Pressefreiheit:Ein Land, in dem Journalisten sterben, ist kein freies Land

Demonstration wegen getötetem Jan Kuciak in Bratislava

Demonstranten in Bratislava - der Angriff auf Ján Kuciak war auch ein Affront gegen die Öffentlichkeit.

(Foto: dpa)

In der EU wurden zwei Journalisten ermordet, in den USA werden TV-Sender in Propagandamaschinen verwandelt: Die Presse ist bedroht. Und braucht Solidarität.

Kommentar von Nicolas Richter

Der größte Satz über die Pressefreiheit lautet: "Der Kongress soll kein Gesetz verabschieden, das die Freiheit der Presse einschränkt." Dieser Satz steht im ersten Zusatzartikel der US-Verfassung, ganz vorne, dort, wo Bollwerke eben stehen. Für Amerikas Staatsgründer war die Pressefreiheit eine Festung gegen die Rückkehr tyrannischer Herrscher. Sie stand in der Verfassung wie ein Wachturm an der Küste, hinter dem alles andere angeordnet war.

Leider muss man jetzt öfter an dieses glasklare Prinzip erinnern. Die Pressefreiheit ist so vielen Angriffen ausgesetzt wie lange nicht. In der EU wurden jüngst zwei Journalisten ermordet, wahrscheinlich wegen ihrer Recherchen; wahrscheinlich vom organisierten Verbrechen. Europäische Regierungschefs und der US-Präsident schmähen derweil Journalisten oder versuchen, sie auf Linie zu bringen.

Noch ist nicht klar, ob die Mörder auf Malta oder in der Slowakei von Politikern ermutigt oder sogar von ihnen geschickt wurden. Bekannt ist, dass der nun zurückgetretene slowakische Premier Journalisten "Schlangen" und "Prostituierte" nennt, wobei sein Land noch als liberal gilt im Vergleich zu Ungarn, wo die Presse orbanisiert wird. Der Staat muss nicht zensieren, um die Presse zu bedrohen, es reicht, dass Politiker klingen, als wollten sie einen Mob oder Kriminelle auf Journalisten hetzen.

Wie viele Reporter war der Slowake Ján Kuciak ein Idealist; der Mord an ihm ist ein feiges Verbrechen und ein Affront gegen die Öffentlichkeit, deren Diener er war. Immerhin hat die Gesellschaft laut protestiert, und es ist nur angemessen, dass Kuciaks Tod nun zum Rücktritt des Regierungschefs geführt hat. Wenn die Pressefreiheit so schwer verletzt wird wie hier, muss das Volk zeigen, dass es sein Bollwerk nicht den Halunken überlässt.

Der Journalismus ist bedroht - Volk, Staat und EU müssen ihn verteidigen

Andere Anfechtungen der Pressefreiheit sind subtiler, in den USA werden sie besonders deutlich. Erstens: Die großen Nachrichtensender, allen voran Fox News, sind zu hyperparteiischen Propagandamaschinen verkommen, oder sie inszenieren - wie CNN - Politik als Wettkampf im gegenseitigen Niederbrüllen. Die Inhaber dieser Sender sind mehr Geschäftsleute als Ideologen, ihr Zynismus hat etliche Amerikaner davon überzeugt, dass die Medien insgesamt parteiisch oder schlampig sind.

Der Presse kommt das Publikum abhanden

Zweitens: Viele Menschen, die sich nur über Twitter oder Facebook informieren, können einem endlosen Schwall an Desinformation, Lügen und Halbwahrheiten ausgesetzt sein, wobei es für die Auswahl weniger entscheidend ist, welchem Medium sie trauen, sondern was ihre Freunde mit ihnen teilen. Sie können sich informiert fühlen, ohne je professionellen Journalismus zu konsumieren; der Presse kommt so das Publikum abhanden.

Drittens arbeitet Präsident Donald Trump angestrengt daran, alle Institutionen zu diskreditieren, die ihm widersprechen. Weil er keine Kontrolle über sie hat, nennt er sie Versager oder Volksfeinde, mal trifft es die Justiz, mal die "Nachrichten-Fälscher" der Medien. Trumps Anhänger sollen nur noch seine Tweets für die reine Wahrheit halten. Eine Gesellschaft aber, in der anerkannte Fakten durch die jeweilige Laune des Staatschefs ersetzt werden, fällt auseinander.

Noch hat es Deutschland besser: Die Presse (das schließt Radio-, TV- und Netzjournalismus mit ein) hat trotz ihrer Schwächen etliche Missstände aufgedeckt; der Vorwurf, sie bilde ein "System" mit dem Staat, ist schon deswegen lebensfremd, weil so viele Egos kein System zulassen würden, schon gar kein einheitliches. Vielmehr herrscht auch in der höchsten Bürokratie oft eine annähernd paranoide Angst davor, etwas Falsches zu machen oder zu sagen. Solange die Mächtigen solchen Respekt haben vor der Öffentlichkeit, geht es der Freiheit gut.

Gleichwohl muss sich der Journalismus wappnen gegen neue populistische Angriffe auf seine Glaubwürdigkeit. Er muss sein Handwerk pflegen wie nie: objektiv, fair und differenziert berichten, seine Methoden erklären, seine Fehler korrigieren. Dem Fake-News-Vorwurf muss die Presse ein Great-News-Gebot entgegensetzen: Die gute, ja beste Nachricht ist nicht die, die irgendwem in den Kram passt, sondern diejenige, die stimmt.

Für diese Arbeit ist Freiheit notwendig, auch Angstfreiheit. Ist diese Freiheit bedroht, müssen Volk, Staat und EU sie verteidigen. Wie in der US-Verfassung vorhergesehen, bleibt die Pressefreiheit ein Maß dafür, ob eine Gesellschaft frei ist. Ein Land, in dem Journalisten Angst haben oder sterben, ist kein freies Land.

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