Privatsenderverband VPRT:"Rundfunk muss Vorrang haben"

Stets kämpfte Privatsenderlobbyist Jürgen Doetz gegen ARD/ZDF. Jetzt wirbt er angesichts neuer Gegner aus dem Netz für ein gemeinsames Schutzbündnis. Denn, so Doetz: "Es gibt Wichtigeres."

Claudia Tieschky

Das Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und dem Privatsenderverband VPRT war immer so etwas wie kalter Krieg ohne Sprengköpfe. Viele Beschwerden führten die Lobbyisten des kommerziellen Rundfunks in Berlin und Brüssel gegen die gebührenfinanzierten Sender, die nach Ansicht des VPRT mit ihren Angeboten in vielen Fällen eine unfaire Konkurrenz darstellen, vor allem beim Sportrechteerwerb und im Digitalen. Doch wenn man in diesen Tagen mit dem Privatfunkmann und ehemaligen Sat-1-Chef Jürgen Doetz spricht, der den VPRT seit 1996 als Präsident führt, dann kann man den Eindruck erhalten, etwas Grundsätzliches habe sich plötzlich gewandelt.

TV total Bundestagswahl 2009

Entlohnt die Politik Sender bald für gesellschaftliche Verantwortung? Stefan Raabs TV Total Bundestagswahl bei Pro Sieben am 26. September 2009 gilt zum Beispiel als seltener Fall eines jungen Informationsprogramms im Privatfunk. Peter Limbourg (links), der mit Raab moderierte, war damals Chefredakteur von N24. Der konzerneigene Nachrichtenkanal wurde im folgenden Jahr von Pro Sieben verkauft - Konzernchef Thomas Ebeling fand Nachrichten nicht so gut für die Rendite.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Doetz wirbt plötzlich mit Eindringlichkeit für eine neue Allianz der beiden Sendergattungen - für eine gemeinsame Schutzstrategie des Rundfunks, wenn man so will. Der Zeitpunkt der Annäherung erscheint überraschend. Die Öffentlich-Rechtlichen streiten mit den Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern nach wie vor um den Wirkkreis der Gebühren-Medien, vor allem bei der Tagesschau-App ist die Debatte verhärtet.

Ausgelöst wurde die neue Bündnisidee jetzt, wenn man Doetz richtig versteht, durch die mächtigen Interessen der Telekommunikations- und Internetkonzerne, die in der elektronischen Welt in Konkurrenz zur klassischen Medienordnung treten. "Jahrelang haben wir den Kampf gegen das Ungleichgewicht zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk geführt. Das alles ist keineswegs hinfällig", sagt Doetz. Aber es gebe heute durch "die Entwicklung im Netz und durch die neuen Player eine Wettbewerbsverzerrung in viel größerem Stil". Das heiße nicht, dass die Öffentlich-Rechtlichen "mit uns glücklich wären oder wir mit ihnen - aber es gibt Wichtigeres".

Das Wichtigere ist offenbar die Sorge, dass das Modell Rundfunk ins Hintertreffen geraten könnte gegenüber dem Verbreitungsbusiness, das im weltweiten Web betrieben wird. Es geht um die politische Lobby für den Rundfunk und den speziellen Schutzraum, den er jedenfalls in Deutschland genießt, weil er eine gesellschaftliche Verantwortung trägt. Auch wenn man zuweilen den Eindruck haben kann, dass sich kühl rechnende TV-Manager dieser Verantwortung - etwa bei teuren Informationsprogrammen - ganz gern entziehen.

"Netzpolitik schafft keinen gesellschaftlichen Mehrwert"

Gemeinsam mit ARD, ZDF sowie Branchenverbänden von Verlegern und Kreativberufen ist der VPRT seit 2011 auch in der Deutschen Content Allianz aktiv, die sich als "Interessengemeinschaft der Medien in der digitalen Welt" versteht. Der Wert medialer Inhalte müsse sich auch in der Netzpolitik wiederfinden, verlangt die Allianz zum Beispiel.

Im Frühjahr 2012 lautet Doetz' Einschätzung jedenfalls: In der politischen Wahrnehmung habe die Telekommunikationsentwicklung "eindeutig Vorrang" vor der Medienpolitik und den Interessen des besonders zu schützenden Rundfunks, der besonderen gesetzlichen Auflagen unterliegt: "Wir sind nicht Teil der reinen Güterpolitik." Der Ausbau der Netze und die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber dagegen fänden in Berlin auch aus wahltaktischen Gründen besondere Zuwendung - um die Netzthemen nicht der Piratenpartei zu überlassen, kritisiert Doetz. "Wenn man die Netzpolitik hofiert, aber von ihr nichts fordert, wird dieser Zustand unerträglich. Rundfunk kostet Geld, Netzpolitik schafft keinen gesellschaftlichen Mehrwert."

