Presse:Später Streit

Im Spätsommer veröffentlichte die "New York Times" eine große Geschichte über unmenschliche Arbeitsbedingungen bei Amazon. Jetzt wirft der Konzern der Zeitung Versagen bei der Recherche vor.

Von Viola Schenz

Es war die Story, auf die Amerikas Redakteure gewartet hatten. Am 16. August veröffentlichte die New York Times eine umfassende Enthüllungsgeschichte über "unzumutbare Arbeitsbedingungen" bei Amazon, dem weltgrößten Online-Händler. Meinungsgigant geht Wirtschaftsgiganten an - weltweit berichteten und kommentierten die Medien das gründlich. Notabene: Dem Amazon-Gründer und -Chef Jeff Bezos gehört seit einem guten Jahr die Washington Post, die NYT wetterte also indirekt auch gegen ihre journalistische Konkurrenz.

Jetzt, zwei Monate später, kritisiert Jay Carney, ehemaliger Sprecher des Weißen Hauses und inzwischen Leiter des globalen Geschäfts bei Amazon, ausführlich und scharf auf dem Blog-Portal Medium die NYT-Berichterstattung: Die Zeitung habe versagt, sie sei ihren Aufgaben nicht nachgekommen, nach dem Motto "zu gut, um es zu checken". "Hätten die Reporter den Sachverhalt geprüft, wäre ihre Geschichte viel weniger sensationell, viel ausgeglichener, und, seien wir ehrlich, viel langweiliger ausgefallen." Man habe sich deswegen bereits vor Wochen an die NYT gewandt; da eine Korrektur ausgeblieben sei, gehe man jetzt an die Öffentlichkeit. NYT-Chefredakteur Dean Baquet reagiert nur Stunden später in einem langen Schreiben an "Dear Jay", ebenfalls auf Medium, in dem er die Amazon-Kritik zurückweist.

Was aber macht derweil die Washington Post? Den Streit zum Anlass nehmen, ihre Konkurrenz NYT zu verteufeln und ihren Eigentümer Amazon/Jeff Bezos zu bestätigen? Genau das tut sie nicht, sondern: Bezeichnet Amazons Angriff auf die NYT in einem langen Kommentar als "schwach". Das ist wahre Größe.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: