ausweislich der begleitenden Texte, weniger dem Umstand, dass sich der Regierende Bürgermeister dort mit einem befreundeten Ehepaar traf - sondern der Tatsache, dass damals, im Januar 2013, ein Schicksalstag bevorstand, die Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus wegen des in die Kritik geratenen Managements des Berliner Flughafenbaus. "Der Regierende wirkt am Vorabend der Abstimmung im Parlament ersichtlich entspannt (. . .) und genehmigt sich einen Drink in der Paris Bar", textete Bild. Wowereit gewann die Abstimmung dann auch. Am Flughafen bauen sie immer noch.

Wowereit hat die Bild-Zeitung auf Unterlassung verklagt und den Prozess bis vor den BGH gebracht, der sich für das Urteil überraschend viel Zeit nehmen will; es wird erst am 27. September verkündet. Interessant an dem Fall ist - und da kommt die Sache mit dem Fenster ins Spiel - die Frage: Wie viel Privatsphäre genießt ein Prominenter, wenn er ins Restaurant geht oder auf den Markt, oder wenn er mal in Ruhe bummeln will - dort, wo auch andere Menschen bummeln?

Einkaufsgewohnheiten und Urlaube von Promis können ein Thema für die Öffentlichkeit sein

Cornelie von Gierke, im Presserecht erfahren, wusste natürlich, dass Ecken von Restaurants in dieser Hinsicht günstiger sind als Fensterplätze: Es war eine Klage der Caroline von Monaco gegen ein Foto vom Rendezvous im abgeschiedenen Winkel eines Lokals, die einst den Grundstein dafür legte, dass die Privatsphäre auch jenseits der eigenen vier Wände rechtlich geschützt sein kann.

Diese Privatsphäre zum Mitnehmen zieht sich seither als komplizierter Topos durch die Rechtsprechung, mit nicht immer vorhersehbaren Ergebnissen. Zumindest eines lässt sich aber sagen: Werden Bilder aus dem Privatleben völlig ohne Bezug zu einem irgendwie relevanten Ereignis gedruckt, dann neigen die Gerichte zum Verbot. 2007 setzte sich Oliver Kahn beim BGH durch. Er hatte beim Spaziergang auf der Promenade von St. Tropez mit seiner neuen Freundin "verliebte Blicke" getauscht. Urlaub gehöre regelmäßig zum geschützten Kernbereich der Privatsphäre, befand der BGH. Kurz darauf gewann auch die Lebensgefährtin von Herbert Grönemeyer ihre Klage gegen ein Foto aus einem römischen Café, auch dort ging es laut Bunte um "Die Blicke der Liebe". Eine erkennbar private Situation, die in keinem Zusammenhang mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis stehe, befand der BGH.

Das allerdings wird man von Wowereits Paris-Bar-Fotos nicht sagen können. Der BGH-Senatsvorsitzende Gregor Galke sprach in der Verhandlung zwar vom "intimen Charakter des Geschehens". Andererseits habe das Blatt im Text den zeitgeschichtlichen Bezug zur hochpolitischen Flughafenkrise hergestellt: "Es geht um die bildliche Darstellung, wie sich der Kläger am Vorabend der Abstimmung verhält." Bild-Anwalt Achim Krämer hält auch eine positive Deutung der Bilder für denkbar, etwa: "Das ist ein Mann, der mit so einer Situation fertigwird."

Die Juristen im Verhandlungssaal dachten an dieser Stelle natürlich an Heide Simonis. Am 27. April 2005 war sie nach der dramatisch gescheiterten Wiederwahl aus ihrem Amt als schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin geschieden. Tags darauf ging sie einkaufen, was Bild mit einigen Fotos dokumentierte ("Danach ging Heide erst mal shoppen"). Zwar gehen die Einkaufsgewohnheiten der Promis die Öffentlichkeit normalerweise nichts an. Die Moderatorin Sabine Christiansen etwa, einst beim Shoppen auf Mallorca abgelichtet, ließ die Fotos für unzulässig erklären. Im Fall Simonis dagegen fand der BGH: Nach einem spektakulären Amtsverlust nach zwölf Jahren ist auch Einkaufen irgendwie politisch. Daran bestehe ein "erhebliches Interesse der Öffentlichkeit". Das klingt nach der Blaupause für den Fall Wowereit: Der private Barbesuch vor einem drohenden Amtsverlust dürfte kaum weniger interessant sein als das Shopping danach.

Dennoch, eine wirklich klare Trennlinie lässt sich nicht ziehen. Abgewogen wird im Einzelfall - und das kann dazu führen, dass auch Aufnahmen aus dem Urlaub zulässig sein können. Zwölf Jahre lang prozessierte Prinzessin Caroline erfolglos gegen ein Foto, das sie und ihren Mann Ernst August von Hannover im Urlaub in Kenia zeigte. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts war es der Kontext, der die Fotos relevant machte: nämlich die Tatsache, dass ihre Ferienvilla an Gäste vermietet werde, dass also "auch die Reichen und Schönen" sparsam seien. Vor dem Hintergrund der Vorbildfunktion Prominenter sei ein solches Verhalten durchaus von Interesse.

Wo aber kann der Politiker noch wirklich privat sein außerhalb seiner eigenen vier Wände? Nicht jeder gehe dorthin, wo das Prinzip Sehen und Gesehenwerden gelte, sagte Anwalt Krämer. Mancher gehe vielleicht lieber in die Kirche.

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