Pressemarkt in Frankreich:Leichte Beute für schwerreiche Männer

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Er sammelt jetzt Zeitungen: Bernard Arnault mit Gattin im Juni 2014.

(Foto: Pierre Andrieu/AFP)

Industrielle erkaufen sich mit Zeitungen und Magazinen gern Einfluss und Ansehen, wie jüngst Bernard Arnault beim "Parisien".

Von Leo Klimm

Philippe Carli wirkt gelöst, fast erleichtert. Der Chef des Amaury-Verlags genießt beim einem Empfang im Garten eines Pariser Stadtpalais die gereichten Häppchen. Carli hat sich gerade der Zeitung Le Parisien samt der Regionalausgaben Aujourd'hui en France entledigt. Eines Traditionsblatts, das mit 380 000 täglich verkauften Exemplaren zu den größten Zeitungen Frankreichs gehört, aber mit Leserschwund kämpft. Käufer des traditionsreichen, gehobenen Boulevardblatts ist LVMH, die Holding des Luxusmagnaten Bernard Arnault, zu der neben Louis Vuitton und Dior auch die Wirtschaftszeitung Les Echos gehört. "Andere leisten sich Yachten oder noble Weingüter", sagt Verkäufer Carli lakonisch, "Arnault kauft eben eine Zeitung."

Frankreichs Industrielle halten sich gern eine danseuse - eine Tänzerin. So werden im Branchenjargon Medien genannt, an denen sich die Tycoone erfreuen können wie an einer Stripperin. Für einen wie Arnault muss der ohnehin niedrige Preis für Le Parisien erst recht wie ein Schnäppchen wirken: Die kolportierten 50 Millionen Euro Kaufpreis holt der Konzern, gemessen am zuletzt erzielten Nettoergebnis, in drei Tagen wieder rein.

Nicht erst seit Internetriesen wie Google Traditionshäusern zusetzen, nutzen Superreiche die wirtschaftliche Schwäche eines Titels, um ihre eigenen Konzerne zum publizistisch-industriellen Komplex zu erweitern. Tatsächlich war der journalistisch gut gemachte, aber in der Auflage schwächelnde Parisien bis jetzt eine der wenigen landesweiten und privaten Medienmarken, die nicht von reichen Männern beherrscht werden, deren Vermögen aus anderen Geschäften stammt. "Die französische Presse trudelt seit dem Nachkrieg von einer Krise in die nächste", sagt Jean-Clément Texier, der das Schweizer Medienhauses Ringier in Frankreich vertritt. Er sieht als Hauptgründe der Misere das Vetorecht, das viele Redaktionen in strategischen Fragen lange hatten, sowie das scharfe Steuerrecht, das die Herausbildung eines starken verlegerischen Mittelstands verhindert habe. "Das macht die Presse zur leichten Beute für externe Investoren", sagt Texier.

Die Milliardäre teilen sich grob in zwei Gruppen auf. Einerseits sind da die Etablierten, die meist konservative Medien besitzen: der Rüstungsindustrielle Serge Dassault etwa, nebenbei ein skandalumwitterter Senator der politischen Opposition, der seit 2004 das Sagen beim Figaro hat, dem Hauptorgan der Konservativen. Vor fünf Jahren hatte Dassault vergebens versucht, auch den Parisien zu erwerben. Der Baulöwe Martin Bouygues besitzt mit TF1 den meistgesehenen Fernsehsender des Landes. Die Familie Pinault, die ihr Geld mit Marken wie Gucci und Puma verdient, steht seit 1997 hinter dem Magazin Le Point. Ihr Konkurrent Bernard Arnault kontrolliert mit Les Echos die wichtigste Wirtschaftszeitung - und mit Le Parisien demnächst auch das wichtigste Massenblatt.

Eine zweite Gruppe eher neureicher Parvenüs hat in den vergangenen Jahren Zugriff auf linke oder linksliberale Titel gewonnen. 2010 wurde die chronisch defizitäre Zeitung Le Monde - zugleich das politisch einflussreichste Blatt - von Xavier Niel übernommen. Demnächst will Niel Le Monde mit Frankreichs auflagenstärkstem Nachrichtenmagazin L'Obs bündeln. Sein Vermögen hat der Selfmade-Man erst mit digitalen Erotikangeboten gemacht, später mit schnellem Internet und Mobilfunk. Niels Co-Investoren sind der Modeunternehmer Pierre Bergé sowie der Banker Matthieu Pigasse. Neben diesem Investorentrio hat 2014 mit dem Telekom-Entrepreneur Patrick Drahi ein weiterer Aufsteiger die linke Zeitung Libération vor dem Aus bewahrt. Im Moment kauft er rund 20 Magazintitel auf, etwa L'Express.

In Publizistikunternehmen sind nur noch wenige Leitmedien beheimatet. Beim christlichen Verlag Bayard erscheint noch La Croix. Daneben gibt es die Lagardère-Gruppe (unter anderem Paris Match) und den Vivendi-Konzern, der sich auf Fernsehen, Musik und Digitales konzentriert. Hauptaktionär dort ist der bretonische Milliardär Vincent Bolloré. Der Amaury-Verlag verschreibt sich nach dem Verkauf des Parisien seinen Sportevents wie der Tour de France und der Sportzeitung L'Equipe.

Amaury-Chef Carli und der LVMH-Konzern von Bernard Arnault halten viele rationale Argumente für ihren Parisien-Deal parat. LVMH, heißt es, werde durch die aparte Kombination mit Les Echos eine kumulierte Auflage von 500 000 Stück und einen Umsatz von 340 Millionen Euro erzielen. Obgleich die Redaktionen natürlich getrennt blieben, verleihe das am Werbemarkt die nötige Größe, um angesichts der Konzentrationstendenzen um Le Monde und Libération selbst genug Gewicht zu haben. "Und Arnault hat dann zwei Marken, die im digitalen Zeitalter hohe Online-Erträge versprechen", sagt Carli.

Ringier-Mann Texier zufolge verschleiern solche Argumente aber einen Teil der Motive für die Shoppingtouren der Milliardäre. "Sie erwerben schlicht auch Einfluss und Ansehen", sagt Texier. Tatsächlich ist Le Parisien ein Leitmedium: Die Themen des Blatts finden sich zuverlässig in den Abendnachrichten des Fernsehens wieder. Hinzu kommt ein kultureller Faktor: Der gekonnte Umgang mit dem geschriebenen Wort zählt in Frankreich seit Jahrhunderten als Statusmerkmal. Wer Geld habe, aber keine Chance auf die Aufnahme in die Académie française, den Gral der Sprachhüter, leiste sich halt einen Medientitel, sagt Texier. "Damit erkauft man sich auch Ehrbarkeit."

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