Das große Selbstbewusstsein, das die Kommunikationskonzerne daraus entwickelt haben, zeige sich beim Thema Bundesliga. Die Deutsche Telekom sei in das Bieterverfahren gegangen, "ohne jede Wahrnehmung dessen, was medienrechtlich kritisch diskutiert wurde, nämlich ob sie mit dem Großaktionär Bund die Spiele überhaupt zeigen dürfte". Zahlreiche, auch namhafte Verfassungsrechtler hatten das bezweifelt.

Netzneutralität zum Schutz der Sender

Zudem glaubt Doetz, dass im neuen Telekommunikationsgesetz die Netzneutralität nicht stark genug festgeschrieben sei - die Pflicht von Internet-Dienstleistern, Inhalte unterschiedslos durchzuleiten. Diese Neutralitätsregel müsse noch stärker verankert werden: "Sonst könnten die Telekommunikationsunternehmen bei einer Verknappung der Kapazitäten - möglicherweise einer sogar künstlich geschaffenen Verknappung - höhere Preise von den Sendern verlangen. Das wäre ein Angriff auf den gesellschaftlich wichtigen Rundfunk." Ohnehin, sagt Doetz, wenn es um die Frage gehe, "ob in Netzen Rundfunk transportiert wird oder Datenverkehr, mit dem die Companys viel Geld verdienen, muss Rundfunk Vorrang haben."

Dass der VPRT-Chef die bekannten Verbands-Themen nicht vollständig verlassen hat, merkt man immer dann, wenn er die Beschränkungen für Werbung zum Thema macht, die nach deutschem und europäischem Gesetz im Rundfunk gelten - so etwa Auflagen zu Gesamtwerbezeiten oder zur Anzahl zulässiger Unterbrechungen pro Sendung. Nur erscheint auch das inzwischen unter anderen Vorzeichen.

Vielmehr ist durch neue Technik wie Hybrid-TV eine in der Tat kuriose Situation entstanden. Auf den neuen Geräten sind Videos aus dem Netz für den Zuschauer genauso verfügbar wie klassische Rundfunksendungen. Das Fernsehen mit seiner gesetzlich beschränkten Werbung steht gleichwertig neben Inhalten aus dem Netz - also Telemedien, die keinen Auflagen unterliegen. Ob es Rundfunk ist, interessiert im Netz fast niemanden mehr.

Kämpfen für die Kompasse

Aber der Unterschied in den Auflagen ist groß. Also gehe es, findet Doetz, nun um zwei Fragen: Wolle man Telemedien hochregulieren wie den Rundfunk? "Ich glaube, einen Brief mit so einer Aufforderung würde Google nicht mal beantworten". Oder liberalisiere man den klassischen Rundfunk - "so wie wir es immer gefordert haben?" Oder, als dritte Möglichkeit: "Versüßen uns Anreize die Regulierung, so dass wir sagen, es lohnt sich trotzdem, Rundfunk zu sein? Nach unserer Wahrnehmung lohnt es sich im Moment nicht allzu sehr."

Was Doetz meint, ist das im Moment in der Politik diskutierte "Anreiz-Modell". Es sieht vor, dass Privatsender, die eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe besonders pflegen (Informationsprogramme für junge Zuschauer sowie Angebote für Gehörlose zählen dazu oder Berichte über Breitensport), Vergünstigungen erhalten sollten. Die können etwa in einer prominenten, auffälligen Platzierung in Programmpaketen bestehen: In der enormen Fülle digitaler Angebote ist es entscheidend für einen Sender, dass die Zuschauer ihn auf der Fernbedienung gut finden. VPRT-Manager Doetz sagt es so: "Früher haben wir gegen Engpässe gekämpft, heute kämpfen wir für die Kompasse."

Alles eins also im Rundfunk, kein kalter Krieg mehr, alle nur noch Pfadfinder?

Einen Konflikt wegen der Angebote des neuentdeckten öffentlich-rechtlichen Bündnis-Partners macht Doetz jedenfalls nicht wirklich aus: Er glaube, es gebe bei den öffentlich-rechtlichen "auch keine Angstvorstellung mehr", Digitalkanäle einzustellen. "Sie haben erkannt, dass sie bei der Politik punkten können, wenn sie freiwillig erklären, dass auch weniger reicht."

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